Tichys Einblick
Verbaler Rundumschlag inbegriffen

Wütendes Mitglied der Linken tritt aus Partei aus

Nach lange schwelendem Konflikt tritt ein Parteimitglied der Linken lautstark aus. Gründe? Die Position der Partei zu Waffenlieferungen, ungenügende interne Aufarbeitung des #metoo-Skandals und mangelnde „Ehrlichkeit, Professionalität und Ernsthaftigkeit“.

IMAGO / Christian Spicker

Normalerweise heißt es seit Georg Büchner: „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder.“ Doch manchmal ist die Revolution den Kindern nicht hungrig genug und sie suchen sich deshalb eine andere Revolution. Spätestens dort sollte es dann mit dem Gefressenwerden klappen.

Ganz so werden die Überlegungen von Jan Werner wohl nicht gewesen sein, als er seinen Austritt aus der Partei Die Linke mit harschen Worten bekannt gab und den Spiegel in CC setzte. Dabei nahm sich der ehemalige Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung des Landesverbandes Baden-Württemberg (ja, auch dort gibt es offensichtlich noch Die Linke) kein Blatt vor den Mund und schimpfte teils wüst auf seine ehemaligen „Parteigenoss:innen“.

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Stein des Anstoßes war vor allem die ablehnende Haltung der Partei zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine. Werner plädierte bereits im Juni 2022 auf dem Bundesparteitag der Linken für eine Diskussion über Waffenlieferungen und argumentierte dies mit einer „konsequent antifaschistischen“ Einstellung. Denn, so geht aus dem nunmehr vorliegenden Schreiben hervor, Werner sieht in Russland ein „faschistoides Möchtegern-Imperium“, was in bester antifaschistischer Tradition natürlich die Linke auf den Plan rufen müsste.

Doch die Partei blieb anderen Traditionen treu. So bekrittelte Werner auch die Wahl einer „greisen, Stalinismus-verherrlichenden Frau“ zur Bundesparteitagsdelegierten auf dem letztjährigen Landesparteitag. Auch scheinen in der Linken nach wie vor Klassenkampfphrasen vom Feind im Westen und vom bösen Kapitalismus Hochkonjunktur zu haben. Zumindest letzterer Gedanke erlebt dieser Tage, dank Grünen und Vordenkern wie Ulrike Herrmann, ja wieder eine Renaissance, womöglich kann die Linke da ja doch nochmal andocken?

Werner, der russlanddeutscher Abstammung ist, plädierte für einen „ehrlichen Antifaschismus“, was für ihn eben auch bedeutet, „manchmal ein Gewehr in die Hand zu nehmen, oder dieses zumindest zu organisieren“. In seinem Schreiben lamentierte er, dass man in der Partei „mehrheitlich als Nestbeschmutzer“ gelte, wenn man die „leere Worthülse ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ teilweise in Frage stellt“.

Von #nazischlampen und mangelhafter #metoo-Aufarbeitung

„Teilweise in Frage stellen“ klingt bei Werner übrigens so: „Kann nicht so viele Eier kaufen, wie ich gerne werfen möchte #nazischlampen“. Mit diesen reflektierten Zeilen kommentierte der Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung auf Instagram kürzlich einen Artikel über die Friedensdemo von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Wenn das „teilweise in Frage stellen“ ist, dann möchte ich nicht wissen, wie bei Jan Werner Totalopposition aussieht! Zumindest rückt Werner mit dem Bild des Eierwerfens die Analogie zum Nestbeschmutzer wieder in greifbare Nähe.

Nun ließe sich angesichts dieser Kritik entgegnen, dass die Einstellung zu Waffenlieferungen innerhalb der Linken sich seit Werners Eintritt in die Partei 2018 wahrlich nicht groß verändert hätte. Dem gegenüber steht der häufige Wunsch junger Politiker, eine Partei „von innen heraus zu verändern“. Das dürfte aber vergebene Liebesmüh sein, zumal es ja in Form der Grünen eine inhaltlich sehr nahestehende Alternative ohne interventionistische Skrupel gibt, bei der ein Werner – wenn auch nicht sofort, dann doch womöglich in naher Zukunft – eine neue Heimat finden könnte.

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Weitaus interessanter als der Konflikt um die Waffenlieferungen ist Werners Kritik am parteiinternen Umgang mit #metoo. Anstatt die „Grapsch-Affäre“ aufzuarbeiten, wurde die Parteivorsitzende Janine Wissler „nie wirklich von den Vorwürfen einer Mitwisserschaft über Fehlverhalten befreit“ und der „Einsatz für eine transparente Aufklärung der Fälle“ parteiintern „abgestraft“. Stattdessen wurde Wissler als „Opfer einer sexistischen und entwürdigenden Berichterstattung“ bezeichnet und die Affäre ausgesessen. Ein Jahr später seien, so Werner, die meisten Opfer aus der Partei ausgetreten, während Täter und Mitwisser weiterhin Karriere machten. Auch hierüber bringt Werner sein Unbehagen mit seinem bevorzugten Bekenntnis zum Ausdruck, denn er könne „nicht so viel essen, wie er kotzen möchte“. Diese wiederkehrende Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität in Werners Aufnahmevermögen ist bezeichnend.
Die Weltrevolution spielt mittlerweile anderswo

Zu guter Letzt führt Werner noch einen dritten entscheidenden Punkt an, der in ähnlicher Form wohl auch andere Parteien trefflich beschreiben könnte. Die mangelnde „Professionalität, Ehrlichkeit und Ernsthaftigkeit“ innerhalb der Linken käme beispielhaft im parteipolitischen Filz zum Ausdruck, wodurch zwar langjährige Mitarbeiter auf die Straße gesetzt würden, aber „frisch abgewählte Gesichter“ wieder auf Parteiwebseiten auftauchen würden. Landesvorstände, deren Mitglieder nach der Wahl nie mehr zu sehen wären, würden über alles diskutieren, nur nicht über Landespolitik, und ganze Kreisverbände würden aussterben, ohne dass es von den relevanten Instanzen wahrgenommen würde. In Parteitagshotels würde Mobiliar zerstört und damit dem unterbezahlten Hotelpersonal zusätzliche Arbeit aufgebürdet, anstatt für diese Menschen Politik zu machen.

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Werner zeichnet ein Sittenbild der Linken, das von alten Seilschaften und einer „nach uns die Sintflut“-Mentalität geprägt ist. Alte Parteikader greifen – im Falle der #metoo-Affäre sogar wortwörtlich – alles ab, was sie bekommen können, und verteilen die verbliebenen Pfründe unter sich. Der offensichtlich nicht um ein kerniges Zitat verlegene Werner führt abschließend Lothar Späth an: „Mit dieser Truppe kann man nicht mal ein Scheißhaus stürmen“, nur um hinzuzufügen, dass die Linke dieses höchstens in einem Hotelzimmer demolieren könnte.

Für einen „jungen, motivierten Aktivisten“ wie Werner ist solch ein Moloch natürlich Zeitverschwendung, ihn dürstet es nach einer Revolution mit Biss (die dann eben auch schon mal ihre Kinder verschlingen kann). Den Altrevoluzzern der Linken sind jedoch die Zähne mittlerweile ausgefallen, da reicht es nur noch für parteiinterne Grapschereien und – unter dem Einfluss von Flüssignahrung – demolierte Hotelzimmer. Für den bürgerlichen Wähler ist es ein schwacher Trost, dass der Heimathafen von Altstalinisten und Ostalgikern scheinbar in den letzten Zügen liegt. Denn die radikale Wut eines Jan Werner zeigt auch, dass der revolutionäre Geist weiterlebt und längst weitergezogen ist. Der rote Stern wurde gegen die gelbe Sonnenblume auf grünem Grund eingetauscht, nur eins ist gleich geblieben: Die Revoluzzer lesen noch immer den Spiegel und dürfen ihn auch in CC nehmen.

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