Tichys Einblick
Ende 2022 fehlten rund 700.000 Wohnungen

Die Wohnungsnot spitzt sich zu – Bauministerin Klara Geywitz weist Kritik von sich

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt wird immer dramatischer: Bei wachsender Bevölkerung durch Zuwanderung sinkt gleichzeitig das Bauvolumen. Der Grund sind steigende Zinsen und immer strengere Klimaschutzvorgaben, die das Bauen teuer machen. Hoffnung auf Erleichterungen gibt es derzeit nicht.

Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, bei der Vorstellung des Frühjahrsgutachtens 2023 am 14. Februar 2023 in Berlin

IMAGO / Political-Moments

Laut einer Studie, die unlängst das Bündnis Soziales Wohnen vorgestellt hatte, herrscht in Deutschland der größte Wohnungsmangel seit mehr als 20 Jahren. Demnach fehlen derzeit bundesweit 700.000 Wohnungen und das Problem spitze sich wegen der Bevölkerungszunahme weiter zu. Wobei der „Bevölkerungszunahme“ zum einen etwa eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zuzurechnen ist und zum anderen knapp 250.000 Personen im Jahr 2022 aus allen Herren Ländern der Welt, die hierzulande „Asyl“ beanspruchen – in der Regel junge Männer. Im laufenden Jahr 2023 sind es bislang 31.362. Hochgerechnet auf das ganze Jahr also noch einmal mehr als 300.000 Personen.

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Die Wohnungsnot ist jenseits dessen jedenfalls riesengroß. Dennoch weist die Wohnungsbauministerin Klara Geywitz (SPD) jegliche Kritik zurück. Eine von Mieterbund, Baugewerkschaft sowie Sozial- und Branchenverbänden vorgelegte Studie zum Fehlen von Sozialwohnungen beziehe sich auf das Jahr 2021 und damit auf die Arbeit der Vorgängerregierung, sagte Geywitz kürzlich bei ZDFheute live. Solche Zahlen zu verwenden, sei „ein Stück weit unseriös“.

Dagegen moniert Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten in den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Lage werde „immer dramatischer. So laut wie jetzt haben die Alarmglocken des Wohnungsmangels lange nicht mehr geschrillt.“ Er fordert Bund und Länder zu Maßnahmen gegen den Wohnungsmangel auf – „oder wir erleben ein ungeahntes Desaster auf dem Wohnungsmarkt“.

Bundesweit habe das Wohnungsdefizit zum Jahresende 2022 die Größe von rund 700.000 Wohnungen erreicht, heißt es in der Studie des Hannoveraner Pestel Instituts sowie des schleswig-holsteinischen Instituts Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen Kiel (Arge). Dies sei „mehr als die doppelte Jahresproduktion an Wohnungen“.

Fakt ist: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist das reale Bauvolumen 2022 erstmals seit Jahren gesunken, und zwar um rund zwei Prozent. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen dürfte 2022 auf rund 280.000 gefallen sein, so der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes.

Noch eklatanter beziffert die Welt die Wohnungsnot: „1,4 Millionen Menschen werden im Jahr 2024 keine Wohnung mehr finden“. Die Wohnungsknappheit nehme zu, und der Neubau werde sich kaum beschleunigen lassen. „An den Rahmenbedingungen will die Bundesregierung trotzdem nichts ändern.“ Doch mit immer neuen Regeln, vor allem beim Klimaschutz, mache der Gesetzgeber das Bauen immer komplizierter. Hinzu kommen die zahlreichen Bauvorschriften. Für alles und jedes gibt es technische Vorschriften und DIN-Normen, die für den Wohnungsneubau alles komplexer, materialintensiver machen und für einen ständigen Preisanstieg sorgen. Rund 3700 Normen sind für das Bauen in Deutschland relevant.

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Das Frühjahrsgutachten Immobilienwirtschaft kommt zu der Einschätzung: Die Herausforderungen am Wohnungsmarkt sind immens und werden es vorerst bleiben: Der drastische Anstieg der Baupreise und Zinsen ließ im vergangenen Jahr viele Projektplanungen „zerbröseln“, und unter den Akteuren am Wohnungsmarkt kehrte regelrecht Angst ein.

Weiter kolportiert die Welt in Bezug auf jenes Frühjahrsgutachten: Es fehle an finanzieller Förderung, was vor dem Hintergrund gestiegener Zinsen doppelt problematisch sei. Die Bauwirtschaft hatte bereits im vorigen Jahr gewarnt, es drohe ein dramatischer Rückgang im Wohnungsbau. Waren es 2022 noch 280.000 Wohnungen, würden im laufenden Jahr vielleicht 245.000 Wohnungen fertiggestellt.

Bei der Übergabe des sogenannten Frühjahrsgutachtens der Immobilienbranche an Bundesbauministerin Klara Geywitz forderte der ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss e.V.) unter anderem eine neue Bauförderung im Umfang von zehn Milliarden Euro jährlich. Dem erteilte die Ministerin jedoch eine Absage: „Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Geldsumme, die zur Verfügung gestellt wird, und den Bau-Fertigstellungen“, sagte Geywitz.

Das findet auch Ökonom Lars Feld. „Mit zusätzlichen Subventionen wird man den Neubau wenig steigern können.“ Denn die hohen Zinsen – Feld rechne mit fünf bis sechs Prozent kurzfristigen Bauzinsen noch in diesem Jahr – seien ein grundsätzlich begrenzender Faktor ebenso wie begrenzte Kapazitäten und hohe Materialkosten am Bau. Fehlende Fachkräfte sind da offenbar noch gar nicht mit eingerechnet.

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Wird nun also gefördert? Und wenn ja, was? Erst einmal der Neubau von Energiesparhäusern, also besonders energieeffizienter Häuser mit jährlich 750 Millionen Euro über zinsgünstige Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ab dem 1. März 2023. Bis 2026 sollen zudem 14,5 Milliarden Euro für den Bau von Sozialwohnungen bereitstehen.

Erst ab Juni wird es zudem wieder eine Wohneigentumsförderung geben. Familien mit einem Kind sollen bis zu einer Einkommensgrenze von 60.000 Euro zinsgünstige Darlehen der KfW erhalten, für jedes weitere Kind steigt die Einkommensgrenze um 10.000 Euro. Der Kredithöchstbetrag soll bei 240.000 Euro liegen. Das KfW-Förderprogramm soll „Wohneigentum für Familien (WEF)“ heißen.

Allerdings sieht die Immobilienbranche das Problem nicht nur in fehlender Förderung. Nötig seien auch beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren, Baulandausweisung, Nachverdichtung und bundeseinheitliche Bauvorschriften, die serielles Bauen förderten.

Einerseits sieht die Wohnungsbauministerin die Baubranche in der Pflicht, die Produktivität im Bausektor zu steigern, andererseits dürfen sich die Bauherren keine Hoffnungen auf vorübergehende Erleichterungen bei den immer strengeren Klimaschutzvorschriften machen. Zum Beispiel: Ab Anfang 2024, spätestens 2025, wird bei einer endgültigen Heizungshavarie der Einbau einer neuen Gastherme voraussichtlich untersagt. Die Ampelregierung möchte, dass möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben wird. Diesen Anspruch kann in den meisten Fällen allein die mit Strom betriebene Wärmepumpe erfüllen. Denn Strom, so der Gedanke dahinter, ist stets „grün“.

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