Tichys Einblick
Nach TE-Recherche

Wahlniederlage für Merkel-Anhänger: Der Bruch in der Frankfurter CDU

Ein als treuer Merkelianer bekannter CDU-Bundestagsabgeordneter wird nach 12 Jahren abgewählt. Zuvor hatte TE über die autoritäre Praxis in der Frankfurter CDU berichtet. Eine andere Abgeordnete reagiert darauf mit dem Vorwurf der „Parteischädigung“.

IMAGO / Hartenfelser

Die Frankfurter CDU hat mit einer undemokratischen Tradition gebrochen. Wider Erwarten wurde nicht der Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer (59) wieder als Kandidat für den Bundestagswahlkreis Frankfurt-West nominiert. Er gehört der „Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft“ (CDA) an, also dem linken Flügel der Partei. Gewählt wurde statt Zimmer mit Axel Kaufmann (48) ein Vertreter des konservativen Flügels.

Das ist mehr als eine persönliche Niederlage für einen treuen Anhänger von Angela Merkel. Es ist auch ein Bruch mit autoritären Strukturen innerhalb der CDU, die TE kürzlich in einer Recherche am Beispiel Frankfurt beleuchtet hatte.

Seit den 70er Jahren existiert in Frankfurt eine „Übereinkunft“, dass die „Christlich-Demokratische Arbeiternehmerschaft“ (CDA) – der linke Flügel – und die „Mittelstands- und Wirtschaftsunion“ (MIT) – der rechte Flügel – sich die Vergabe der vorderen Listenplätze aufteilen. Das Duopol aus MIT und CDA galt auch jahrelang für die zwei Frankfurter Bundestagswahlkreise: Für Frankfurt-West wurde ein CDA-Mitglied, für Frankfurt-Ost ein MIT-Mitglied nominiert. Die Entscheidungsgewalt und Vergabe der Listenplätze liegt demnach hauptsächlich in den Händen von fünf Politikern: Stadtrat Jan Schneider, Bürgermeister Uwe Becker, Bundestagsabgeordneter Matthias Zimmer, Landtagspräsident und MIT-Vorsitzender Boris Rhein, dessen Stellvertreter Ralf-Norbert Bartelt.

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Die Recherche von TE hatte diese „Übereinkunft“ öffentlich gemacht und damit am Beispiel Frankfurt/Main gezeigt, wie sich innerhalb der CDU ein System der Angst etabliert hat, das zur weitgehenden Entmachtung der Parteibasis der CDU geführt hat. Mitglieder berichteten von Einschüchterungen, die bis zu Erpressung reichen. Die Forderung ist stets: „Entweder politische Gefolgschaft oder du wirst nichts mehr.“ Wer nicht auf der Linie Merkels und des linken Flügels ist, wird innerparteilich bekämpft.

Der Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer, der auch CDA-Kreis- und Landesvorsitzender ist, wollte auch dieses Jahr als Bundestagskandidat für den Wahlkreis Frankfurt-West 182 nominiert werden. Es wäre das vierte Mal seit 2009 gewesen. Zimmer hat sich durch Ausfälle gegenüber Merkel-Kritikern bekannt gemacht und verteidigt Merkels Flüchtlingspolitik. 2017 warnte er in einem Grundsatzpapier vor einem „Rechtsruck“ in der CDU. In Frankfurt gilt er als „treuer Merkelianer“, der 2019 die Grünen-Ikone Claudia Roth in die Stadt einlud, mit der er vorher noch eine Südsee-Reise unternahm.

Doch diesmal traten gegen ihn Axel Kaufmann und Martin Heipertz (45) an, die beide im konservativen Flügel zu verordnen sind. Und der Volkswirt Axel Kaufmann machte das Rennen. Somit ist ein Vertreter des wirtschafts- und finanznahen CDU-Flügels nun als Kandidat für die Bundestagswahl im Wahlkreis Frankfurt-West nominiert, kein CDA-Politiker, wie es der „Übereinkunft“ entsprochen hätte.

Kaufmann sagte in seiner Rede deutlich vor allen Mitgliedern: „Ich bin kein Dschihadist.“ Damit spielte er auf den hessischen CDU-Generalsekretär Manfred Pentz an, der Merz-Anhänger als „Merz-Dschihadisten“ beleidigt hatte. Der Volkswirt, der für die Bankengruppe KfW arbeitet, positionierte sich damit eindeutig gegen die Merkelparteilinie. Kaufmann sagte aber in seiner Rede, dass er sich als Merz-Unterstützer hinter den Kurs des Vorsitzenden Armin Laschet (CDU) stellen wird und rief damit zur Einheit auf.

Stimmungsmache gegen Bewerber

Martin Heipertz erhielt in der Stichwahl gegen Kaufmann nur 12 Stimmen von 90 anwesenden Delegierten. Abgesehen davon, dass Heipertz noch relativ unbekannt ist, könnte dazu auch beigetragen habe, dass der Kreisvorstand ihm mit Verweis auf „Datenschutz“ die Nennung der Delegierten verweigert hatte, so dass er bei ihnen nicht für sich werben konnte. Der noch amtierende Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer kennt jedoch im Gegensatz zu Heipertz die Delegierten und konnte für sich werben, da er im Kreisvorstand sitzt und über Mitarbeiter in der Kreisgeschäftsstelle verfügt. Als Amtsinhaber konnte er also Briefe an CDU-Mitglieder im Wahlkreis versenden. Das brachte ihm zwar letztendlich keinen Erfolg, aber eine Chancengleichheit in diesem Wettbewerb war trotzdem nicht gegeben.

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Auch hielt die Kreisgeschäftsstelle der CDU Frankfurt sich nicht an eine Abmachung bezüglich der Bewerbungen. Diese besagte, dass eine E-Mail mit Anhang zu den Bewerbern über die Kreisgeschäftsstelle an die Delegierten versandt werde. Doch das Begleitschreiben von Martin Heipertz wurde nicht mitversandt. Nachdem dieser sich anscheinend beschwert hatte, verschickte die Kreisgeschäftsstelle sein Begleitschreiben an die Delegierten und alle Frankfurter CDU-Mitglieder mit folgendem Vorspann:

„Da Herr Dr. Heipertz bereits angedeutet hat, dass es ein juristisches Nachspiel haben könnte, wenn seine E-Mail nicht noch nachträglich versandt würde, leiten wir sie Ihnen heute weiter. Die Kandidaten Prof. Dr. Matthias Zimmer und Axel Kaufmann bleiben bei der im Vorfeld vereinbarten Regelung und verzichten auf ein solches zusätzliches Schreiben.“

Dass Heipertz durch diesen Kommentar der Kreisgeschäftsstelle, inbegriffen Stadtrat und Kreisvorsitzender Jan Schneider, in negativem Licht erschien, ist offensichtlich. Außerdem erfuhr TE aus CDU-Kreisen, dass Heipertz nur auf rechtliche Risiken angesichts der Geheimhaltung der Delegierten und fehlenden Chancengleichheit aufmerksam gemacht habe. Auch hier stellt sich die Frage, ob gegen den konservativen Politiker Heipertz Stimmung gemacht wird, weil er eine kritische Stimme in der Partei ist und nicht einer vorgegebenen Linie folgt.

Schon zuvor erwarteten mehrere von TE befragte CDU-Mitglieder, dass Heipertz aufgrund seiner politischen Meinung ausgebremst werde. Denn in den letzten Jahren wurde er beispielsweise bei einer Partei-Veranstaltung gebeten zu gehen. Als er als Sprecher für die Jahresversammlung der Frankfurter Schüler-Union 2020 in die Kreisgeschäftsstelle eingeladen war, wurden plötzlich die Räumlichkeiten gestrichen.

CDA-Mann Matthias Zimmer war sich seines Sieges offenbar sicher – angesichts der alten „Übereinkunft“ von MIT und CDA. Denn sein Wahlkreisleiter hatte vor der Entscheidung der Delegierten bereits die Stadtbezirksverbände gebeten, ihm mitzuteilen, wie viele Plakate für den Bundestagswahlkampf benötigt werden. In der Fragerunde am Samstag kritisierten aber einige Mitglieder Zimmer und sprachen sich für einen Rechtsschwenk der Partei aus.

Recherche von Tichys Einblick als „Parteischädigung“ dargestellt

Im anderen Frankfurter Wahlkreis (Ost 183) war als einzige Bewerberin Bettina Wiesmann aufgestellt. Sie sagte vor allen anwesenden CDU-Mitgliedern und der Presse in ihrer Vorstellungsrede: „Der Artikel in Tichys Einblick betreibt Parteischädigung aus den eigenen Reihen.“ Dafür gab es keinen Applaus und sie wurde mit nur 69 Ja- und 20 Nein-Stimmen nominiert.

Bettina Wiesmann offenbarte mit dieser Aussage die innere Verfassung der CDU: Es darf keine Kritik innerhalb der Partei aufflammen sowie keine Kritik nach außen dringen. Die Mitglieder, die mit TE über ihre ernsten Sorgen und Ängste sprachen, werden als „parteischädigend“ gebrandmarkt. Indirekt hielt sie damit an der traditionellen Parole der „Geschlossenheit“ der CDU fest, die immer gepredigt wird, wenn die Partei besonders auseinander zu driften droht. Doch wie lange kann eine tatsächlich stark gespaltene Partei das aushalten?

Partei Neuen Typs
Gesucht: die innerparteiliche Demokratie der CDU
Die von TE aufgedeckte „Übereinkunft“ des Duopols von CDA und MIT seit den 70er Jahren ist mit der Niederlage Zimmers und dem Sieg Kaufmanns zwar gebrochen worden. Doch wer traut sich jetzt noch innerparteiliche Kritik auszuüben, wenn er als „parteischädigend“ bezeichnet wird? Wiesmanns Worte schüren vermutlich genau die Ängste, von denen die Mitglieder in Gesprächen mit TE berichteten, und verstärken damit die autoritäre Kultur innerhalb der Partei. Wiesmann selbst wurde von CDU-Mitgliedern im Gespräch mit TE als „größtenteils auf Parteilinie“ bezeichnet und ist außerdem als Bundestagsabgeordnete finanziell von der Politik abhängig. Sie ist also auf eine Nominierung angewiesen.

Auffällig ist auch, dass einen Tag vorher die gesamte Presse von den beiden Wahlkreisdelegiertenversammlungen zunächst ausgeschlossen werden sollte. Angeblich könnten wegen der Hygieneregeln in Pandemie-Zeiten nur Delegierte und keine Medien-Vertreter teilnehmen. Wollte die CDU Kreisgeschäftsstelle wegen der TE-Recherche, die in Frankfurt großes Aufsehen erregt hatte, Journalisten außen vor halten? Das hätte also bedeutet, dass die Reaktion auf demokratische Missstände deren Verschärfung gewesen wäre. Gegen Abend änderte sich plötzlich die Regelung: Die Presse durfte schließlich teilnehmen. Wäre die CDU Frankfurt hier nicht zurückgerudert, dann hätte sie es der AfD gleichgetan. Denn die AfD schließt seit 2016 des Öfteren auf ihren Parteitagen die Presse aus – was tatsächlich sogar rechtlich erlaubt ist, solange alle und nicht einzelne Medienvertreter ausgeschlossen sind.

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