Tichys Einblick
Berliner Wahlchaos 2021

Wahl-Klagen in Berlin: Verfassungsgericht schiebt Verfahren auf die ganz lange Bank

Mehr als 30 Klagen gegen die Manipulationen bei der Stimmabgabe bei der Wahl September 2021 liegen mittlerweile vor. Die Richter signalisieren: Sie haben mit ihrer Entscheidung keine Eile.

picture alliance / dpa | Florian Schuh

Als die Einspruchsfrist gegen die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 29. November 2021 ablief, lagen mehr als 30 Klagen beim Berliner Verfassungsgerichtshof. Die Kläger fordern eine Wahlwiederholung wegen gravierender Schlampereien und Manipulationen: Eine bisher noch unbezifferte Zahl von Bürgern konnte nicht abstimmen, weil Stimmzettel fehlten, oder ihre Stimme wurde nicht gewertet, weil in manchen Wahllokalen die falschen Stimmzettel gelandet waren. Dafür nahmen wiederum etliche Minderjährige an der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag teil, obwohl sie eigentlich nur über die Bezirksversammlungen hätten abstimmen dürfen.

Berliner Senat lässt sich Zeit
Berliner Wahlchaos: Keiner der Rechtsverstöße ist bis jetzt aufgeklärt
Seit dem Stichtag 29. November ließ das zuständige Berliner Verfassungsgericht allerdings kaum etwas von sich hören. In Verfassungsgerichtsverfahren laufen keine Fristen – die Richter sind frei, sich den Zeitraum bis zur Entscheidung selbst auszusuchen. Und offenbar wollen die Berliner Juristen diesen Spielraum auch nutzen. Zu den prominentesten Klägern gehört der frühere Abgeordnete der Freien Wähler Marcel Luthe. Bisher gab es eine Reaktion des Gerichts auf seine Klage, und zwar per Schreiben vom 14. Januar: Der Gerichtspräsident kündigte Luthes Anwalt an, es sei jetzt vorgesehen, die Klageunterlagen zu kopieren und sie an die „sehr zahlreichen beteiligten Personen“ zu versenden. Und fragte, ob etwas dagegen spräche, auch die eidesstattlichen Versicherungen einschließlich Namen und Privatadressen der Zeugen mit zu versenden. Damit dokumentierte das Gericht: Mehr als ein Vierteljahr nach der Wahl hatte es sich noch nicht einmal zum ordnungsgemäßen Postversand aufgerafft.

„Es gibt in einer Demokratie keinen wichtigeren Tag als den Wahltag“, so Luthe zu TE. „Und deshalb muss ein solches Desaster wie das Berliner Wahlchaos so schnell wie möglich aufgeklärt werden, wenn man die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht noch weiter beschädigen will. Das weiß auch das Verfassungsgericht.“

Chaoswahl
Wahlwiederholung in Berlin: Regierung trickst, um Klagen zu verzögern
Während Einsprüche gegen das Bundestags-Wahlergebnis keine großen Chancen haben dürften, sind die schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei der Abgeordnetenhauswahl vor Gericht wahrscheinlich nur schwer zu ignorieren. Mehrere Beobachter der Vorgänge halten eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts frühestens im März 2022 für wahrscheinlich.

Noch der alte Berliner Senat hatte unabhängig von den Klagen eine sogenannte „Expertenkommission“ eingerichtet, die die Probleme bei den Wahlen am 26. September aufklären und Vorschläge unterbreiten soll, wie bei den nächsten Wahlen ein Chaos verhindert werden könnte. Berlintypisch ist die große Besetzung: Der Kommission gehören 21 Personen an. Alles, was nötig zur Verhinderung eines erneuten chaotischen Ablaufs wäre, findet sich eigentlich schon in der Berliner Wahlordnung. Die Kommission will ihre Vorschläge trotzdem im März 2022 vorlegen.

Mitglieder sind neben Juristen unter anderem auch Berliner Bezirkswahlleiter und Wahlvorsteher – also diejenigen, die Verantwortung für die Pannen und Peinlichkeiten des 26. September 2021 tragen.

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