Tichys Einblick
Corona-Nudging

VW-Betriebsrat: Druck auf ungeimpfte Mitarbeiter und Maßnahmenkritiker

Der Betriebsrat von Volkswagen versucht Mitarbeiter auf Linie zu bringen. Die Impfung sei eine Sache der Solidarität. „Protestmärsche unter dem Deckmantel von Spaziergängen“ führten nicht weiter.

IMAGO / regios24

In Wolfsburg hat man offenbar Sorge, dass einige Mitarbeiter in Sache Corona nicht auf Linie sein könnten. Anders ist es nicht zu erklären, dass der Betriebsrat von Volkswagen sich in einem Papier nicht nur medizinisch, sondern auch politisch in die Belange der VW-Belegschaft einmischt. Man könnte es „Nudging“ nennen – doch dafür ist die Stellungnahme nicht subtil genug. Eher müsste man von unverdeckter Agitation sprechen. Es handelt sich um eine Kampagne des „Psychologischen Dienstes“ bei Volkswagen. Er liegt der TE-Redaktion in Gänze vor.

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Bereits der Anfangspassus der Mitteilung erinnert an die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in linksliberalen Blättern: „Corona-Leugner, Impf-Gegner, Masken-Verweigerer – die seit nunmehr fast zwei Jahren laufende Pandemie wird immer mehr zur Herausforderung für das demokratische Miteinander.“ Man sehe sich veranlasst, sich aufgrund „aktueller Presseanfragen“ zu Wort zu melden. Offensichtlich will man dem Eindruck vorbeugen, dass Volkswagen nur einen Millimeter von der offiziellen Marschrichtung abweicht.

Corona-Impfung als Frage der Solidarität

Ob man sich gegen Covid-19 spritzen lässt oder nicht, wird demnach zur Gretchenfrage erhoben. Die Betriebsvorsitzende Daniela Cavallo sagt, sich gegen Corona impfen zu lassen oder nicht, habe „automatisch etwas mit Solidarität“ zu tun. Begründung? „Denn geimpft zu sein, schützt auch die, die sich nicht selbst schützen können.“ Entgegen wissenschaftlicher Erkenntnis, die mittlerweile davon ausgeht, dass die Impfung vor allem Eigenschutz gegen einen schweren Verlauf ist, hält man weiterhin an alten Mustern fest. Das Mantra bleibt bestehen: Wer sich nicht impfen lässt, handelt unsolidarisch.

Noch dicker kommt es aber mit einem weiteren Vergleich. Cavallo behauptet: „Das ist wie mit dem Organspendeausweis – eine sehr persönliche Entscheidung, die aber eben Konsequenzen nicht nur für einen selber hat, sondern für die Gesellschaft als Ganzes.“

Das ist eine verblüffende Schlussfolgerung. Als Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn eine doppelte Widerspruchsregelung für die Organspende wollte – heißt: jeder, der nicht ausdrücklich sagt, er wolle nicht spenden, ist Organspender –, gab es eine breit geführte Debatte in Deutschland, die auch im Bundestag ganz verschiedene Lager zusammenführte. Dieser Eingriff galt als so schwerwiegend, dass Spahns Projekt zuletzt kippte. Statt einem aufgezwungenen Organspendeausweis für jeden – aus Solidarität –, einigte man sich nur auf bessere Beratung. Der Vergleich zur Organspende ist also genau das Gegenteil. Die Debatte bestätigte das Selbstbestimmungsrecht.

VW-Betriebsrat Cavallo: Protestmärsche tragen nichts zur Überwindung der Pandemie bei

Die Impfung gilt für Cavallo nicht nur als „einzige Chance, die Pandemie hinter sich zu lassen“. Der sicherste Weg zurück in die Normalität zurück sei neben der Impfung nur durch die Einhaltung der Corona-Regeln zu erreichen. Zitat: „Protestmärsche unter dem Deckmantel eines Spaziergangs ohne Einhaltung der Regeln tragen nichts zur Überwindung der Pandemie bei, sondern erhöhen die Infektionsgefahren weiter.“ Ganz abgesehen davon, dass das Thema „Aerosole im Freien“ längst geklärt ist, scheint es Cavallo mit den Grundrechten wie Versammlungsfreiheit nicht so genau zu nehmen. Will hier ein Betriebsrat tatsächlich darüber mitreden, zu welchen Protestveranstaltungen VW-Mitarbeiter in ihrer Freizeit gehen dürfen und zu welchen nicht?

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Wie erwähnt, macht der Betriebsrat nicht deutlich, warum und wieso er sich dazu gezwungen sieht, sich derart offensiv in der Öffentlichkeit zu äußern. Erst zwischen den Zeilen teilt uns Cavallo mit, dass es da wohl einen Vorfall gab, den sie aber nicht näher beleuchtet: „Wer in Offenen Briefen allen Ernstes die Umsetzung staatlicher Corona-Auflagen an den VW-Werkstoren zum Schutze der Menschen in Bezug zum Nationalsozialismus setzt, sollte sich abgrundtief schämen. Allein der Versuch eines solches Vergleichs und damit einer Relativierung der Nazi-Verbrechen ist aufs Schärfste zu verurteilen! Das gilt gerade für ein Unternehmen wie Volkswagen.“

Da liegt also der Hase im Pfeffer begraben. Wegen eines Falls, dessen genauere Umstände man nicht herauslesen kann, aber bei dem die Maßnahmen massiv kritisiert wurden, hat man Angst, dass Volkswagen nicht mehr als der freundliche De-facto-Staatskonzern mit sozialdemokratischem Stallgeruch gesehen wird, der er sein soll. Diesem Eindruck soll offenbar mit allen Mitteln entgegengearbeitet werden. Da kann man auch die eigenen Leute zur Impfung drängen oder Corona-Demos kritisieren. Hauptsache: Das Unternehmen erscheint weiter konform, koste es, was es wolle.

VW-Gesundheitschef: Es gibt keinen rationalen Grund, sich einer Impfung zu verweigern

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Zündstoff bietet offensichtlich die 3G-Regelung am Arbeitsplatz. Ansonsten müsste der Arbeitsdirektor der Volkswagen AG, Gunnar Kilian, nicht eben jene in höchsten Tönen loben. „Jenseits der Frage der gesetzlichen Regelungen geht es bei dem Nachweis der 3 G Regelung vor allem auch um den Schutz jedes einzelnen“, schreibt Kilian. Außerdem lobt er die großen Erfolge bei der doppelten Impfung und Booster-Impfung. Das sei „ein Erfolg, auf den wir gemeinsam stolz sein können“. Und Lars Nachbar, der Leiter des VW-Gesundheitswesens, sagt: „Die Impfung stellt den kontrollierten Weg dar, bei dem wir die Risiken und Nebenwirkungen gut kennen und diese einschätzen können. Daher gibt es keinen rationalen Grund, sich einer Impfung zu verweigern.“

Angehängt sind den Stellungnahmen die üblichen Impfhinweise und Erklärungspapiere zu den Covid-19-Impfstoffen. Was als freundlicher Ratgeber daherkommt, ist die neuerliche Moralisierung der Impffrage. Noch einmal Cavallo: „Ich sehe in niemandem, der sich nicht impfen lassen möchte, einen schlechteren Menschen. Aber ich persönlich kann die Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen, nicht nachvollziehen.“ Aber genau das Gegenteil ist richtig. Indem Cavallo etwa zwischen solidarischen und unsolidarischen Personen und zwischen guten und schlechten Demonstranten unterscheidet, macht sie klar, wer ein guter oder schlechter Mensch ist. Und wer will schon ein schlechter Mensch – oder gar schlechter VW-Mitarbeiter sein?

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