Tichys Einblick
Urteil zur Pfleger-Impfpflicht

„Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“: Bundesverfassungsgericht rügt Lauterbachs Genesenen-Coup

Das Bundesverfassungsgericht hat Eilanträge gegen die Impfpflicht abgelehnt – mit teilweise denkwürdiger Begründung. An einer Stelle wird die Entscheidung aber regierungskritisch – es geht um den Genesenenstatus.

IMAGO / Chris Emil Janßen
Das Bundesverfassungsgericht hat die Eilanträge gegen die Impfpflicht für das medizinische Personal abgelehnt. Das war zu erwarten. Die Entscheidung ist auch  kein Urteil in der Sache, sondern wägt lediglich ab, ob die potentiell negativen Folgen einer Impfpflicht eine vorläufige Außervollzugsetzung rechtfertigen würden. Das verneint das Gericht: „Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung steht die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber“.

Bis zum 3. Februar waren 74 Verfassungsbeschwerden von rund 300 Klägern eingegangen.

Die Begründung der Entscheidung wirft indes Fragen auf. Im Beschluss heißt es etwa: „Allerdings verlangt das Gesetz den Betroffenen nicht unausweichlich ab, sich impfen zu lassen. Für jene, die eine Impfung vermeiden wollen, kann dies zwar vorübergehend mit einem Wechsel der bislang ausgeübten Tätigkeit oder des Arbeitsplatzes oder sogar mit der Aufgabe des Berufs verbunden sein.“
Ein „vorübergehender“ Verlust des Arbeitsplatzes sei für die Betroffenen hinzunehmen? Im Netz sorgte das schnell für Empörung.

Auch findet das Gericht: „Hochaltrige Menschen sowie Menschen mit Vorerkrankungen, einem geschwächten Immunsystem oder mit Behinderungen (vulnerable Gruppen) wären dann in der Zeit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einer deutlich größeren Gefahr ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren und deshalb schwer oder gar tödlich zu erkranken.“ Diese Sichtweise ist angesichts der Omikron-Welle zumindest umstritten. Sätze wie dieser lassen aber darauf schließen, wie das Bundesverfassungsgericht über diese und möglicherweise eine allgemeine Impfpflicht am Ende entscheiden wird.

Kritisch wird das Gericht hingegen bei der Regelung des Genesenen- und Geimpftenstatus im Gesetz. Wie in nahezu allen gesetzlichen Regelungen zu der Frage auch, wird hier einfach auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verwiesen, die wiederum auf die Website des Robert-Koch-Instituts verweist. Lauterbach holte sich so fast uneingeschränkte Handlungsfreiheit in der Frage. Bereits die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages meldeten verfassungsrechtliche Bedenken an.

Auch das Bundesverfassungsgericht äußert sich nun dazu. So heißt es:

„Es bestehen aber jedenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik. Es handelt sich hier um eine doppelte dynamische Verweisung, da zunächst der Gesetzgeber auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweist, die ihrerseits aber dann zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweis auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweist.“

Das hat zwar zunächst keine Folgen, ist aber blamabel für den ohnehin angeschlagenen Bundesgesundheitsminister. Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück die Regelung für verfassungswidrig erklärt. In der Sache sieht das Bundesverfassungsgericht dies offenbar ähnlich.

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