Tichys Einblick
Gegen den Trend

Zahl der Selbsttötungen ist in Deutschland 2020 gestiegen

Die Zahl der statistisch erfassten Selbstmorde ist in Deutschland im Jahr 2020 um 165 auf 9206 Fälle gestiegen. In den vergangenen 40 Jahren war der Trend massiv rückläufig. Eine Dunkelziffer gab es in der Erfassung der Selbstmorde schon lange – aktuelle Trends befördern indes ihr Wachsen.

9206 Suizide meldet das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020. Das entspricht einem Schnitt von mehr als 25 Menschen pro Tag. Noch vor 40 Jahren waren es doppelt so viele. Erklärungen für den langfristigen Rückgang fallen schwer. Das Fachportal Therapie.de hält mehr Aufklärung für einen Grund. Doch 1981 war die Fallzahl im Vergleich zum Jahr 1980 deutlich gestiegen und das obwohl das ZDF gerade den prominent besetzten Sechsteiler „Tod eines Schülers“ gezeigt hatte, der nach der Ausstrahlung gesellschaftlich breit diskutiert wurde.

Ein anderer möglicher Grund, den Therapie.de nennt, ist pragmatisch: Medikamente, die potentiell zu tödlichen Überdosen führen können, würden heutzutage in deutlich geringeren Mengen verschrieben. Vergiftungen sind in der Tat nicht der meist gewählte Weg zum Selbstmord: In rund 1700 gemeldeten Fällen brachten sich Menschen durch Vergiftungen mit unterschiedlichen Stoffen ums Leben.

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Mit rund 4200 gemeldeten Fälle ist Erhängen der häufigste Weg zum Selbstmord. In rund 650 Fällen war es Erschießen, in knapp 500 Fällen haben sich Menschen vor ein sich bewegendes Objekt geworfen und in über 400 Fällen sich mit einem entsprechend spitzen Gegenstand tödlich verletzt.

Stirbt jemand durch den Strick, besteht kein Zweifel, dass es keine natürliche Todesursache war. Bei Vergiftungen ist das anders. Sie müssen gegebenenfalls erst als Morde oder Selbstmorde erkannt werden. Das kann die normale Leichenschau nicht immer leisten – die Pathologie indes schon.

Doch in Deutschland gibt es zu wenige Pathologen, wie im Februar unter anderem der NDR berichtet hat: „Die Pathologischen Institute sind chronisch unterfinanziert, es gibt zu wenige Mitarbeiter, die Obduktionsquote seit Jahren zu niedrig, der Grad der Ausbildung angehender Mediziner auf dem Feld der Pathologie ist unzureichend und stetig abnehmend.“

Laut Therapie.de wirkt sich das auf die Ermittlung der Suizid-Zahlen aus: „Eine hundertprozentig exakte Ermittlung der tatsächlichen Zahlen für Suizide und Selbsttötungsversuche ist methodisch schwierig. Die in Statistiken und Studien erfassten Zahlen müssen daher als Näherungswerte angesehen werden.“ Zum einen würden Selbstmorde mitunter nicht als solche erkannt. Zum anderen würden einige vertuscht, etwa von Verwandten aus Scham oder aus religiösen Motiven.

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Dass um Weihnachten oder generell in der dunklen Jahreszeit die Zahl der Selbstmorde steigt, ist wohl falsch. Nach einer Studie der OECD ist es das späte Frühjahr, in dem die Zahlen steigen. Zur Frage, warum das so ist, gibt es laut OECD bisher nur Theorien. Eine lautet: Im Winter erlebten Depressive eine Art Solidarität, weil dann auch gesündere Menschen unter Kälte und Lichtmangel litten. Im Frühjahr fühlten sie sich umso einsamer, da dann viele die Schönheiten des Lebens genießen würden und sie sich außen vor fühlten.

Statistisch gesichert ist: Männer begehen deutlich häufiger Suizid als Frauen – 2020 war es laut Statistischem Bundesamt in drei Viertel aller Fälle so. Die mit Abstand höchsten Zahlen finden sich bei beiden Geschlechtern in den Altersgruppen zwischen 50 und 65 Jahren. Mit 878 Fällen ist aber auch die Gruppe der Menschen zwischen 80 und 85 Jahren stark vertreten. Im Jahr 2020 haben sich 15 Jungen und zehn Mädchen im Alter zwischen zehn und 15 Jahren laut Statistik selbst umgebracht. Kinder unter zehn Jahren waren demnach nicht dabei.


Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.