Tichys Einblick
Gegen kleine Länder besonders anmaßend

SPD-Abgeordnete will aus Waldshut die Schweiz regieren

Für die Sozialdemokratin und Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter ist es wohl zu verlockend, von Waldshut aus den Nachbarn Schweiz zu regieren.

Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images
Die Sozialdemokratin und Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter möchte als Deutsche ein Anrecht haben, die Politik der Schweiz mitzubestimmen. Was zunächst wie eine Posse klingt, hat eine wahren Kern, wenn die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium und Kuratoriumsvorsitzende der Deutschen Bundesstiftung Umwelt angesichts Schweizer Atomkraftwerke nahe der deutschen Grenze „Mitsprachemöglichkeiten“ fordert, wie aktuell die Neue Züricher Zeitung berichtet und schreibt: „Schwarzelühr-Sutter will sich offenbar nicht damit abfinden, dass die Schweiz bei der Nutzung der Kernenergie einen anderen Weg geht, als Deutschland.“

Dazu muss man wissen, dass Staatssekretärin im Bundesumweltministerium auch schon den Stallgeruch der großen Weltpolitik gerochen hat, als sie im September 2015 gemeinsam mit Kanzlerin Merkel und der damaligen Umweltministerin Hendricks die Delegation vor den vereinten Nationen anführte, als es um die Verhandlungen zur so genannten „2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung“ ging. Aber kann so eine Weltbewegtheit so weit gehen, den Schweizern Vorschriften machen zu wollen, wie die ihre Energieversorgung gestalten?

Na gut, aus umweltaktivistischer Sicht ist das folgerichtig, schließlich würde ein Gau so eines Kernkraftwerkes in Schweiz wahrscheinlich auch weite Teile Deutschlands kontaminieren. Manch einer mag darüber grinsen, aber wir blättern zurück und erinnern uns, dass noch 2016 die Welt zu den Folgen der Reaktorkatastrophe titelte: „Bayerns Pilze und Wildschweine strahlen immer noch“.

Nun ist es allerdings nicht so, dass die Schweiz etwa ein Kernkraftwerk nach dem anderen ans Netz nähme, das Gegenteil ist der Fall, wenn im Nachbarland aktuell eine handvoll Kernkraftwerke betrieben werden (allesamt vor 1985 ans Netz gegangen) und diverse Volksabstimmungen gegen Atomstrom scheiterten. Allerdings entscheid sich der Schweizer Bundesrat schon 2011 für einen langfristigen Atomausstieg. Heißt: Es wird nach Ende der Laufzeiten der bestehenden wohl auch keine neuen Atomkraftwerke mehr in der Schweiz geben. Bei einer Annahme von fünfzig Jahren Laufzeit wäre die Schweiz dann in kaum zwei Jahrzehnten ohne Atomstrom.

Was also bezweckt die deutsche Staatssekretärin mit ihrem Vorstoß, wenn es ihr nicht nur darum geht, beispielsweise die deutschen Nachbarn auf der einem Schweizer Kernkraftwerk gegenüberliegenden Rheinseite zu verunsichern, wenn sie von einer „fatalen Fehlentwicklung in der Schweizer Atompolitik“ spricht und ein Mitspracherecht der Deutschen fordert, wenn es um Laufzeiten der Atomkraftwerke geht?

Der Spiegel machte schon 2011 den passenden Titel: „AKW in Nachbarländern – Direkt hinter der Grenze lauert die Gefahr“. Alarmistisch hieß es da: „Der schnelle Ausstieg schützt Deutschland nicht hundertprozentig vor den Folgen eines möglichen Gaus: Bei den europäischen Nachbarn stehen viele Risikoreaktoren – sie könnten weite Teile der Bundesrepublik verstrahlen.“

Belgien, Frankreich, Tschechien, Schweiz – überall lauere die Gefahr grenznah, hieß es damals. EU-weit seien mehr als 90 Atomkraftwerke am Netz. Deutschland will bis 2022 aus der Atomenergie ausgestiegen sein, längst ist diese Energieform kein relevantes Thema mehr, wenn mit dem Ende der Kohlekraft spätestens 2038 bereits der nächste Ausstieg geplant ist.

Atomstrom ist nun allerdings neben Wind- und Sonnenergie jedenfalls dem Prinzip nach eine Alternative zu fossilen Energiequellen. Das macht sie neuerdings wieder interessanter, wenn beispielsweise n-tv beinahe ketzerisch fragt: „Eine Überlegung: Der massive Einsatz von Atomenergie könnte das CO2-Problem lösen.“ Und noch klimaketzerischer: „Wäre es nicht möglich, die gesamte Erde mit Atomkraft vor dem Klimakollaps zu retten?“

Die Parlamentarische Staatssekretärin hatte dazu (auf der Atomkonferenz des Deutschen Bundestages 2018  im Ton einer Klimaaktivisten) freilich ihre ganz eigene Meinung: „Was mir allerdings zunehmend Sorge bereitet, ist, dass Atomenergie im Rahmen der Klimadiskussion Rückenwind erhält: Atomenergie wird als nahezu CO2-freie Art der Energiegewinnung als „grüne Technologie“ und klimaschonende Alternativenergie – bis hin als Beitrag zur Dekarbonisierungsdebatte – gehandelt. Wir treten dem natürlich entschieden entgegen und verweisen darauf, dass uns mit den erneuerbaren Energien wesentlich günstigere, sicherere und nachhaltigere Energietechnologien zur Verfügung stehen.“ Schon damals erklärte Schwarzelühr-Sutter:

„Unabhängig von dem formalen Akt einer Benachrichtigung (Notifizierung) durch den Ursprungsstaat wollen wir eine deutsche Beteiligung immer dann einfordern, wenn erhebliche nachteilige Auswirkungen auf unser Staatsgebiet, unsere Bevölkerung in Betracht kommen. Dabei wollen wir einen abgestuften Ansatz befolgen, orientiert an Entfernung und Gefährdungspotenzial der ausländischen Anlage.“

Gegenüber Frankreich allerdings klingt das deutlich verhaltener, als aktuell gegenüber der Schweiz. Da vermeldete der Spiegel noch 2017: „Frankreichs Uralt-AKW bleibt am Netz“. Jetzt ist für das elsässische Kernkraftwerk Fessenheim eine Abschaltung für 2020 geplant bei hohen Entschädigungssummen für die Betreiber nach deutschem Vorbild. Und während man sich interessiert fragt, ob und wenn, um welche Ecken herum Frankreich diese Entschädigungssummen von diesem umweltbewegtem Deutschland subventioniert bekommt, freute sich die Deutsche Sozialdemokratin Anfang 2017: „Als zuständige Staatssekretärin für Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium freut es mich besonders, dass auch der Druck der Bundesregierung Wirkung gezeigt hat. Es liegt jetzt an der französischen Regierung ihre Wahlversprechen einzuhalten und die Stilllegung des Pannenreaktors schnell umzusetzen.“

Deutschland fordert also über das Bundesumweltministerium und über Rita Schwarzelühr-Sutter die Schweiz dazu auf, den Betrieb ihrer Atomkraftwerke aus Sicherheitsgründen zeitnah einzustellen. Große Worte, große Politik. Und sicher viel aufregender, als was sonst so auf dem Programm steht an Aktivitäten der Politikerin nur des letzten Monats, wenn sie ein Sanitätshaus besucht, sich dort beeindruckt zeigt über Sichelfußschienchen schon für Wochenbabys, wenn sie Besuch bekommt in Berlin von der Feuerwehr Waldshut-Tiengen oder wenn Schwarzelühr-Sutter der Bürgermeisterin der Stadt Reutlingen ein Klimaschutz-Zertifikat für die erfolgreiche Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur übergeben darf.

Das sind wohl die Höhen und Tiefen der Politikarbeit. Jetzt hat sich die Parlamentarische Staatssekretärin mit einem Schreiben an Simonetta Sommaruga, die Schweizer Bundesrätin für Umwelt, gewandt mit der Forderung einer beschleunigten Abschaltung der Schweizer Atomkraftwerke. Klar, wenn wir die Welt retten wollen, dann muss das grenzüberschreitend passieren, wenn Rita Schwarzelühr-Sutter in ihrem Schreiben fordert: „Aus meiner Sicht ist es zwingend, dass die Schweiz bei Entscheidungen über längere Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke die Bevölkerung ihrer Nachbarstaaten einbezieht.“

Aber wie stellt sich die Deutsche das eigentlich vor? Sollen Volksentscheide in der Schweiz demnächst grenzüberschreitend abgestimmt werden – möglicherweise berechnet von Wissenschaftlern, die schauen, welche Deutschen bei welchen Windverhältnissen von einem Gau Schweizer Atomkraftwerke betroffen sein müssten, die dann also stimmberechtigt wären? Und was kommt als nächstes? Was wäre noch alles grenzüberschreitend von Bedeutung? Abstimmungen über Impfungen, wenn doch Epidemien nicht vor Grenzen halt machen? Der gesamte Komplex der Migration sowieso, wenn es keine sicheren Grenzen gäbe?

Eine deutsche Hybris kommt über Europa. Deutschland dürfe in der Migrationsfrage nicht „der Lehrmeister Europas“ sein, wie Peter Altmaier der Zeit Mitte 2016 weiß zu machen versuchte, als die Massenzuwanderungspolitik der Kanzlerin das Bild Europas nachhaltig veränderte und die EU in die größte Krise seit Bestehen stürzte.

Jetzt will Deutschland in Umweltfragen gleich der Lehrmeister der ganzen Welt sein und also auch der Schweiz. Tja, da muss sich die angesprochene Schweiz jetzt wohl entscheiden zwischen: „Bis denn fliest no vill Wasser de Rhy derab.“ und „De Gschider git na, de Esel blibt sta.“?

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