Tichys Einblick
Interview

Rainer Wendt: „Europas Grenzen sind offen wie Scheunentore“

Polizeigewerkschafts-Chef Rainer Wendt fordert Konsequenzen aus dem Fall des zurückgekehrten Clanchefs Miri: vor allem mehr Befugnisse für die Polizei.

imago images / Christian Ditsch

TE: Herr Wendt, im letzten TE-Interview hatten Sie die Abschiebung des Bremer Clan-Chefs Miri in den Libanon als wichtigen Schlag gegen die Clankriminalität gelobt. Jetzt ist er wieder da, trotz Einreisesperre. Wird hier der Rechtsstaat lächerlich gemacht?

Rainer Wendt: Dieser Vorgang wird von vielen Einsatzkräften als Schlag ins Gesicht empfunden; der Rechtsstaat scheint wehrlos und der riesige Aufwand nutzlos. Und eine entsetzte Öffentlichkeit muss ohnmächtig zuschauen, wie ein einzelner Krimineller offen und ohne Scheu erneut straffällig wird, und die Möglichkeiten des liberalen Rechtsstaates eiskalt für sich nutzt.

Wir alle beklagen eine zunehmende Verdrossenheit und Ablehnung bei vielen Menschen, was die staatliche Autorität angeht. Aber darüber darf sich eigentlich niemand wundern, wenn die Menschen den Eindruck haben müssen, dass wir diesem hohen Maß an Frechheit und krimineller Energie nichts entgegenzusetzen haben.

Was glauben Sie – wie entwickelt sich der Fall weiter?

Das Schlimmste wäre, wenn der Mann wieder in Freiheit käme. Leider ist das alles andere als ausgeschlossen.

Ist schon etwas darüber bekannt, wie Miri wieder eingereist ist?

Abgeschoben und einfach zurückgekommen
Er ist wieder da: Clan-Boss Miri bleibt wegen "günstiger Sozialprognose"
Er schweigt sich darüber aus, soll aber angegeben haben, sich eines „Schleppers“ bedient zu haben. Außerdem hat er sich selbst wegen der damit verbundenen Straftaten angezeigt, was zu einem sofortigen Widerruf seiner Bewährung führen müsste. Damit wäre sichergestellt, dass er in eine Justizvollzugsanstalt kommt, aus der heraus er wieder abgeschoben werden kann. Aber dies alles ist ja eigentlich an Absurdität kaum noch zu überbieten. Dieser Mann lacht dem Staat frech ins Gesicht.

Miri ist ja ein prominenter Fall, aber seine Rückkehr nach Deutschland alles andere als singulär: Mittlerweile kehrt etwa jeder dritte Abgeschobene wieder illegal nach Deutschland zurück. Müsste nicht erst einmal das Asylverfahrensgesetz so geändert werden, dass Leute, die schon einmal abgelehnt wurden, nicht noch einmal mit der gleichen Geschichte das Asylverfahren durchlaufen können?

Glücklicherweise denken jetzt einige Politiker darüber nach. Es wäre dringend nötig, die wiederholte Antragstellung zu begrenzen. Das Asylrecht ist ein wichtiges Menschenrecht, das erhalten werden muss. Umso wichtiger ist es, es vor offensichtlichem Missbrauch zu schützen.

Welche gesetzlichen Möglichkeiten müssten geschaffen werden, damit der offensichtliche Missbrauch des Asylrechts nicht mehr so dreist möglich ist?

Zunächst muss der politische Wille und die Einigkeit in der Bundesregierung bei diesem Thema her, damit es überhaupt zu Veränderungen kommt. Diesen politischen Willen kann ich in der Großen Koalition noch nicht erkennen.

Nach Paragraf 58a Aufenthaltsgesetz kann der Bundesinnenminister eine Abschiebung auch direkt an sich ziehen. Sollte er das im Fall Miri tun?
Und: braucht der Bund ein zentrales Abschiebegefängnis?

Der Innenminister lässt sich Presseberichten zufolge laufend über den aktuellen Stand informieren. Bei der Abschiebung vor wenigen Monaten hat die Bundespolizei eine entscheidende Rolle gespielt. Es ist also in guter Zusammenarbeit zwischen Land und Bund durchaus möglich, dass man erfolgreich ist, wenn alle Beteiligten das wollen. Dazu zählt auch die Einrichtung von Abschiebegewahrsamsmöglichkeiten in den Ländern. Die sind vielfach auch vorhanden, aber es muss davon auch Gebrauch gemacht werden.

Es gab sogar einmal einen bayerischen Plan – allerdings vor Seehofers Wechsel ins Innenministerium – Abschiebungen generell beim Bund zu zentralisieren. Wäre das aus Ihrer Sicht sinnvoll? Dann könnten sich Leute wie Miri zumindest nicht das Bundesland ihrer Wahl aussuchen.

Die Länder haben eine Zuständigkeit, auf die sie ja auch immer wieder pochen. Deshalb sind sie auch in der Pflicht, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Aber insbesondere bei Gefährdern und Schwerkriminellen ist eine Stärkung der Möglichkeiten des Bundes notwendig. Und wenn die Länder flächendeckend Ankerzentren einrichten und für die Durchsetzung von Residenzpflichten sorgen würden, wären wir einen gehörigen Schritt weiter.

Was müsste Ihrer Meinung nach an den Grenzen passieren? Wieder Kontrolle, so wie die Dänen und punktuell die Franzosen es schon handhaben?

Die Bundespolizei nimmt gemeinsam mit den Landespolizeien ja schon viele grenzpolizeiliche Aufgaben im Rahmen der so genannten Schleierfahndung wahr. Außerdem sind viele Kräfte der Bundespolizei und der bayerischen Polizei an den festen Kontrollstellen in Bayern gebunden. Die vielen Aufgriffe zeigen, dass diese Arbeit wertvoll und auch für die allgemeine Kriminalitätsbekämpfung wichtig ist. Auch und gerade angesichts eines größer werdenden Migrationsdrucks sollte die Bundespolizei wieder mit allen Kontroll- und Zurückweisungsbefugnissen ausgestattet werden, die erforderlich sind, um illegale Migration nach Deutschland zu unterbinden. Das ist sowohl an den Landgrenzen als auch an unseren Flughäfen wichtig, um wieder die Kontrolle zu bekommen, die im Moment nicht da ist. Das ist es doch auch, was viele Menschen so massiv verunsichert: dass die europäischen Grenzen offen wie Scheunentore sind und wir die Kontrolle über unsere nationalen Grenzen nahezu vollständig aufgegeben haben. Das führt dann auch zu Wahlergebnissen, die niemand haben will.

Gegner einer stärkeren Grenzkontrolle argumentieren: wenn der Staat an der Grenze überall wieder Kontrollen einführt, dann wäre der Schaden für die Wirtschaft unzumutbar.

Natürlich kann man nicht immer jede illegale Migration verhindern, denn niemand will rund um Deutschland herum die alten Kontrollhäuschen und lange Staus zurück. Aber die derzeitige Situation mit dem Verbot der Zurückweisung durch die Bundespolizei, die übrigens im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist, kann so nicht bleiben.

Anzeige