Tichys Einblick
Der berühmte doppelte Standard

Prinzipientreue und Gedächtnis der Sozialdemokraten

Verfassungsfeinde dürften nicht ans Verfassungsgericht gewählt werden, tönt die SPD. Dabei hatte sie genau das 2020 getan – als sie eine radikale Linkspartei-Vertreterin zur Verfassungsrichterin machte.

IMAGO/photothek
Der Landtag von Baden-Württemberg wählte mit dem AfD-Abgeordneten Bert Matthias Gärtner am Donnerstag zum ersten Mal einen Vertreter der rechten Partei an das Landesverfassungsgericht. Gärtner bekam im dritten Wahlgang 37 Ja-Stimmen, 77 Abgeordnete enthielten sich, 32 Parlamentarier stimmten mit Nein. Da die AfD-Fraktion 17 Abgeordnete zählt, bekam Gärtner also auch Stimmen aus anderen Fraktionen. Die baden-württembergische SPD warf den anderen Parteien vor, den AfD-Kandidaten nicht verhindert zu haben, und erklärte, sie habe geschlossen gegen Gärtner gestimmt. Ihre Entscheidung begründete sie so: „Verfassungsfeinde wählt man nicht in den Verfassungsgerichtshof“.

Der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke twitterte eine indirekte Rüge an seine Parteifreunde, die dem Beispiel der SPD nicht geschlossen gefolgt waren: „Wenn Nazis Spiele spielen, dann erwarte ich von jedem, dass er den Rücken gerade macht.“

Die Grünen-Politikerin Renate Künast maßregelte die Grünen-Mitglieder im Südwesten dafür, weil sie nicht gegen den AfD-Kandidaten gestimmt, sondern sich überwiegend enthalten hatten:

Ein schlechtes Gedächtnis zeichnet sowohl SPD als auch CDU aus – beziehungsweise die Hoffnung auf die flüchtige Erinnerung der Bürger.

Mehr als die anderen spielt allerdings die SPD die prinzipientreue Kraft mit ihrer Grundsatzerklärung: „Verfassungsfeinde wählt man nicht in den Verfassungsgerichtshof“.

Denn genau das hatten die Sozialdemokraten als stärkste Partei in Mecklenburg-Vorpommern erst 2020 getan – indem sie die Landtagsabgeordnete Barbara Borchardt zur Richterin am dortigen Landesverfassungsgericht wählten.

Damals bekam die Linken-Kandidatin auch die Stimmen der CDU. Die Politikerin gehört zu den prominenten Mitgliedern der Plattform „Antikapitalistische Linke“, die vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Nach eigenen Angaben strebt die Plattform einen „grundsätzlichen Systemwechsel“ an.

Borchardt trat 1976 in die SED ein, die ab 1989 mehrfach umbenannt wurde und heute als ‚Die Linke’ firmiert. Zu DDR-Zeiten arbeitete als Angestellte beim Rat des Kreises Templin; 1977 begann sie ein Fernstudium der DDR-Staats- und Rechtswissenschaft, das sie aber 1978 abbrach. Neben ihrer Amtstätigkeit als Bürgermeisterin der Gemeinde Groß Daberkow absolvierte sie später von 1986 bis 1990 ein Fernstudium zur DDR-Diplomjuristin. Borchardt profitierte von der Regelung des Einigungsvertrags, der die in der DDR erworbenen Studienabschlüsse mit westdeutschen gleichstellte – auch, wenn sie sich etwa auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften stark unterschieden.

In Mecklenburg-Vorpommern verteidigten SPD-Politiker damals ausdrücklich die Wahl Borchardts, obwohl sie über ihr Engagement in einer verfassungswidrigen Organisation Bescheid wussten.

Ein bemerkenswertes Geschichtsverständnis beweist die SPD in Baden-Württemberg auch durch ihren getwitterten Anspruch: „Für uns gilt seit 158 Jahren: klare Kante gegen Rechts & kein Fußbreit dem Faschismus.“

Damit setzt sie nicht nur die AfD pauschal mit faschistischen Bewegungen gleich, sondern erklärt den Faschismus historisch auch zu einem Langzeitphänomen: Schon in der Ära von Kaiser Wilhelm I. kämpfte sie offenbar dafür, Faschisten keinen Fußbreit zu überlassen.

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