Tichys Einblick
Pressekonferenz zu Würzburg, KKK zu Mali

Die Banalität des Schreckens und wie man sie nicht in den Griff bekommt

Die Riege der immer gleichen Offiziellen sollte zu der Einsicht gelangen, dass das gebetsmühlenhafte Aufsagen holzschnittartiger Sätze und das Überbetonen des Umstands, dass man als Minister oder aber auch Präsident in Gedanken bei den Angehörigen sei, einfach nicht genügt.

Christian Schuchardt (CDU, l), Oberbürgermeister von Würzburg, und Joachim Herrmann (CSU, M), bayerischer Innenminister, verfolgen eine Pressekonferenz zur Messerattacke in der Würzburger Innenstadt.

picture alliance/dpa | Karl-Josef Hildenbrand

Nicht genug damit, dass man sich im Deutschland des 21. Jahrhunderts mit neuen Bedrohungen abfinden muss; Nein, es ist mittlerweile unschöner Brauch, dass führende Politiker und Beamte an selbst eingebildeter oder tatsächlich tragender Stelle in unserem Staat meinen, sich alsbald und regelmäßig im Internet oder vor Kameras und Mikrofonen zu Schrecklichkeiten melden zu müssen. Obwohl sie diese Anlässe immer wieder als „unbegreiflich“ oder „unfassbar“ bezeichnen, ihnen dazu also in Wahrheit die Worte fehlen.

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Warum? Weil sie damit irgend jemandem tatsächlich dabei helfen, das entsetzliche Erlebnis, den Angriff, die Verletzung besser zu bewältigen? Oder vielleicht doch nur, weil sie es als ihre Pflicht sehen, etwas Bedeutungsvolles, Gewichtiges zum Thema von sich zu geben? Vielleicht ist dieser schnelle Schritt vor die Presse im Zeitalter geschwinder Messengerdienste und blitzschneller Nachrichtenübermittlung verständlich, man möchte sich einfach an die Spitze setzen, den ersten Zug machen, bevor es vielleicht Andere vor einem tun. Oder auch nicht die letzten sein. Andere, die evtl. einen weniger konzilianten, versöhnlichen und neutralen Ton treffen könnten. Hier Frau Kramp-Karrenbauer, bei t-online fälschlicherweise ohne „i“ als „Verteid_gungsministerin“ bezeichnet. Sie bedauert etwas umständlich, dass „uns Nachrichten über einen Selbstmordanschlag erreicht hätten.“

Zwölf verletze Soldaten: Frau Kramp-Karrenbauer tritt kurz vor die Mikrofone und betont, dass heute „alle bei den verletzen Kameraden“ seien. Trotzdem: niemand erwartet, dass sie nach dem kürzlichen Anschlag in Mali händeringend in ihrem Büro an die Verletzten denkt, oder dass „unsere“ Gedanken (wessen, des Einsatzführungsstabes?) sich um alle Betroffenen drehen. Dass die Ministerin an den Fahneneid der Soldaten erinnert, der sich nun und leider auch schon früher in seiner schlimmsten Konsequenz hat bewähren müssen, klingt in ihrem sechs-minütigen Auftritt arg schulmeisterlich.

Weniger ist Mehr

Nach dem Anschlag von Würzburg zeigt sich bei der Pressekonferenz: Reden ist Silber, aber Schweigen ist bei diesen Anlässen Gold. Sonst ruiniert man sich den vielleicht erhofften Effekt, ja, verkehrt ihn ins Gegenteil. Nicht nur die Angehörigen der Opfer, sondern auch die Bürger könnten eine hastig einberufenen Konferenz in einer notdürftig dafür hergerichteten Turnhalle, mit sieben Spitzenleuten als zu viel des Guten erachten.

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Besonders, wenn soviel Gutes gar nicht dabei ist.

Die Schilderungen einiger Teilnehmender, wie sehr Bilder und Umstände der Tat das eigene Nervenkostüm und das selbst „erfahrener Einsatzkräfte“ erschüttert haben, sind entlarvend. Man weiß eigentlich nicht viel zu sagen, so im Nachhinein, deshalb rekapituliert man viel, viel zu viel. Und neben den Stilblüten, die diese Chefrunde hervorbringt z.B. dem „Bilderbuchmäßigen Schuss in den Oberschenkel“ und Opfern, die mit „dem Leben ringen“ (Herrmann) ergeht man sich ausführlich in Lob für Ärzte, Sanitäter und Polizeibeamte, wie schnell diese vor Orte gewesen seien, wie vorbildlich sie die Opfer „außer den Dreien, für die man nichts mehr habe tun können,“ versorgt haben. Die Polizei muss aber andererseits auch zugeben, dass offenbar mit „Hölzern bewaffnete Passanten“ eine nicht unerhebliche Rolle bei der Beendigung des Amoklaufes gespielt haben. Auch sie werden gelobt. Niemand mahnt, wie solcher Heldenmut ausgehen könnte.

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Ministerpräsident Söder lässt verlautbaren, der Angriff sei ein „schlimmes und entsetzliches Ereignis«, besonders beeindruckt habe ihn »das Engagement vieler Bürger, die versucht haben, den Täter zu stellen«, es sei ein »schwerer Tag für Bayern«.

Im Bayerischen Innenministerium hat man sich daher offenbar sehr schnell dazu entschieden, den Anschlag in Würzburg „offensiv“ zu kommentieren. Sogar einen Moderator hat man angestellt, der das Gespräch einleitet. Polizeipräsident Kallert, Vizepräsident Wilhelm, der Leiter der Kriminalpolizeiinspektion Kühnert, Oberstaatsanwalt Gosselke, Innenminister Hermann, OB Schuchardt sowie der leitende Staatsanwalt Gründler sitzen an improvisierten Tischen im Angesicht der versammelten Journalisten. Schon, so erfährt man, stehe der Termin für einen Gedenkgottesdienst fest, bei dem verschiedene Kirchengemeinden Würzburgs erscheinen sollen. Dass die Zahl der Todesopfer noch steigen kann, scheint unerheblich.

Konferenz der Angefassten

Wie man das eigentlich schon beim Kartenspielen gelernt haben sollte, das „Pokerface“ gehört zur Ansage dazu. Wer kein wirklich gutes Blatt in der Hand hat, der sollte nicht bluffen. Wehklagen, Jammern und Augenrollen sollte man tunlichst unterlassen, will man nicht jeden Vorteil verspielen. Die versammelten Hochkaräter aus Polizei und Justiz irren sich, wenn Sie meinen, die Zuhörer (Ausnahmen soll es geben) würden gerne Zeuge werden, wie sehr ihre Verteidiger und Beschützer durch den Angriff getroffen wurden. Helden können sich abends seufzend in die Arme der Liebsten fallen lassen, nicht aber vor den Augen der versammelten Mannschaft. Das Gespräch, wie es einige der Beamten tun, mit einem Blick in den eigenen Schockzustand zu beginnen, ist ein Fehler.

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Niemand erwartet, dass hier schon so früh große Erkenntnisse enthüllt werden, und so verliert man sich in Allgemeinplätzen, im Überbetonen von Belanglosigkeiten. Schlimmer, durch diese leeren Wiederholungen und dem offensichtlichen Verweilen auf Selbstverständlichem, dem Herumkauen auf technischen Floskeln verrät man die eigene Angst, das Ausmaß, wie tief einen dieser Anschlag durchgerüttelt hat – „…die Verletzen und Toten, und auch die schrecklichen Videos, die man gesehen habe“ (Polizeipräsident Kallert). Man gibt zu, wie sehr einen die Bilder der Toten getroffen haben, und gesteht somit sich und dem Täter ein, dass die Gewalt auch die mittelbaren Ziele erreicht hat.

Die Riege der immer gleichen Offiziellen sollte parteiübergreifend zu der Einsicht gelangen, dass das gebetsmühlenhafte Aufsagen holzschnittartiger Sätze und das Überbetonen des Umstands, dass man als Minister oder aber auch Präsident in Gedanken bei den Angehörigen sei, einfach nicht genügend glaubhafte Anteilnahme verströmt. Vielleicht soll es das auch gar nicht.
Man dankt den Rettungskräften, die so schnell vor Ort gewesen seien, man lobt überschwänglich das medizinische Personal und deren Professionalität, und je öfter dies geschieht, desto mechanischer und unaufrichtiger klingt es. Heruntergebetete Dankbarkeit, die schräg klingen muss. Wie in der Pandemie.

Außer den dürftigen Fakten haben die sieben Männer um Innenminister Herrmann in der Sporthalle eigentlich nichts weiter mitzuteilen, Sie bemühen sich aber nach Kräften, die ihnen offenbar verordnete Redezeit zu füllen. Die vor Ihren Geräten versammelten Bürger sollen sich sicher fühlen, den Eindruck vermittelt bekommen, dass alles getan wird, um sie zu schützen, und dass man stets Herr der Lage war. Dass sich die Straßen schnell mit Uniformierten füllten (300 sollen es gewesen sein).

Innenminister Herrmann kann nicht umhin, eine Schilderung des Erstaunens zu geben, in welches diese Tat ihn versetzt habe, verrät damit aber auch, dass er (trotz des Angriffs 2016) nicht vorbereitet war: „Dass sich so etwas überhaupt in unserem Land und in dieser herrlichen Stadt, die wir alle so lieben, ereignen kann …“ Generalstaatsanwalt Gründler: „.. die letzte Nacht ist uns an die Nieren gegangen …“

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Wer in Gesichtern lesen kann, sieht vor allem Betroffenheit, ein Stück Hilflosigkeit und das betreten umschriebene Eingeständnis, dass man eigentlich nichts tun kann, außer abzuwarten und sich aufs Schlimmste vorzubereiten. Seit dem letzten Angriff 2016 habe man „nochmal das Eine oder Andere in den Konzeption … lebensbedrohliche Einsatzlagen verbessert, Trainingsinhalte seien angepasst worden“ (Kallert). Gesamteinsatzleiter Wilhelm: „sehr intensiver Einsatz heute Nacht … in der losgebrochenen Lage..“, referiert zu den Themen „Wie sichert man eine Stadt, Täter möglichst lokalisieren … wenn möglich festnehmen, auch zur Sicherheit der Bevölkerung … konsequentes polizeiliches Vorgehen in Richtung des Täters, damit er keine Taten „in dieser Qualität“ weiter begehen kann …“. Oberbürgermeister Schuchardt: „ … mitten an einem friedlichen Freitagnachmittag … das trifft eine Stadtgesellschaft und auch mich persönlich mitten ins Herz … dass wir zum zweiten Mal innerhalb eines Jahrzehnts durch Zufall, Fügung oder was auch immer … zum Schauplatz so einer Straftat werden.“

Einige Einlassungen hören sich an wie aus der Dienstanweisung verlesen (Wilhelm):
„Betreuung und Opferschutz habe einen hohen Stellenwert, das konzeptionelle Herangehen an derartige Einsatzlagen … umfangreicher Raumschutz wurde gefahren, starke polizeiliche Präsenz, Interventionskräfte waren verfügbar, Schutzwesten und Bewaffnung um entsprechend gegen weitere Täter vorgehen zu können … Betreuungsdienst der Polizei habe innerhalb der Region (ca. 30 Betreuer) mit den Fachkräften der Krisenintervention als Ansprechpartner für die Opfer zur Verfügung gestanden …“

Man habe sehr schnell vor Ort Kräfte verlagert und eine Zeugensammelstelle eingerichtet … die Ermittlungen seien am gestrigen Tage auf Hochtouren gelaufen … und man bitte die jungen und junggebliebenen Handykamera-Fotografen um ihre Aufnahmen … vor der Tat … im Uploadportal der Polizei zur Verfügung zu stellen, damit man insbesondere die „Vortatphase“ erhellen könne,“ also um festzustellen, ob der Täter alleine unterwegs gewesen ist (Kühnert).

Nach etwas über einer Stunde löst sich die Runde auf, der Moderator gibt den Korrespondenten noch den Hinweis, dass nun „die Möglichkeit bestehe, O-Töne zu bekommen … man hätte in zwei Fällen „eine Kulisse“ aufgebaut mit im Hintergrund Polizeifahrzeugen und Uniformierten ….“

Und wo blieb die Frage, weshalb nach all den „Einzelfällen” nichts getan wurde, um das Reservoir der „Einzeltäter” zu verkleinern?

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