Tichys Einblick
Hamburg: Zwei Jahre nach G20-Krawallen

Politiker und Beamte versagen – und werden doch befördert

Vor zwei Jahren erschütterten bürgerkriegsähnliche Unruhen die Weltstadt Hamburg. Landespolitiker hatten sich beim G20-Gipfel profilieren wollen – und versagten jämmerlich. Welche Konsequenzen sind seitdem gezogen worden?

A fire burns in the middle of town during an anti-G20 protest on July 7, 2017 in Hamburg

Getty Images

Der 6. und der 7. Juli 2017 bescherten der Hansestadt erst warme und sonnige Tage – und dann heiße Nächte, die deutschlandweit bis heute nicht vergessen sind. Tausende linke Gewalt-Aktivisten lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, plünderten Geschäfte, warfen Molotow-Cocktails und Steinplatten, zündeten Autos an und verletzten Hunderte von Menschen. „Die Anarchie tobte“ („FAZ“): 30.000 Polizisten aus allen16 Bundesländern, von der Bundespolizei und sogar aus Österreich waren in Hamburg-Altona zwei Tage nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Mehr noch: Selbst etliche Polizeibeamte, so berichtete die „Welt“, mussten um ihr Leben fürchten. Weltweit berichteten Fernsehsender darüber, dass sich der rot-grün regierte Stadtstaat tagelang außerstande sah, Altonaer Bürger und ihr Eigentum zu schützen. Unvergessliche Bilder. Hamburg hat Geschichte der „Antifa“ geschrieben.

Olaf Scholz wollte sich unbedingt weltweit profilieren

Etliche Experten hatten Monate zuvor gewarnt, den Gipfel ausgerechnet in der Großstadt Hamburg stattfinden zu lassen. Denn die Hansestadt gilt als eine der Hochburgen der gewalttätigen, linksextremistischen „Antifa“, die sich „antifaschistisch“ nennt, aber mit faschistischen Methoden kämpft. Es sei keineswegs sicher, sagten namhafte Fachleute, dass die deutschen Polizeikräfte in der Lage sein würden, die Stadt vor mehreren tausend gewaltbereiter Anarchisten aus ganz Deutschland und sogar aus anderen europäischen Ländern zu schützen.

Mediale und politische Verharmlosung
G20-Gipfel: Angriff auf die Demokratie in Hamburg
Doch die oberste politische Führung – allen voran der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) – hörte nicht auf ihre Experten. Ob Donald Trump, Wladimir Putin, Theresa May, Emmanuel Macron oder Xi Jinping – die Crème de la Crème der internationalen Politik hatte sich angesagt. Eine einmalige Chance für einen Bürgermeister, sich im Kreis der Weltenlenker zu profilieren.

Es kam, wie es kommen musste. Zwar wurde der Gipfel über viele Monate sorgfältig vorbereitet. Doch es gab fatale Fehleinschätzungen. Medien sprachen später vom „größten organisatorischen Versagen der jüngeren Hamburger Geschichte“ („Hamburger Abendblatt“). Durch krasse Fehlentscheidungen ist dem Staat über zwei Tage das Gewaltmonopol abhanden gekommen.

Tausende von Anarchisten übernahmen die Herrschaft über mehrere Straßenzüge des Bezirkes Altona. Doch die oberste Führung hatte offensichtlich die Losung ausgegeben, ein allzu drastisches Durchgreifen der Polizeikräfte sei zu vermeiden. Die führenden Politiker im regierenden Senat wollten keine „hässlichen Bilder“, vielmehr sollte Hamburg glänzen: als attraktives „Tor zur Welt“ (so ein Werbeslogan der Großstadtkommune). Die Folge: ein Desaster, das es in Deutschland so noch nie gegeben hatte.

Konsequenzen? Die Hauptversager wurden befördert

Sehr bald nach dem G20-Chaos zogen SPD und Grüne alle Register, um zu verhindern, dass Verantwortliche im Senat und in der Verwaltung zur Rechenschaft gezogen wurden. Das „Abendblatt“ konstatierte: „Nicht einer der politisch oder polizeilich Hauptverantwortlichen“ hat „persönliche Konsequenzen ziehen müssen. Ganz im Gegenteil: Die Hauptversager wurden sogar befördert.“

Wer demonstriert macht sich schuldig
G20 und Demonstration in Hamburg politisch einordnen
Olaf Scholz, der als Landesregierungschef „den Gipfel gegen alle Warnungen aus Polizei und Politik unbedingt mitten in Hamburg abhalten wollte, ist trotz aller gebrochenen Sicherheitsversprechen zum Vizekanzler aufgestiegen“ („Abendblatt“). Sein politischer Spitzenbeamter in der Senatskanzlei, Wolfgang Schmidt, hat als Staatsrat den Gipfel verantwortlich organisiert. Im Vorfeld der großen G20-Tagung hatte Schmidt gern solche Journalisten gerügt, die auf die Risiken eines G20-Gipfels in Hamburg hinwiesen. Er pflegte kritische Fragesteller auf Pressekonferenzen nassforsch abzubügeln: Sie sähen immer nur „die Risiken, aber nicht die Chancen“ eines G20-Events an Elbe und Alster.

Dieser Staatsrat avancierte nach G20 zum Staatssekretär im Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz. Der verantwortliche Polizei-Einsatzleiter, der Leitende Polizeidirektor Hartmut Dudde, wurde bald nach den Chaos-Tagen von SPD-Innensenator Andy Grote sogar befördert: zum Chef der gesamten Schutzpolizei in der Hansestadt.

Senator Grote selbst ist unangetastet genauso im Amt geblieben wie sein Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. „Den Preis für das von ihnen in Hamburg angesiedelte Desaster zahlten nicht die verantwortlichen Politiker, sondern allein die Bürger“ („Abendblatt“). Selbst noch nach zwei Jahren, schreibt das Blatt, seien immer noch „Hunderte Polizisten mit der Fahndung nach brandstiftenden Barbaren“ und mit der „Aufarbeitung des Gipfels beschäftigt“. Tatsächlich werden in diesen Tagen noch vereinzelt Gewalttäter vor Gericht gestellt. Die Richter fällen freilich in der Regel erstaunlich milde Urteile.

Auf dem „linken Auge“ blind? „Aufgearbeitet wurde eigentlich gar nichts“

Dass keinerlei personelle Konsequenzen im Regierungs- und Behördenapparat gezogen wurden, liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Hamburger CDU offenbar nach den schweren Unruhen bemüht waren – angeblich aus Gründen der „Staatsräson“ –, den Untersuchungsball im Zweifelsfalle flach zu halten. Eine große rot-grün-schwarze Mehrheit setzte im Landesparlament – zur Überraschung vieler Beobachter – keinen Untersuchungsausschuss ein, sondern nur einen „Sonderausschuss“ mit relativ wenigen Befugnissen. Über die Arbeit dieses Gremiums haben die Medien prompt nur recht verhalten und eher selten berichtet. Die „Bild“-Zeitung sprach sehr bald sogar von der „Sinnlosigkeit“ dieses teuren Ausschusses.

Das vergleichsweise geringe Interesse fast aller Medien hängt sicherlich wesentlich damit zusammen, dass es ja um „linke Gewalt“ ging, die es aufzuklären galt. Mancher Journalist äußerte hinter vorgehaltener Hand die Vermutung: Wäre es um „rechte Gewalttaten“ gegangen, hätten alle Massenmedien tagtäglich bundesweit in riesiger Aufmachung über die Arbeit des Parlamentsauschusses berichtet.

Jedenfalls haben die Bürger Hamburgs von der Arbeit dieses Gremiums kaum noch Notiz genommen. Auch deswegen, weil der „Sonderausschuss“ sich am Ende sogar außerstande sah, einen gemeinsamen Abschlussbericht vorzulegen. „Die Fraktionen konnten sich nur darauf einigen“, jeweils eine „eigene Stellungnahme abzugeben“ („Tagesspiegel“). Selbst der „Stern“, der sich sonst meist ausgesprochen freundlich über rot-grüne Politik zu äußern pflegt, resümierte knapp und deutlich: „Aufgearbeitet wurde eigentlich gar nichts.“

Grüne: „Was haben wir damit zu tun?“

Nach dem G20-Chaos klingen die Erklärungen von Innensenator Grote windelweich. Er versuchte, die Misserfolge umzudeuten. Mit der neuen „Soko Schwarzer Block“ habe die Hamburger Polizei „die radikale linke Szene nachhaltig verunsichert“. Eine kühne Behauptung, Beweise dafür wurden nicht vorgelegt. Dass an der Hamburger Polizeiakademie, die den Polizeinachwuchs ausbildet, offenbar eine neue „Forschungsstelle Gesellschaftliche Konflikt- und Gewaltentstehung“ installiert werden soll, wird ebenfalls als Erfolg verkauft.

Grüne geben Polizei Mitschuld
Hamburg: Was wäre, wenn es "Rechte" wären?
Die Grünen halten sich bedeckt. Der damalige Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, der an G20-Demonstrationen in Hamburg teilgenommen hatte, reagierte auf Fragen des „Deutschlandfunk“ unwirsch: „Was haben die Grünen damit zu tun“? Die oppositionelle Partei „Die Linke“ kritisiert vor allem die Polizei. Es müsse jetzt geklärt werden, ob die Polizei nicht zu hart gegen „Demonstranten“ vorgegangen ist.

Die FDP vermutet im Nachhinein, die CDU habe im Sonderausschuss der Bürgerschaft – mit Blick auf die Große Koalition in Berlin – eine „Beißhemmung“ erkennen lassen. „Ein echter Untersuchungsausschuss hätte mehr Klarheit über das rot-grüne Sicherheitsversagen gebracht“, resümiert heute offiziell die CDU – und kritisiert im Nachhinein indirekt ihr eigenes früheres Einverständnis mit dem „Sonderausschuss“. Die AfD erklärte, nach den G20-Gewalttaten habe sich bedauerlicherweise „nicht viel verändert“. Im Gegenteil: „Linksextremisten fühlen sich nach wie vor pudelwohl in unserer Hansestadt.“

Die politische „Elite“ versagt auf ganzer Linie?

Der in Hamburg bekannte Jurist und Strafverteidiger Gerhard Strate zweifelt an der Qualität heutiger politischer Eliten. „Die Übernahme persönlicher Verantwortung gehörte jahrzehntelang zur selbstverständlichen politischen Kultur in Deutschland“, so Strate gegenüber dem „Abendblatt“. „Ob Brandt, Scharping, Biedenkopf, Streibl, Möllemann oder zu Guttenberg: Wessen Integrität durch Skandale oder fragwürdige Affären beschädigt war, dem blieb nur der Rückzug.“ Der Rechtsexperte weiter: Mittlerweile könnten „eigentlich untragbare Amtsinhaber samt ihren Verfehlungen völlig ungestört unter dem Radar fliegen“. Klare Worte, denen nichts hinzufügen ist.


Dr. Manfred Schwarz ist Politologe. Jeweils acht Jahre hat er als Medienexperte in der Hamburger Senatsverwaltung gearbeitet und als Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR das Ressort „Medien und Kommunikation“ verantwortet. Er war auch einige Jahre Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstandes.

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