Tichys Einblick
Nun also doch

Deutsche Landwirte bekommen ihre osteuropäischen Erntehelfer

Zumindest in der Frage der Erntehelfer konnten sich die deutschen Bauern bei der Politik durchsetzen. Ihre Saisonarbeiter aus EU-Ländern dürfen nun doch einreisen. Die Einigung lässt aber viele Fragen unbeantwortet.

Archivbild: Erntehelfer aus Rumänien stechen Spargel bei Bad Krozingen im Markgräflerland.

imago images / Winfried Rothermel

Liegt es daran, dass Nahrungsmittel verderben zu lassen immer noch vielen als eine besonders schwerwiegende Sünde vorkommt? Jedenfalls gelten jetzt für Landwirte weniger strenge Regeln als für andere Unternehmen und Geschäfte, die wegen der Corona-Pandemie in Deutschland geschlossen bleiben müssen.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Innenminister Horst Seehofer haben sich gerade auf ein Konzept verständigt, welches die Einreise für vierzigtausend Erntehelfer aus Osteuropa in den kommenden zwei Monaten genehmigt und organisieren soll. Laut Bauernverband ist im Konzept „die Initiative des Deutschen Bauernverbandes und des Gesamtverbandes der deutschen Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände berücksichtigt“ worden.

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Die Virologiefachleute des Robert-Koch-Instituts sollen zudem angehalten worden sein, strenge Regeln zu entwickeln, wie mit diesen Einreisenden umzugehen ist, um mögliche zusätzliche Infektionsketten gleich im Keim zu ersticken. Das Konzept ebenso wie die Regeln aus dem Institut haben wir angefragt, allerdings sind auch die Presseabteilungen der Ministerien und des Institutes teilweise im Home-Office, also auch die internen Wege deutlich länger geworden.

Die Bauern bleiben im Geschäft, es wird geerntet und die Lebensmittelversorgung ist zunächst, was Erdbeeren, Kirschen, Spargel usw. angeht, garantiert. Eine gute Lösung für alle? Laut dpa beinhaltet der Deal folgende Eckpunkte:

Die Erntehelfer sollen ausschließlich in Gruppen und per Flugzeug einreisen. Geplant ist eine Gesundheitsprüfung. Und die Landwirte sind aufgefordert, ihre Erntehelfer die ersten 14 Tage von einheimischen Helfern und Personal zu isolieren. Zudem darf der Betrieb von den Erntehelfern nicht verlassen werden.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Die strengen Vorgaben zu Hygiene und Unterbringung sorgen für bestmöglichen Infektionsschutz.“ Bestmöglich wäre allerdings, diese Saisonarbeiter erst gar nicht einreisen zu lassen. Denn was wäre hier der Unterschied zu Geschäften, die ihre Pforten nicht mehr öffnen dürfen? Wenn Baumärkte und Bauern hier bevorzugt werden, muss das wesentlich eindeutiger begründet werden.

Hinzu kommt, dass die Ministerien beschlossen haben sollen (Wir warten hier noch auf das Konzept im Wortlaut), weitere 10.000 Erntehelfer im Inland zu suchen aus der Gruppe der Studenten, Asylbewerber, Arbeitslosen, Kurzarbeiter usw. Hier schließt sich unmittelbar die Frage an, weshalb man denkt, 10.000 wären wohl möglich, aber keine 50.000. Woher kommt diese Annahme? Fakt bleibt, das die Arbeitsgenehmigungen für Kurzarbeiter auf dem Wege gelockert wurden ebenso, wie Asylbewerber mit bisherigem Arbeitsverbot tätig werden dürfen. Man darf gespannt sein, ob diese Sonderregelungen irgendwann auf wundersame Weise zu dauerhaften Regelungen mutieren.

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Viele weitere Fragen schließen sich an. Eine Krise ist eine Krise. Aber man bekommt in Deutschland öfter das Gefühl, dass diese Krise für einige für das Krisenmanagement maßgebliche Institutionen zu einer Art Versuchsstrecke geworden ist. Wer sich alleine das Kuddelmuddel zwischen Städten, Ländern und Bund der Antragsstellungen für Nothilfen anschaut, der fragt sich jetzt auch, wie die Landwirte der ihnen zugeschobene Verantwortung gerecht werden wollen. So schreibt der Bauernverband aktuell: „Unsere Betriebe werden die Leitlinien und Vorgaben des Robert Koch-Instituts strikt einhalten, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten.“

Das klingt ja schön und gut. Aber was macht der Landwirt, wenn seine Erntehelfer ihren Spaziergang ein paar Meter zu weit ausdehnen oder den einheimischen Erntehelfern zu nahe kommen? Ruft er die Polizei? Oder wird diese sowieso vermehrt Streife laufen über Acker und Weide?

Es muss gesagt werden: Selbstverständlich hat auch der Landwirt Interesse daran, dass es die gleich guten Erntehelfer sind, die jedes Jahr zu ihm kommen: TE hat schon darüber berichtet, das Spargelstechen und Erdbeerenpflücken nicht ohne Grund an Osteuropäer vergeben wird. Zum einen pflücken und stechen diese Helfer fachkundig, im Accord und zu einem Lohn, für den Einheimische kaum den Finger rühren. Zudem muss hier niemand angelernt werden, denn neue Helfer werden von den erfahrenen mitgebracht und von diesen an Ort und Stelle eingewiesen – der Landwirt ist da weitestgehend befreit.

Mit neuen einheimischen Erntehelfern hätte er weit mehr zu tun und sicher wäre zunächst auch ein Teil seiner Ernte durch unsachgemäßen Umgang in Gefahr, wie Bauern TE gegenüber schon berichtet haben. Klar: Der Landwirt ist auch an einer lückenlosen Beschäftigung seiner „gewohnten“ Helfer interessiert, wer weiß, ob diese sonst im kommenden Jahr, wenn der Einreisestopp nach Deutschland wieder aufgehoben sein könnte, noch kommen werden.

Ein weiterer Aspekt ist ebenfalls von Interesse: Es wäre arg nostalgisch gedacht, würde man bei diesen Erntehelfern an ein paar wenige Personen pro Hof denken. Nein, vielfach sind hier große Gruppen für große Betriebe tätig, entsprechend eng ist der Kontakt und die Beschaffenheit der Interimsunterkünfte. Hier ging es bisher nur um Schlafplätze und ggf. einen Aufenthaltsraum für alle, nicht um Wohnkomfort mit entsprechenden Quadratmetern.

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Was passiert nun aber, wenn doch ein Coronafall in diesen Großgruppen auftritt, zudem in besagten beengten Saisonarbeiterunterkünften mit allen Infektionsbefürchtungen? Werden dann alle Untergebrachten unter Quarantäne gestellt, für wie lange und was, wenn es schlimmerweise sogar zu schwerwiegenderen Erkrankungen käme? Diese Verantwortung ist für den Landwirt eine viel zu große. Er müsste zudem abwägen, wann ein Husten auf dem Spargelfeld schon beobachtungsbedürftig ist bzw. zu isolieren und wann Kopfschmerzen und leichtes Fieber bei Erdbeerpflücken unter strenge Beobachtung fallen muss. Und was wäre dann mit dem Ausfall des Accordlohns des Betroffenen?

Der Vorwurf darf hier natürlich nicht an die Landwirte gehen. Der Staat muss den Rahmen schaffen, in dem sich der Landwirt rechtssicher bewegen und seine Geschäfte machen kann. Versuchsfelder haben hier keinen Platz.

Und wie verworren das alles ist, beweist auch eine Online-Werbeanzeige einer Zeitarbeitsfirma, die gerade damit wirbt, schon ein paar Erntehelfer vor Ort zu haben: „Saisonarbeiter aus Litauen: Schon in Deutschland.“

Hier müssen selbstverständlich auch ein paar moralische Fragen beachtet werden. Immerhin kommen hier Menschen für eine Saison harter Arbeit, weil sie in ihrem, Heimatland keine solche finden. Schön, dass es diese Möglichkeit in Deutschland gibt, aber diese Wanderbewegungen bleiben deshalb einer Not oder mindestens einem Mangel im Herkunftsland geschuldet.

Hier kommen Menschen, die arbeiten wollen. Die unsere Ernte einfahren helfen. Die Geld verdienen wollen und anschließend wieder in ihre Heimat zurückkehren. Gastarbeiter im besten Sinne. Diese Menschen haben unseren Respekt verdient. Ob sie nun ein Jahr aussetzen müssen oder doch gebeten werden, die deutsche Ernte einzufahren. Spätestens nämlich, wenn wir unsere Bio-Erdbeeren mal eine Saison lang selbst pflücken müssen, wissen wir, was nötig ist, bevor diese in der Pappschachtel landen. Rückenschmerzen inklusive. Aber die vergehen und sind nicht ansteckend.

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