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Landtag nicht informiert

Niedersachsens Staatsgerichtshof rügt Landesregierung wegen Corona-Verordnungen

Die Niedersächsische Landesregierung hat es versäumt, den Landtag vorab über ihre Pläne für Corona-Maßnahmen zu informieren. Das Landesverfassungsgericht bescheinigt der Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) die Verletzung einer verfassungsmäßigen Pflicht.

Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen

IMAGO / Michael Matthey

Erneut erleidet eine Landesregierung in der Corona-Politik eine gerichtliche Niederlage. Die niedersächsische Regierung von Stephan Weil (SPD) hätte den Landtag schon vor dem Erlass der Corona-Verordnungen über ihre Vorhaben informieren müssen, wie das Landesverfassungsgericht, der Staatsgerichtshof in Bückeburg, am Dienstag bekannt gab. Die Landtagsfraktionen der FDP und der Grünen hatten gegen die Landesregierung ein „Organstreitverfahren“ begonnen.

Das Gericht hat nun „festgestellt, dass die Niedersächsische Landesregierung den Niedersächsischen Landtag in seinem Recht aus Art. 25 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung auf frühzeitige und vollständige Unterrichtung über die Vorbereitung von Verordnungen verletzt hat, indem sie es unterlassen hat, dem Niedersächsischen Landtag den jeweiligen Entwurfstext der Niedersächsischen Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona-Pandemie vom 2. April 2020, der Niedersächsischen Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 8. Mai 2020 und der Niedersächsischen Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus vom 22. Mai 2020 zeitgleich mit der Anhörung der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände zuzuleiten.“

Sinn und Zweck der Vorschrift in der niedersächsischen Landesverfassung sei es, „den Mitgliedern des Landtages die notwendigen Informationen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu verschaffen und dadurch die Entwicklung von Initiativen einerseits und eine wirksame Kontrolle der Regierungstätigkeit durch das Parlament andererseits zu ermöglichen.
Bei den streitgegenständlichen Corona-Verordnungen handelt es sich um solche, die Gegenstände grundsätzlicher Bedeutung betreffen. Sie enthalten Regelungen, die weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben, von erheblicher Grundrechtsrelevanz sind, Entschädigungsansprüche gegen das Land auslösen könnten, in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden und starke Beachtung finden.“

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Die Landesregierung habe nur „verschiedene Ausschüsse des Niedersächsischen Landtages in unterschiedlichem Umfang über die Pandemielage und die dagegen getroffenen Maßnahmen im Allgemeinen und über die streitgegenständlichen Verordnungen im Besonderen informiert“. Die Unterrichtungspflicht bestehe aber gegenüber dem Landtag als Ganzes.

Das Urteil reiht sich ein in eine Liste von gerichtlichen Niederlagen von Landesregierungen und harscher Kritik von renommierten Juristen im Zusammenhang mit der Corona-Politik. So war das „Beherbergungsverbot“ in Niedersachsen und Baden-Württemberg als „rechtswidrig“ vor Gericht ebenso gescheitert wie die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen in Baden-Württemberg. Zuletzt hatte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sich genötigt gesehen darauf hinzuweisen, „dass die Menschen dieses Landes freie Bürger sind“. Der Kanzlerin bescheinigte er, ohne sie beim Namen zu nennen, eine „irrige Vorstellung“ über die Werteordnung des Staates.

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