Tichys Einblick
Gravierende Baumängel

Nicht nur die Regierung erodiert

In Berlin gedeiht so rein gar nichts, wo Stadt- oder Bundespolitik die Finger drin hat.

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Marie-Elisabeth Lüders, die 1912 als erste Frau überhaupt in Deutschland promovierte zum Thema Aus- und Fortbildung von Frauen in gewerblichen Berufen, ist quasi auch bis heute das „Aushängeschild“ der FDP, der Marie-„Lisbeth“ Lüders angehörte und die sie von 1953 bis 1961 auch im Bundestag als Abgeordnete vertrat.

Lüders war immer darauf aus, Risse zu verhindern, die durch die Gesellschaft und in der Auslegung verschiedener Rechte zwischen Männern und Frauen gehen könnten. Sie war eine Kämpferin, die schon damals die Rechtsstellung deutscher Frauen sicherte, die mit Ausländern verheiratet waren und sind (sog. „Lex Lüders“).

Nach wem gar ein Gesetz benannt wurde sowie eine Oberschule und Straße in Berlin, der steht wahrlich für immer in der Geschichte. Da war das Ansinnen nur recht, dass im großen Berlin wo es vor lauter Geschichte und Erinnerungen in Form von Gebäuden nur so „sprießt“, auch ein weiterer Bau rund um den Reichstag im Regierungsviertel, ein weiteres Gebäude nach der Frauenrechtlerin der FDP, Marie-Elisabeth Lüders, benannt würde.

Berlin ist nah am Wasser gebaut. Und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist der dritte Parlamentsneubau direkt an der Spree. Es wurde im Dezember 2003 mit der feierlichen Schlüsselübergabe eingeweiht. Das Haus vollendet das „Band des Bundes“, das mit dem von Axel Schultes entworfenen Bundeskanzleramt beginnt. Das „Band“ wird jedoch durch eine Freifläche unterbrochen, da das Bürgerforum nicht gebaut wurde.

Die Brücke zwischen den beiden Parlamentsbauten PLH und MELH schließt die Verbindung zwischen West und Ost. Der Architekt der beiden Häuser, Stephan Braunfels, nennt sie den „Sprung über die Spree“.

Momentan ist es aber so, dass Stephan Braunfels richtig leidet. Der Stararchitekt, was Braunfels nie von sich behaupten würde, hatte alles geplant, so wie es sein sollte, nur mit der Umsetzung hapert es gewaltig. Leider. Nicht nur für den Steuerzahler. Von den 190 Millionen an Baukosten sei man bereits weit entfernt. Geschätzt wird, dass am Ende der Fertigstellung, 2020, 2021(?), wer weiß das schon, bereits um die 225 Millionen Euro kalkuliert werden. Heute. Der Spatenstich war vor acht Jahren.

Derzeit scheint alles möglich, sogar ein Abriss, was den Architekten, der schon vor längerer Zeit von Bord ging, besonders schmerzt. Vor allem mit dem momentanen Baupfusch bringt man immer auch seinen Namen ins Spiel. Damit zu tun habe der Architekt Stephan Braunfels jedoch nichts. Der Neubau an der Luisenstraße in Mitte hat einen fundamentalen Wasserschaden. Dass nun gar über einen Abriss spekuliert wird, schadet jedoch allen. Den Planern, der Regierung und ihrem Bauausschuss, sowie dem Handwerk in Land allgemein.

Hauptstadt der Verwahrlosung
Echte Berliner, echte Berliner, echte Berliner
Dass der Bau kein leichtes Unterfangen ist, stellt niemand in Abrede, denn das „Marie-Elisabeth-Lüders-Haus“ als Neuanbau mit der Bundestagsbibliothek werde seit nunmehr acht Jahren um 60 Meter erweitert. Doch der Rohbau hat ein gigantisches unterirdisches Problem: Grundwasser dringt ein und sorgt für Risse überall im Boden und Beton. Unter dem aufgestemmten Kellerboden rostet die Stahlarmierung; das würde heißen, alles stünde auf wackeligem Fundament. Zudem zieht dieser Bau schon weitere Kreise, das Bundesbauamt könne nicht nachweisen, dass die ausführende Firma geschlampt habe. Der Bau sei stattdessen, so heißt es weiter, schlecht geplant worden – und zwar vom Bundesbauamt. Was nun, was ist zu tun?

Außer die Risse und Spalten zu „flicken“? Literweise Harz und Kubikmeter Beton zusätzlich geben das Füllmaterial her.

FDP-Politiker Wolfgang Kubicki (66), ist um plakative wie markige Worte nie verlegen; der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) und im SWR 2 sagte er: „Momentan spricht viel dafür, dass es saniert werden kann, (aber) ganz sicher ist es nicht“, und hinzugefügt, mit einem Blinzeln, von dem man nicht weiß, ernst gemeint, oder doch mit dem Schalk im Nacken: „Einmal Flughafen Berlin-Brandenburg reicht.“ Ja, mit dem BER wird man das Gespött auf lange Sicht nicht mehr los. Im Zweifel, so Kubicki, würde er das Haus lieber abreißen, als sich eine „Endlosbaustelle“ aufzuhalsen, ohne jedoch noch einen drauf zu setzen. Als Vorsitzender der Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten sei er natürlich oft vor Ort, und die Pfützen seien schon recht tief im Kellerboden. Mit seinen Kollegen und Abgeordneten stünden sie dann in Gummistiefeln in den Wasserlachen, die so „so tief“ seien, dass man eine Quietschente darin schwimmen lassen könne. Das politische Berlin von heute wirkt … irgendwie morbid.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht (noch zusätzlich) zu sorgen. Am Ende, so die billigste Ausrede, war es immer der Architekt.


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.