Tichys Einblick
Zweiter Prozesstag

Mordfall Illerkirchberg: Am Landgericht spricht der Gutachter statt des Täters

Statt des mutmaßlichen Täters sagte nun der begutachtende Experte vor Gericht aus. Demnach verachtete der 27-jährige sein deutsches Umfeld, erwartete aber die Ausstellung eines Passes. Für Eltern und einen Streifenbeamten ist die Tat noch immer schwer zu ertragen.

IMAGO/Zuma Wire

Es ist der zweite Prozesstag am Ulmer Landgericht, und es gibt insofern etwas Neues zu berichten, als nun auch die Eltern des von dem Täter schwer verletzten 13-jährigen Mädchens anwesend sind. Sie kämpfen laut Presseberichten mit den Tränen, als Bilder der blutgetränkten Kleidung der beiden Mädchen gezeigt werden, von denen eine – die 14-jährige Ece S. – den Messerangriff durch den Angeklagten nicht überlebt hat. Wieder sind viele Zuschauer im Gerichtssaal, nur das Medieninteresse ließ an diesem ersten substantiellen Gerichtstermin etwas nach.

Der Täter äußert sich selbst nicht vor Gericht. Er habe ja schon bei der Polizei und gegenüber einem Psychiater ausgesagt. Der Gutachter wird so zum Sprecher des Angeklagten umfunktioniert. „Kopf kaputt“, habe der 27-jährige Eritreer dem Experten gesagt, um seine Taten zu erklären.

Noch keine Äußerung des Angeklagten
Fall Illerkirchberg: Prozessauftakt und die Sorge um die Instrumentalisierung
Wenige Tage vor der Tat hat er seine Arbeit verloren, durch die er angeblich bis zu 2500 Euro im Monat verdiente. Doch das Geld ging normalerweise für Spielautomaten und Prostituierte drauf, die er regelmäßig aufsuchte. Dann aber hat der Eritreer noch etwas anderes gesagt: „Die Leute beim Landratsamt haben mein Leben kaputt gemacht“, übersetzt der Experte seine Worte. Das hängt mit seiner abgesagten Hochzeit zusammen, die er in Äthiopien plante. Die Braut habe demnach inzwischen kein Interesse mehr an dem Mann gehabt.

Auch den Ort Illerkirchberg mochte er freilich nicht: „fast nur alte Leute“ lebten da. Zuvor hatte er in Äthiopien, dem Sudan, Libyen, Italien und in Deutschland in Meßkirch und Amstetten gelebt. Nun wollte er eine Familie in Deutschland begründen und brauchte deshalb einen deutschen Pass. Denn die Braut sollte aus Äthiopien kommen. Die Heirat sollte zudem seine Erektionsstörung „heilen“, so die wohl kurioseste Aussage des Angeklagten. Von Bekannten wusste er, laut SWR, dass „diese nach Äthiopien ausgereist seien, dort geheiratet hätten und mit einer Frau zurückgekommen seien“. Es geht also um eine Eheschließung im Ausland, auf die der Angeklagte ein Recht zu haben glaubte. Leben wollte er aber danach in Deutschland.

In seinen persönlichen Sachen fanden die Ermittler Aufzeichnungen über „dreckige“ Deutsche, die er mit Schweinen vergleicht und in Großbuchstaben das Wort: „PASSPORT“. Vielleicht gibt es noch mehr Aufzeichnungen, Berichte sprechen von „Botschaften voller Hass“.

Der Eritreer sitzt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg ein, wo er sich aber zunehmend unwohl fühlen soll. Mithäftlinge bedrohen den Mann laut seiner Aussage. Seinem Gutachter gegenüber soll er „zugewandt“, „ruhig“, als „eher schüchterner“ Mensch gegenübergetreten sein.

Was der namenlose Mann am 5. Dezember 2022 tat, ist über die deutschen Ländergrenzen hinaus bekannt: Er packte ein Messer in seinen Rucksack und wollte zur Ausländerbehörde ziehen, um die Ausstellung eines Passes zu erzwingen. Angeblich wollte er dazu keinen der Beamten töten, höchstens verletzen. Auch die beiden Mädchen, Ece und ihre Freundin, habe er nicht töten, auch sie nur verletzen wollen. Hier soll offenbar seine Behauptung „Kopf kaputt“ eine Rolle spielen, die einer gängigen Verteidigungstaktik vor Gericht entspricht. Die Frage ist: Kann dem Angeklagten anderes nachgewiesen werden?

Unter den acht Zeugen ist auch ein Streifenbeamter, dem es noch immer schwer fällt, über seine Erlebnisse zu sprechen. Die überlebende 13-Jährige sei „sehr tough“ gewesen. Außerdem sagte der Polizist aus, dass die 13-Jährige und ihre Freundin kein Messer bei dem Angeklagten gesehen hätten. Das war aber dessen Begründung für seinen Angriff auf die beiden. An das zweite Mädchen will sich der Angeklagte zuerst nicht erinnert haben, inzwischen aber schon.

Die Staatsanwaltschaft hat den Eritreer wegen Mordes und versuchten Mordes angeklagt und fordert eine lebenslange Freiheitsstrafe. Es sind noch drei weitere Prozesstage angesetzt, mit einem Urteil ist am 4. Juli zu rechnen. Bis kurz vor Prozessbeginn gab es laut Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger „keinen Grund,von einer Schuldunfähigkeit auszugehen“. Am kommenden Dienstag sollen Ärzte und Ermittler vor Gericht aussagen.

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