Tichys Einblick
"Je suis Jörg Sartor!"

Merkel und der berühmte Tropfen?

Bringen Merkels Worte gegen einen aufrechten Essener Bergmann mit SPD-Biographie das Fass der unkontrollierten Massenzuwanderung zum Überlaufen?

© Sean Gallup/Getty Images

Der Niedergang der Kanzlerin wird oft mit dem von Helmut Kohl verglichen. Aber so sehr es sich anbietet, der Pfälzer hat unverrückbar die Wiedervereinigung auf seiner Haben-Seite, während Angela Merkel über die von ihr eingeleitete und bis heute verteidigte Massenzuwanderung so tief ins Soll gerutscht ist, wie noch kein Bundeskanzler vor ihr.

Pflichtvergessen
Angela Merkel geißelt Essener Tafel
Kohls endgültiger Abgang wurde von der monströsen Schwarzgeldaffäre begleitet. Der Koloss geriet endgültig ins Wanken, als immer mehr Verwicklungen von Politikern und Institutionen bekannt wurden. Als sich Weggefährten in Sicherheit brachten, die doch über Jahrzehnte ein gutes Auskommen hatten im Schatten des Mächtigen. Auch Kohls „Mädchen“ rettete sich rechtzeitig vor dem Untergang und schaffte es in der Folge ins hell erleuchtete Kanzleramt.

Nun scheint aber auch ihr Schicksal endgültig besiegelt. Den monatelangen Kampf hinein in die letzte Amtszeit gewann sie erst, als sie den bereits arg in Mitleidenschaft gezogenen Wertekanon ihrer Partei endgültig auf sozialdemokratisches Niveau kastrierte.

Zu hoch gepokert? Zu nah am Feuer Platz genommen? Es scheint jetzt tatsächlich so, dass schon der kleinste Fehltritt ausreicht. Aber was wird es sein, das das politische Ende Angela Merkels besiegelt? Nichts scheint mehr unmöglich. Aktuell könnte es sogar die Causa „Essener Tafel“ sein, welche die überfällige Merkel-Implosion auslöst.

Oben und unten
Tafeln: drei Informationen für die politische Klasse
Die Reaktionen der Medien auf den Fall des Essener Tafelleiters, der vorerst keine zusätzlichen Zuwanderer mehr aufnehmen will, waren zunächst noch reflexartig auf Refugees-Welcome-Kurs. Aber das war nur noch einem Automatismus geschuldet, als Tag für Tag mehr einzelne Kommentare in den Leitmedien ausscherten und sich gegen eine Kanzlerin richteten, die sich negativ über die Essener Entscheidung geäußert hatte. Die instinktiv gespürt hatte, dass Essen das Nadelöhr sein könnte, endgültig ihre Verantwortung in der Massenzuwanderung festzustellen. Die Massenzuwanderung selbst war ja zu diesem Zeitpunkt längst als Fehler erkannt.

Noch einmal alles in die Waagschale werfen? Riskieren, die der Tafelentscheidung gegenüber durchaus ambivalente Haltung des CDU-Oberbürgermeisters von Essen wegzuwischen und sich mit der auf Twitter versammelten Sozialdemokratie gegen die Entscheidung des Tafelchefs Jörg Sartor zu stellen? Der erklärte nun gerade gegenüber der Welt „Mein Vater war Bezirksvertreter in Gelsenkirchen, meine ganze Familie ist SPD. Für mich hat sich das jetzt erledigt.“

Merkel selbst muss bereits auf Bundesebene auf Gedeih und Verderb einem SPD-Kurs folgen. Nun folgte also der sozialdemokratische Abstieg bis hinunter in die Stadtpolitik. Aber damit hat sie sich von ihren letzten sicheren Pfründen abgeschnitten, von der Zustimmung der Fußsoldaten. Dort, wo ein schneller Auftritt auf dem Marktplatz Gefolgschaft sichern kann, dort, wo Vertrauen immer noch etwas länger von Kontinuität getragen wird, als im nervösen Berlin.

Die ZEIT schrieb im September 2017: „Die Welt ist böse, aber hier ist alles gut. Das war die Wahrnehmung der Deutschen unter Merkel.“ Aber diese Zeilen standen bereits unter der Schlagzeile „Sie wird untergehen“. Viele haben schon darauf gewartet, dass sich die merkelsche Massenzuwanderung als Menetekel ihrer politischen Karriere zu erkennen gibt. Da erscheint es fast gerecht, dass nun ausgerechnet ein aufrechter Essener Bergmann mit SPD-Vergangenheit wider Willen zum Scharfrichter Merkels wird, die sich von diesem Mann abwandte, weil sie durchaus hellsichtig erkannte, dass hier das entscheidende Gefecht um die Deutungshoheit ihrer Massenzuwanderungspolitik geführt werden könnte.

Aber sie hat eben auch erkannt, dass Essen nur einer von vielen folgenden Lackmustests sein würde – dass es also jetzt oder gar nicht mehr darum ging, alles auf eine Karte gesetzt, als sie zu Jörg Sartors Entscheidung befand: „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen.“ Das sei nicht gut.

Und streng genommen war das nicht einmal dramatisch, in anderen Zeiten hätten die wenigen Sätze in die RTL-Mikrofone fast als ausgewogen gelten können, wenn Merkel sogar noch anfügte, Essen zeige aber „auch den Druck, den es gibt“. Aber damit war die Hellsichtigkeit dann auch zu Ende.

Reste der Bürgerfreiheit bewahren
Die Essener Tafel und jede andere ist frei
Die Kanzlerin stolperte in das von ihr selbst über mehrere Amtszeiten aufgestellte Messer: Die Bürger haben längst lernen müssen, Angela Merkels pastorale „Jein, aber“-Litaneien hin zu einem klaren „Ja“ oder „Nein“ zu sieben. Zu einem „Ja“ zur Massenzuwanderung und einem „Nein“ zur souveränen Entscheidung eines Jörg Sartors, der mit den ehrenamtlichen Helfern tagtäglich die Folgen des „Ja“ der Kanzlerin ausbügeln muss. Das überwältigende „Je suis Jörg Sartor“ kam für viele Bürger und die Medien überraschend.

Angela Merkel selbst wusste von Anfang an, um was es hier geht, hat maximales Risiko gespielt und es sieht ganz so aus, als hätte sie verloren.