Tichys Einblick
Rette sich, wer kann?

Kahrs (SPD) will Bartels (SPD) als Wehrbeauftragten beerben

Kahrs betreibt offenbar in Vorahnung eines weiteren Niedergangs der SPD vorausschauende Selbstbedienung. Er will wohl unbedingt Wehrbeauftragter werden.

Michelle Tantussi/Getty Images

Soeben hat Hans-Peter Bartels für das Jahr 2019 den Jahresbericht des Wehrbeauftragten vorgelegt. Es ist ein Bericht, dessen 118 Seiten man allen, die mit Bundeswehr und Sicherheitspolitik zu tun haben, nur dingend empfehlen kann. Dieser Bericht für 2019 ist der fünfte in Bartels‘ bislang fünfjährigen und im Mai 2020 endenden ersten Amtszeit. Ob der äußerst fachkundige, bei aller Kritik an Bundeswehr und Verteidigungsministerium immer sachlich und überzeugend argumentierende Bartels (SPD, 58, von 1998 bis 2015 Bundestagsabgeordneter) in eine zweite Amtszeit starten kann, scheint ungewiss, denn aus den eigenen Reihen schlägt ein anderer kräftig mit den Flügeln: Johannes Kahrs (57, SPD, MdB für Hamburg-Mitte seit 1998).

Wer ist Kahrs? Er gilt als mächtig, weil er Sprecher des angeblich konservativen Seeheimer Kreises der SPD ist. In der Hamburger SPD ist er ein versierter Strippenzieher. Und er ist weitreichend vernetzt. Laut Wikipedia ist er Mitglied in folgenden Vereinen, Verbänden, Organisationen – zum Teil in führender Position: Kurt-Schumacher-Gesellschaft, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Technisches Hilfswerk, AWU, Deutsche Hilfsgemeinschaft, SC Hamm 02, Pfadfinderschaft Nordmark, FC St. Pauli. SC Vorwärts-Wacker 04, Bürgerverein zu St. Georg von 1880, Deutsche Atlantische Gesellschaft, Deutsch-Israelische Gesellschaft, Europa-Union Parlamentariergruppe Deutscher Bundestag, Rechtshilfe Polizei e. V., Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz, Gewerkschaft verd.di, nichtschlagende christliche Studentenverbindung Hamburger Wingolf, Lassalle-Kreis, Fröbel-Gruppe, Jugend gegen AIDS an. Auch Vereinen mit Nähe zum Thema Bundeswehr gehört er an: Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, Förderkreis Deutsches Heer, Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik. Seit 2008 ist Kahrs, der 2018 seinen langjährigen Lebensgefährten heiratete, Beauftragter für die Belange der Lesben und Schwulen in der SPD.

Alles recht und schön. Kahrs ist aber auch ein Charakter, der es in sich hat. Gewiss wird man Menschen frühe „Sünden“ nicht endlos vorhalten. Aber wenn es sich um “Sünden“ handelt, die bezeichnend für einen Charakter sind, ist doch ein Nachdenken geboten, wenn es um die Positionierung solcher Charaktere in gehobenen öffentlichen Positionen geht. Deshalb ein paar Stationen aus Kahrs‘ Vita. Seine gelegentlichen hochemotionalen Tiraden gegen alles, was ein bisschen rechts von Merkel und Kahrs ist, lassen wir dabei mal außen vor.

1.

1992 hatte Kahrs (damals 28) mit der damals 22 Jahre alten Silke Dose eine linke Gegnerin im Hamburger Juso-Vorstand. Silke Dose erhielt nachts anonyme Anrufe, in denen der Anrufer teils auflegte, teils schwieg oder sie mit Sätzen wie „Ich krieg dich, du Schlampe“ bedrohte. Die junge Frau beantragt eine Fangschaltung. Im Mai 1992 tappte Kahrs zweimal gegen drei Uhr morgens in die Falle. Beim nachfolgenden Verfahren kam es zu einem Vergleich. Kahrs zahlte 800 Mark Bußgeld an eine gemeinnützige Organisation. Im August 1992 forderten 50 bekannte Hamburger SPDler Kahrs auf, von sämtlichen Ämtern zurückzutreten und seinen Verbleib in der SPD zu überdenken. Seiner Karriere tut der Vorfall keinen Abbruch. Sein Anwalt damals war übrigens Ole von Beust (CDU), der spätere Erste Bürgermeister Hamburgs. 1998 wurde Kahrs Bundestagsabgeordneter. Vier Jahre lang saß er im Verteidigungsausschuss, seit sieben Jahren nun sitzt er im Haushaltsausschuss, wo er heute für den Etat des Verteidigungsministeriums zuständig ist.

2.

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2005 gingen an Kahrs‘ Hamburg-Mitte-SPD insgesamt mehr als 60.000 Euro Parteispenden aus der Rüstungsindustrie. Darunter waren Spenden unter der Veröffentlichungsgrenze von 10.000 Euro – beispielsweise Spenden der Rüstungskonzerne Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann. Das Hamburger Abendblatt hatte darüber berichtet. In einer Stellungnahme hatte sich Kahrs wie folgt geäußert. „Es gibt klare Regelungen, an die halten wir uns“, so Kahrs. „Mehr sage ich nicht.“ Anders als die anderen Hamburger Direktkandidaten hatte Kahrs im Bundestagswahlkampf 2005 neben Stellplakaten auch Großflächen in der Innenstadt mit seinem Konterfei verzieren lassen. Nicht nur Konkurrenten, auch einige Parteifreunde hatten sich darüber gewundert, wie Kahrs dies finanziert habe. Kahrs sagte, alle Spenden seien legal. Viele Sozialdemokraten hielten diese Gelder für „moralisch unannehmbar“. Es hieß zudem in der SPD, Kahrs habe im Haushaltsausschuss manche Rüstungsprojekte so lange blockiert, bis er erreicht habe, dass bestimmte Firmen an ihnen beteiligt würden. Die Fraktionsführung, namentlich der damalige Fraktionschef Peter Struck, habe davor die Augen verschlossen, sagten damals SPD-Abgeordnete. Siehe hier.

3.

Im November 2008 bremste Kahrs mit Tricksereien bei der Listenaufstellungen parteiintern Niels Annen aus. Niels Annen war von 2005 bis 2009 MdB, dann musste er – nicht zuletzt wegen Interventionen Kahrs‘ – bis 2013 pausieren. Seit 2013 gehört Annen wieder dem Bundestag an, seit 14. März 2018 ist er zugleich – wohl auf Betreiben von Heiko Maas – Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen. Der linke SPD-Flügel hatte den Rückzug des Sprechers des „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs, gefordert. Der Wortführer der SPD-Linken, Björn Böhning und die damalige stellvertretende Parteivorsitzende Andrea Nahles machten in getrennten Zeitungsinterviews den Hamburger Bundestagsabgeordneten Kahrs für das Scheitern der Bewerbung von SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen um die Direktkandidatur im Bundestagswahlkreis Hamburg-Eimsbüttel verantwortlich. „Wir erwarten, dass die Seeheimer personelle Konsequenzen ziehen. Wenn ihnen die Verantwortung für die Partei wichtiger ist als eigene Machtspielchen, kommen sie daran nicht vorbei“, sagte Böhning dem Berliner Tagesspiegel. So lange Kahrs eine herausgehobene Rolle beim „Seeheimer Kreis“ der konservativen Sozialdemokraten spiele, könne es „keinerlei Kooperation mehr geben“, fügte Böhning hinzu. Nahles übte im Hamburger Abendblatt ebenfalls heftige Kritik an Kahrs. „Ein Hauptverantwortlicher für die Entscheidung ist offenkundig Johannes Kahrs“, so Nahles. „Er schaut erkennbar nur auf seinen persönlichen Vorteil. Er schadet damit auch dem Teil der SPD, für den er angeblich spricht. Wichtig und richtig ist ein Jahr vor einer Bundestagswahl, dass die SPD Unterschiede zur politischen Konkurrenz klar macht und nicht die eigenen guten Leute mit fragwürdigen Methoden bekämpft.“

4.

Der Name „Kahrs“ kommt aktuell auch ins Spiel, wenn es darum geht, dass Hamburg auf 47 Millionen Steuern aus Cum-Ex-Deals der Warburg-Bank verzichtet haben soll. Hintergrund: Hamburger SPD-Spitzenpolitiker sollen sich trotz der Ermittlungen gegen die Bank den Berichten zufolge mit Christian Olearius, dem Inhaber und ehemaligen Chef der Warburg-Bank, getroffen haben. Tagebuchaufzeichnungen von Olearius, die Teil der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte sind, lassen vermuten, dass dabei auch über steuerliche und strafrechtliche Probleme gesprochen worden sei. Konkret soll der damalige Bürgermeister Hamburgs und heutige Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz im November 2017 Olearius in seinem Amtszimmer empfangen haben – zu einem Zeitpunkt, an dem die Bank längst in Steuerverfahren und Strafermittlungen verstrickt gewesen sei. Olearius soll sich – so seine Tagebuchaufzeichnungen – auch mit dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Kahrs getroffen haben. Kahrs stritt den Berichten jedoch ab, ein solches Gespräch geführt zu haben.

Und nun: Rette sich, wer kann?

Kahrs betreibt offenbar in Vorahnung eines weiteren Niedergangs der SPD vorausschauende Selbstbedienung. Er will wohl unbedingt Wehrbeauftragter werden. Wiewohl der amtierende Wehrbeauftragte Bartels keine neuen Stellen beantragt hatte, machte sich Kahrs dafür stark, dass das Amt des Wehrbeauftragten um vier Stellen (alle im höheren Dienst) von 55 auf 59 Stellen aufgestockt wird. In der Summe macht das für eine fünfjährige Amtszeit Personalkosten von rund einer Million aus. Nachtigall – ick hör‘ dir trappsen!

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