Tichys Einblick
Namentliche Abstimmung

Impfpflicht-Abstimmung im Bundestag: Wer dafür gestimmt hat und wer dagegen

Nach hitziger Debatte und zahlreicher Tricks von Seiten der Regierung ist der Impfzwang im Bundestag gescheitert. Der Antrag aus den Reihen der Ampel-Fraktion verfehlte die Mehrheit deutlich. Die namentliche Abstimmung in der Übersicht.

IMAGO / photothek
Die Abstimmung über den Impfzwang im Bundestag ging dann doch überraschend eindeutig aus. Fast 80 Stimmen fehlten dem Antrag für eine Impfpflicht ab 60 Jahren.
Die Ergebnisse der Abstimmung nach Fraktionen zeigen, wie das zustande kam. Denn Scholz, Lauterbach & Co. hofften unter anderem durch Abmilderung des Antrages Stimmen von CDU/CSU und FDP Stimmen zu ziehen; das gelang ihnen kaum. Im Gegenteil stimmten sogar zahlreiche Grüne- und SPD-Abgeordnete gegen den Antrag aus den Reihen der Ampel-Fraktion.

Die CDU/CSU stimmte bis auf drei Abgeordnete geschlossen gegen den Antrag. Für den Impfzwang stimmte unter anderem Marco Wanderwitz.
Auch die FDP-Fraktion – auch wenn eigentlich erheblich am Zustandekommen des Impfzwang-Antrags beteiligt – stimmte bis auf fünf Stimmen dagegen. Die FDP-Wortführerin für eine allgemeine Impfpflicht, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, blieb der Abstimmung fern. Thomas Sattelberger stimmte für den Impfzwang.

Bei den Grünen stimmten sechs Abgeordnete gegen die Impfpflicht: unter anderem Canan Bayram. Die in Friedrichshain-Kreuzberg direkt gewählte Abgeordnete stimmte zuletzt immer wieder kritisch in Bezug auf restriktive Corona-Maßnahmen ab – so etwa gegen Merkels „Bundeslockdown“. Auch Tessa Ganserer stimmte gegen die Impfpflicht.

Bei der SPD stimmten neun Abgeordnete gegen ihre Genossen im Bundeskanzleramt und Bundesgesundheitsministerium.

Die AfD stimmte geschlossen gegen den Impfzwang, die Linke fast vollständig. Unter den sieben Linken-Abgeordneten, die für die Impfpflicht stimmten, war die Bundesvorsitzende der Partei, Susanne Hennig-Wellsow.

Kurze Zeit nachdem über diesen Antrag abgestimmt wurde, stimmte der Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU für eine Impfpflicht auf Vorrat für den Herbst ab. Hier stimmte kein Abgeordneter einer anderen Fraktion zu – die Unionsfraktion stimmte aber fast geschlossen für einen solchen Impfzwang unter Vorbehalt.

Hier können Sie die namentliche Abstimmung tabellarisch einsehen. 


12:44: Bundestag stimmt klar gegen Impfzwang – krachende Niederlage für Scholz und Lauterbach

Lediglich 296 Abgeordnete stimmten für die Impfpflicht ab 60 Jahren, 378 stimmten dagegen. 9 Abgeordnete enthielten sich der Stimme. Damit ist der von Bundeskanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach unterstützte Antrag durchgefallen – der Impfzwang kommt nicht.

Auch der Antrag der CDU/CSU-Fraktion, der anschließend zur Abstimmung kam, wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Darin war eine Impfpflicht auf Vorrat vorgesehen. Auch große Teile der Unionsfraktion selbst stimmten dagegen.

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11:30: Abstimmungstrick gescheitert – die Impfpflicht-Debatte in der Übersicht

Eine emotionale, laute und kontroverse Debatte im Bundestag: So lebhaft wie lange nicht mehr ging es in der Debatte zur heutigen Impfpflicht-Abstimmung zu. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der für den jüngsten Kompromiss und damit für eine Impfpflicht ab 60 Jahren eintritt, warnte vor den Folgen des Scheiterns einer Impfpflicht heute. „Die Omikron-Variante ist deshalb milder verlaufen, weil schon so viele geimpft waren“, behauptet der angezählte Minister. Wenn die Omikron-Variante dominant bleibe, stürben weiterhin zwischen 200 und 300 Personen pro Tag. „Wollen wir das als Gesellschaft akzeptieren?“, fragte Lauterbach im gewohnten Ton. „Das kann keine humane Gesellschaft für uns sein.“  Lauterbach appellierte an die Union, den Kompromiss nicht zu verhindern.

Doch die Union will nicht. Man wisse nicht, was im Herbst komme, erklärt der CDU-Abgeordnete Tino Sorge. Die aktuelle Lage rechtfertige keine Impfpflicht, das Thema sei zu komplex, um heute den Impfpflicht-Antrag zu beschließen. „Wir haben glücklicherweise sinkende Inzidenzzahlen. Lasst uns eine belastbare Datengrundlage machen“, sagte Sorge mit Blick auf die Forderung der Union, ein bundesweites Impfregister einzuführen. Diese ist zentral im Antrag der Fraktion. Er vergleicht die Impfpflicht mit einer Ehe – man könne nicht pauschal dafür oder dagegen sein, „es kommt darauf an. Wir wissen nicht, welche Variante im Herbst grassieren wird“.

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Sorge wirft der Ampel-Politik Absurdität vor: „Es kann nicht sein, dass wir die Maskenpflicht abschaffen und dann eine Impfpflicht beschließen.“ Mit dem Unionsantrag könne man „die Polarisierung der Gesellschaft tilgen“. Seine Fraktionskollegin Nina Warken kritisierte, dass die Regierung keinen eigenen Vorschlag eingebracht habe. Dies sei „ein völlig falsches Signal“ gewesen. „Es wäre besser gewesen, mit den Kollegen an einem Vorschlag zu arbeiten, statt bis spät in die Nacht bei Markus Lanz zu sitzen. Anders als sie, waren wir nicht untätig“, giftet sie gegen Lauterbach. „Aktuell ist aus unserer Sicht keine Impfpflicht angezeigt“, meint Warken. 

Ihr folgt Janosch Dahmen von den Grünen. Er ist einer der Hauptinitatoren der Impfpflicht und wirft der Union mangelnde Kooperationsbereitschaft vor: „Demokratie besteht aus Gesprächen und der Bereitschaft zu Kompromissen. Das haben sie in vier Monaten nicht geschafft.“ Er wird nicht der einzige sein, der der Union ein Weglaufen vor einer angeblichen staatspolitischen Verantwortung vorwirft, weil es ohne die CDU/CSU keine Mehrheit für die Impfpflicht geben wird. „Vorsorge heißt, heute zu handeln, um morgen zu sichern (…) Ich bitte Sie: Stimmen sie für den Antrag.“

Doch der Widerstand gegen die Impfpflicht steht. Eine überparteiliche Gruppe von Weidel bis Wagenknecht lehnt die Zwangsmaßnahme ab. Wagenknecht, die sich hinter den Antrag der Gruppe um Wolfgang Kubicki stellt, spricht von Deutschland als „Geisterfahrer“: Kein Land außer Deutschland verfolge den Irrweg einer Impfpflicht, erklärt die Linken-Politikerin. „Wie gut die Impfung gegen künftige Mutationen hilft, weiß kein Mensch – und trotzdem halten sie an einer Impfpflicht fest, weil der Kanzler sich durchsetzen muss?“ Wagenknecht endet eindringlich: „Hören sie auf, die Menschen zu bevormunden – die Corona-Impfung muss eine persönliche Entscheidung bleiben.“

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Auch Wolfgang Kubicki spricht in der Debatte. „Eine Herdenimmunität wird nicht erreicht, wir hatten keine Überlastung des Gesundheitssystems und werden wohl auch keine bekommen“, stellt der FDP-Politiker fest. Er könne gut nachvollziehen, dass in der Debatte „die Emotionen hochgehen“. Doch bei der Entscheidung dürfe man nicht auf falsche Begründungen setzen. „Ungeimpfte sind nicht schuld daran, dass sich andere Menschen infizieren.“ Impfungen dienten dem Selbstschutz, nicht dem Fremdschutz, so Kubicki – „und es darf keine Pflicht des Staates zum Selbstschutz geben.“

Die Frage stelle sich, ob es „noch um eine sachgerechte Lösung geht oder darum, politisch die Oberhand zu behalten“, kritisiert Kubicki. Ihm widerspricht sein Parteikollege Andrew Ullmann. Wir können unser Gesundheitssystem nur durch Immunisierung vor einer Überlastung schützen. Wir können auch nichts machen, aber das wäre ein Pokerspiel. Wir wollen aber nicht aus dem Bauch entscheiden, sondern wissenschaftlich. Dann ist ganz klar: Wir müssen die Impflücken schließen.“ Sein Antrag, das räumt Ullmann selbst ein, sei ein Kompromiss, „um nicht mit leeren Händen dazustehen“.

Die Impfpflicht als Rechthaberei-Projekt statt als Gesundheitsschutz: In dieses Horn bläst auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Sie liest dem Parlament die Leviten, spricht vom „unwürdigen Impfpflichtgeschacher der Ampel“. Die Impfpflicht sei eine „radikale Maßnahme“ und verfassungsfeindlich, führt die Politikerin aus. Es gehe um die „Lust an der völligen Verfügungsgewalt“, nicht um Gesundheit. Dass der Impfstatus nur noch kein halbes Jahr gelte, heißt für Weidel, „dass die Regierung zugibt, dass die Impfstoffe nicht wirken“.

Zudem würden sich die Meldungen über Impfschäden mehren. „Das Vorgehen der Ampel ist nicht nur blamabel, es ist gefährlich. Verlogener geht es nicht.“ Ihr Parteikollege Martin Sichert zählt die Lügen der Politik auf. „Vor der Wahl hat jede Partei versprochen, dass es keine Impfpflicht geben wird“, sagt er. Weil er Bundeskanzer Scholz als „Lügenkanzler“ bezeichnet, kassiert er eine Rüge von Bundestagspräsidentin Bas.

Nach der Aussprache folgt eine weitere, erhitzte Debatte: Diesmal geht es um die Tagesordnung, genauer gesagt die Abstimmungsreihenfolge. Ampel-Abgeordnete wollen ihren Antrag als letztes abstimmen lassen: Die Hoffnung ist, dass sich aus dem Druck heraus, doch irgendetwas zu beschließen, unsichere Abgeordnete zum Schluss doch hinter die Impfpflicht stellen. Ein Verfahrenstrick, der parlamentarischen Gepflogenheiten zuwiderläuft. Unions-Geschäftsführer Thorsten Frei protestiert scharf, wirft der Ampel quasi Rechtsbruch vor. „Sie werfen uns Tricksereien vor – dabei sind sie es, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass ihre Abgeordneten frei entscheiden und setzen sie unter Druck. Was ist das für ein Demokratieverständnis – das ist unparlamentarisch“, entgegnet die Grünen-Politikerin Irene Mihalic scharf.

Zuvor hatte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz erklärt, dass seine Fraktion die Abstimmung nicht als Gewissensfrage anerkenne. „Sie nennen es manipulativ, rechtsschädigend – das beschädigt unser Demokratieverständnis“, warf FDP-Politiker Johannes Vogel seinem Kollegen Frei vor. Doch auch Jan Korte von der Linken kritisiert den Bruch mit parlamentarischer Tradition: Der weitestgehende Antrag müsse zuerst abgestimmt werden, „wie in jedem Ortsverband. Nur weil sie keine Mehrheit haben, müssen sie hier keine Prozesse ändern.“

Am Ende stimmt der Bundestag doch zuerst über den Impfpflicht-Antrag ab – auch die vereinigte Ampel findet hier keine Mehrheit. Schlechte Zeichen also für Lauterbach und Scholz.


10:30: Scholz lässt Baerbock Nato-Gipfel schwänzen – damit sie für Impfpflicht stimmen kann

Die Bundestagsdebatte zur Impfpflicht läuft – eine Mehrheit für das Vorhaben einer Zwangsimpfung für Personen ab 60 Jahre ist sehr unsicher. So unsicher, dass der Bundeskanzler seine Außenministerin nach Berlin bestellen muss: Annalena Baerbock verlässt heute vorzeitig den Nato-Gipfel in Brüssel, um für die Impfpflicht zu stimmen.

Eigentlich ging es beim Treffen der Außenminister des Bündnisses unter anderem um Waffenlieferungen für die Ukraine – doch die deutsche Ministerin muss in den Reichstag eilen, um ein totes Pferd irgendwie über die Ziellinie zu reiten. Die Luft für die Impfpflicht ist dünn – jede Stimme zählt. Die Ukraine habe ein Recht auf Selbstverteidigung, betonte Baerbock noch in Brüssel: Dieses Recht scheint ihr offenbar genauso zweitrangig zu sein wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Ungeimpften.

Für die Gesichtswahrung von Olaf Scholz wird also selbst die Kommunikation mit der Nato während eines Krieges in Europa geopfert.

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