Tichys Einblick
Aufhebung Immunität

Wie ein gekünsteltes Nazi-Verfahren zum Bumerang werden könnte

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt gegen den Parlamentarier Petr Bystron wegen eines absurden Vorwurfs. Meint sie es ernst, müsste die Justiz im nächsten Schritt allerdings auch gegen Regierungspolitiker vorgehen.

IMAGO/Eibner

Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron (AfD) rätselte zusammen mit seinem Anwalt, warum die Staatsanwaltschaft München I gegen ihn im Zusammenhang mit einer Kundgebung ermittelte, und deshalb auch die Aufhebung der Immunität des Münchner AfD-Parlamentariers beantragt hatte. Am Inhalt der Rede von Bystron auf einer Demonstration am 6. März 2022 in München gegen die Impfpflicht konnte es nicht liegen: Dort erklärte er, dass viele Demonstranten auf Anti-Impfpflicht-Demonstrationen frühere Wähler der Grünen und der Linkspartei seien, die nun ebenso wie AfD-Anhänger als „Reichsbürger“ und Demokratiefeinde beschimpft würden.

Lauterbach verliert Contenance
Lauterbach spricht ungeimpften Pflegern das Demonstrationsrecht ab
Strafbar daran ist nichts. Und mit dem Inhalt von Bystrons Rede begründet die Münchner Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen ihn auch nicht. Sondern mit einer Körperbewegung: In dem Moment, als er „wir sind die bürgerliche Mitte, wir sind die AfD“ sagt, hebt der Politiker für etwa eine Sekunde den rechten Arm. Obwohl er ihn seitlich hebt, nicht durchstreckt und seine Handfläche nach vorn zeigt, will die Ermittlungsbehörde darin einen Hitlergruß erkennen, also einen Verstoß gegen den Paragraf 86 des Strafgesetzbuchs.

Am Donnerstag vergangener Woche empfahl der Immunitätsausschuss trotz der offenkundig willkürlichen Ermittlungsentscheidung dann die Aufhebung von Bystrons Immunität. Die Bundestagsmehrheit folgte dieser Entscheidung mehrheitlich gegen die Stimmen der AfD am gleichen Tag.

Das Verfahren könnte sich allerdings als Bumerang erweisen. Denn sehr ähnliche Fotos existieren auch von Politikern der Regierungskoalition. Bei einer Verdi-Kundgebung am 22. Juni in Magdeburg etwa zeigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eine Geste, die dem Hitlergruß sogar deutlich stärker ähnelt als Bystrons Armbewegung – er streckt seinen Arm durch, die Handfläche zeigt nach unten. Etliche Medien illustrierten ihre Berichte auch mit genau diesem Foto.

Zwar hebt Lauterbach den linken Arm. Aber darauf kommt es im Paragraph 86 a nicht an: Er stellt auch Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen unter Strafe, die dem Original „zum Verwechseln ähnlich sind“. Bilder dieser Art existieren auch von Kanzler Olaf Scholz, dem früheren SPD-Vorsitzenden Martin Schulz und anderen Politikern oder Politikergattinnen wie Bettina Wulff. In jedem Fall handelte es sich erkennbar um eine gestikulierende Armbewegung beim Reden oder Winken und um keinen Hitlergruß – genauso wie bei Bystron.

Der Abgeordnete ließ diese Fotos als Tischvorlage für die Mitglieder des Immunitätsausschusses verteilen und wies auf die offenkundige Willkür des Ermittlungsverfahrens hin. „In 99 Prozent aller Fälle empfiehlt der Immunitätsausschuss die Aufhebung der Immunität, wenn eine Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnimmt“, so Bystron zu TE. „Das ist auch richtig so. Die Immunität soll Abgeordnete nicht grundsätzlich vor der Justiz schützen – aber vor willkürlicher Verfolgung. Und mit genau der haben wir es hier zu tun.“

Gegenüber der Staatsanwaltschaft München I kündigte sein Anwalt an, Lauterbach und andere Politiker wegen der gleichen Armbewegung bei den zuständigen Ermittlungsbehörden anzuzeigen, sollte das Verfahren gegen den AfD-Politiker nicht umgehend eingestellt werden. Außerdem will Bystron das Vorgehen der Justiz gegen ihn zum Gegenstand im Europarat machen: Er sieht darin einen systematischen Missbrauch der Justiz gegen ihn als Oppositionspolitiker.

Das Verfahren der Münchner Staatsanwaltschaft ist nicht das erste gegen Bystron. Im Bundestags-Wahljahr 2017 ermittelte die Behörde schon einmal unter Berufung auf den Paragraf 86 gegen ihn, und ordnete eine Hausdurchsuchung an. Das Verfahren stellte sie später ein. Ein Gericht entschied auf eine Klage Bystrons, die Hausdurchsuchung bei ihm sei rechtswidrig gewesen.

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