Tichys Einblick
Neben Extremisten, wenn's die richtigen sind

Geisels Nase und das Grundgesetz

Berlins Innensenator läuft Sturm gegen das Versammlungsrecht. Jedenfalls dann, wenn ihm die Demonstranten nicht passen. Gegen Extremisten an sich hat er nämlich nichts.

imago Images/Future Image

Andreas Geisel ist ein Produkt seiner Umgebung. Und zwar folgender Teilumgebungen in aufsteigender Ordnung: erstens Berlin, zweitens Berliner Politik, drittens Berliner SPD. Das Wort ‚Milieuschaden’ trifft es bei ihm ganz gut. Geisel ist als Innensenator der Politiker, der, nachdem er routinemäßig jede vom Iran und der Hamas unterstützten Al-Kuds-Islamistendemonstration in Berlin durchwinkte, gegen die Corona-Demonstration vom Wochenende einen behördlichen Amok lief.

Innerhalb von 48 Stunden scheiterte er damit zweimal so deutlich vor Verwaltungsgerichten, dass es in anderen Bundesländern für einen Rücktritt reichen würde. Nicht in Berlin.

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Dem Politiker kommt dadurch das Verdienst zu, die ursprüngliche Demonstration gegen staatliche Corona-Maßnahmen zu einer allgemeinen Kundgebung gegen Grundrechtseinschränkung umfunktioniert zu haben.

Geisel ordnete bekanntlich nicht nur das inzwischen vom Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht kassierte Verbot der Corona-Demonstration am Samstag an, sondern fügte dem ersten Verbotsantrag noch eine persönliche Note an:
„Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen.“

Am Freitagnachmitttag teilte das Berliner Verwaltungsgewicht Geisel und dem Senat mit, dass es sich bei Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht um Deckmäntel handelt, sondern um Grundrechte, die nur in sehr engen Grenzen und mit gewichtigen Gründen eingeschränkt werden können, schon gar nicht präventiv.

„Unser System verächtlich machen“, auch diese geiselsche Wendung verdient nähere Aufmerksamkeit. Einen Ehrenschutz für „unser System“ kennt das Grundgesetz nicht, was immer unser System ist. Am speziellen System der Berliner Stadtpolitik gibt es übrigens vieles, was ein ganz normaler Bürger mit besseren als den geiselschen Verbotsgründen verachten kann. Etwa, wenn ein ehemaliger Stasi-Offizier in Kreuzberg einer öffentlich finanzierten Initiative zur Enteignung von Immobilienbesitzern zuarbeiten darf, und niemand im Senat etwas dabei findet. Der Senat überprüft schon seit vielen Jahren seine Senatoren und Staatssekretäre m/w/d seit Jahren nicht mehr auf eventuelle Kontakte zur Staatssicherheit. Verantwortlich für die, nun ja, Aussetzung eines Parlamentsbeschlusses ist: Innensenator Andreas Geisel.

Der Innensenator besitzt auch eigene Erfahrungen mit Extremisten. Bei der „Unteilbar“-Demonstration 2018 demonstrierte er selbst mit, obwohl er durch seine Behörde gut darüber Bescheid wusste, dass dort auch Anhänger der rechtsextremen „Grauen Wölfe“, Islamisten und Linksextremisten verschiedener Schattierungen unterwegs waren.
„Wenn ich als Demokrat gefordert bin, gehe ich auf die Straße“, so Geisel danach auf entsprechende Fragen im Abgeordnetenhaus, „und ich lasse mich nicht davon hindern, dass auch Extremisten die Möglichkeit nutzen, dort ihre Meinung zu sagen.“

Sich von Extremisten nicht am Mitdemonstrieren hindern lassen: die Formulierung sollte man sich merken. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn er das Recht, ohne Kontaktschuld auf die Straße zu gehen, nicht nur für sich selbst verteidigen würde, sondern für alle. Das tat und tut Geisel allerdings nicht. Bei der Anhörung im Verfassungsschutz-Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhaus am 12. August sagte Geisel, die „Mehrheit der Teilnehmenden“ am 1. August sei „nicht verfassungsfeindlich“ gewesen. „Aber zahlreiche Rechtsextremisten mit dabei, Reichsbürger, Netzwerk muslimenfeindlicher Rechtsextremisten, NDP, III. Weg.“

Und: „Größter Erfolg der Rechtsextremisten: Keine nennenswerte Abgrenzung der übrigen Demo-Teilnehmenden ggü Mitlaufenden Rechtsextremisten. Corona-Demos werden so zu einer Bühne und Kontaktbörse für Rechtsextreme.“

Die Formulierung „muslimenfeindliche Rechtsextremisten“ mutet auf den ersten Blick merkwürdig an. Auf den zweiten ergibt sie Sinn: die Grauen Wölfe beispielsweise, mit denen Geisel als herausgeforderter Demokrat bei „Unteilbar“ gemeinsam demonstrierte, sind eben Rechtsextremisten ohne Zusatz, mit denen eine vorübergehende Gemeinschaft schon möglich ist. Von semantischer Abgrenzung versteht der Innensenator also durchaus etwas.

Zu den Inhalten von Demonstrationen mit Extremisten kam seit Frühjahr 2020 bekanntlich noch Covid-19 als möglicher Grund, Demonstrationen unter bestimmte Auflagen zu stellen. Hier zeigt sich Geisel ähnlich geschmeidig, je nachdem, wer gerade demonstrieren möchte.

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Als im Juni 2020 das linke Bündnis „Unteilbar“ wieder demonstrierte, erteilte Geisels Innenverwaltung Auflagen: Mindestabstand, keine großen Gruppen. Vor allem sollten vom Bündnis selbst gestellte Ordner die Einhaltung kontrollieren. Der „Tagesspiegel“ zitierte Geisels Sprecher Martin Pallgen: „’Die Befolgung der Auflagen obliegt sowohl der Versammlungsleitung als auch den Teilnehmenden.’ Für die Organisatoren sei eine Zuwiderhandlung strafbar, Teilnehmer ohne Mund-Nasen-Schutz begehen eine Ordnungswidrigkeit. Klar ist aber auch: Das letzte Mittel, die Auflösung der Demonstration, soll unbedingt vermieden werden.“
Er gab also vorab schon die Garantie, dass kein Versammlungsabbruch droht – selbst dann, wenn Einzelne gegen die Hygieneanordnungen verstoßen sollten.

Als es ebenfalls im Juni nach der Black-Lives-Matter-Demonstration in Berlin Vorwürfe gegen die Innenverwaltung gab, die Kundgebung trotz offensichtlicher und massenhafter Verstöße gegen die Hygieneauflagen nicht abgebrochen zu haben, hieß es aus Geisels Haus:

„Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Demonstrierenden vorzuschreiben, wie sie zu demonstrieren haben“. So zitierte dpa die Behörde.

Vor diesem Hintergrund kommen die Aussagen Geisels in seiner Pressekonferenz vom 26. August erst richtig zur Wirkung, mit denen er das Verbot der Corona-Demo begründete. Dort wusste er schon, von den Demonstranten werde sicherlich
„wieder ganz bewusst gegen den Infektionsschutz verstoßen“, und verkündete:
„Wir dürfen uns nicht auf der Nase herumtanzen lassen.“

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Die Senatorennase ist in seiner Weltsicht ein hohes Gut, das notfalls ein bisschen gegen das Grundgesetz geschützt werden muss. Bei dieser Pressekonferenz steigerte er sich zu der Aussage, die Demonstration am Samstag sei „eine Demonstration gegen freiheitlich-demokratische Grundordnung, geht darum unsere Freiheit in Frage zu stellen, und das muss jeder wissen, der sich am Samstag auf die Straße begibt.“

In dem Satz müsste nur noch „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gegen „unsere sozialistische Ordnung“ ausgetauscht werden – dann würde alles passen.

Geisel, Jahrgang 1966, stammt nach eigenen Angaben aus einem SED-geprägten Elternhaus: „In diesem Geist wurde ich erzogen, aus einer solchen Familie komme ich. Liebevoll und gebildet, gut umsorgt, ohne Mangel und sozialistisch geprägt.“ Mit 18 Jahren trat er in die SED ein, nach eigenen Angaben im Sommer 1989 wieder aus, er studierte in Dresden Wirtschaft, eigenartigerweise, ohne den in der DDR obligatorischen Wehrdienst geleistet zu haben. In der Berliner SPD begann er seine Karriere als Juso-Sprecher in Lichtenberg, und glitt Stufe für Stufe nach oben. Eine Presseanfrage von TE nach Kontakten mit der Staatssicherheit beantwortete er bisher nicht.

Für seinen Amoklauf gegen das Versammlungsrecht erhielt Geisel Tadel von vielen Seiten, aus der CDU, etwa von dem Vorsitzenden der Mittelstandsvereinigung Carsten Linnemann, aus der FDP und von Verfassungsrechtlern.
Und ein Lob, allerdings so verklausuliert ausgesprochen, dass sie nichts konkretes gesagt haben will: Auf ihrer Sommerpressekonferenz am Freitag bekundete Angela Merkel Geisels höchstwahrscheinlich von vorn herein verfassungswidrigen Verbotsversuchen: „Respekt“.

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