Tichys Einblick
Karl-Theodor zu Guttenbergs Krokodilstränen

Ex-Verteidigungsminister kritisiert Merkel – zu Recht – Eigene Verirrungen verschweigt er tunlichst

Der klassische Fall von Haltet den Dieb. Ja, die Kanzlerin ist verantwortlich, doch der Motor der Aussetzung der Wehrpflicht war zu Guttenberg höchstselbst.

November 2010

Andreas Rentz/Getty Images

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU, Verteidigungsminister vom 28. Oktober 2009 bis 3. März 2011) hat Bundeskanzlerin Merkel vorgeworfen, sie sei die Hauptverantwortliche für die Sparmaßnahmen in der Bundeswehr. Zu Guttenberg weist Merkel die Schuld für die Kürzungen während seiner Amtszeit zu. Wörtlich sagte er in einem Interview mit dem NDR: „Die Sparbemühungen damals gingen vom Bundeskanzleramt aus und sie wurden vom Bundesfinanzminister mit großer Vehemenz mitgetragen und den Schuh muss sie sich schon mit anziehen.“ Merkel habe „erhebliche Sparanstrengungen“ unternommen, kritisierte Guttenberg. Und weiter: „Ich habe so ein bisschen das Gefühl, dass die Aufmerksamkeit hin zur Bundeswehr wieder gelitten hat in den letzten Jahren. Und dass man wieder mehr dafür machen muss, um den Menschen in unserem Lande deutlich zu machen, was diese Männer und Frauen tatsächlich leisten. Und da ist es nicht allein mit Bahntickets getan. Das ist sicher eine schöne Initiative, aber das muss natürlich weitergehen.“

Bundeswehr ohne Führung
Verteidigungsministerin z. Ü.: Annegret Kramp-Karrenbauer übt noch
AKK bekommt damit indirekt auch ihr „Fett“ weg. Ebenso zu Guttenbergs Amtsvorgänger Franz-Josef Jung (CDU). Zu Guttenberg dazu: „Ich kann mich noch an das immer wieder gemurmelte Sätzchen von einem Stabilisierungseinsatz gerade von meinem Amtsvorgänger Jung erinnern. Also ein Gedruckse, ein Herumgeeier und leider eben nicht der Sache dienend.“ Gemeint hat zu Guttenberg wohl Jungs Versuch, den Begriff „Krieg“ im Zusammenhang mit Afghanistan zu vermeiden. Noch im Mai 2009 hatte Jung in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau gesagt: »Ich halte es für falsch, von einem Krieg zu sprechen … In Afghanistan ist kein Krieg.« »Stabilisierungseinsatz« und »Friedenseinsatz« waren die Worte der Wahl.

Richtig ist, dass die Bundeswehr vor allem seit 2005 zu einer Reformruine verkam. Seitdem stellte bzw. stellt die CDU/CSU insgesamt sechs Verteidigungsminister: Rühe, Jung, zu Guttenberg, de Maiziere, von der Leyen und nun Kramp-Karrenbauer. Man könnte fünfen davon – AKK aufgrund der kurzen bisherigen Amtszeit ausgenommen – die Schuld am desaströsen Zustand der Bundeswehr zuschreiben. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Denn eines muss festgehalten werden: Seit 2005 steht an der Spitze der Bundesregierung nur ein Name – Angela Merkel. Für sie war die Bundeswehr immer ein nebensächliches Thema, sonst hätte sie hier das eine oder andere Mal von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und in Koalitionsverhandlungen zugunsten der Bundeswehr Flagge gezeigt.

Irrlichternde Merkel-„Botschaft“
"Bundeswehr viele Jahre nicht ausreichend versorgt"
Zu Guttenberg liegt hier durchaus richtig. Und jetzt das große ABER: Es war zu Guttenberg, der 2010/2011 die Aussetzung der Wehrpflicht durchgezogen hat. Er tat dies nicht alleine, sondern durchaus mit Rückdeckung durch die Parteivorsitzenden Merkel und Seehofer. Aber die politischen Mehrheiten für diese programmatische Fehlentscheidung zu Lasten der Nachwuchsgewinnung unserer Streitkräfte und zum Schaden der Einbettung der Bundeswehr in die Gesellschaft hat zu Guttenberg (CSU) organisiert. Er hatte nämlich 2010 eine Defizitanalyse zur Lage der Bundeswehr in Auftrag gegeben. Eine Strukturkommission unter Leitung des damaligen Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sollte Ideen entwickeln, wie die Bundeswehr künftige sicherheitspolitische Herausforderungen bewältigen könne. Und wie gespart werden könne. Im Juni 2010 schlug zu Guttenberg dem Bundeskabinett vor, die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu belassen. Dort heißt es nach wie vor in Artikel 12a: „(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden. (2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden.“

Das Bundeskabinett folgte zu Guttenbergs Vorschlag am 15. Dezember 2010. Ab dem 1. März 2011 sollte niemand mehr einberufen werden. Vonseiten der CDU und ihrer Kanzlerin gab es keinen Widerstand, die FDP sah in diesem Beschluss ohnehin die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. Auch die CSU machte die Pläne ihres damaligen Stars bereitwillig mit. Der CSU-Parteitag hatte der Aussetzung der Wehrpflicht am 20. Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit zugestimmt. Ohne Gegenrede bei nur wenigen Gegenstimmen folgten die 1.000 Delegierten „ihrem“ Bundesverteidigungsminister. Dieser hatte das praktische Ende der Wehrpflicht mit folgendem Satz begründet: „Es ist eine sicherheitspolitische wie eine patriotische Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben.“

Also: Zu Guttenberg hat die Bundeswehr maßgeblich mit entkernt und dafür gesorgt, dass sie in der Öffentlichkeit kaum noch sichtbar ist. Was sollen also die Krokodilstränen? Und was soll der Vorwurf des „Gedruckses“, wenn es zu Guttenberg selbst war, der zwei seiner wichtigsten Leute vor die Tür gesetzt hat: nämlich Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhahn und Staatssekretär Peter Wichert. Beide hätten ihn, zu Guttenberg, gerade vier Wochen im Amt, am 25. November 2009 unvollständig über alle Berichte zur Bombardierung zweier Tanklastwagen bei Kundus im Norden Afghanistans am 4. September 2009 (also zu Jungs Amtszeit) informiert. Das Verteidigungsministerium hat diesen personellen Aderlass lange nicht verschmerzt. Und das Vertrauen der Truppe in den „Neuen“ war von Anbeginn an angekratzt.


 

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