Tichys Einblick
Volksbegriff und Menschenwürde

Der Fall Martin Wagener: Wie der Verfassungsschutz einen Professor loswerden will

Versucht der Bundesverfassungsschutz mit Unterstellungen, unliebsame Persönlichkeiten loszuwerden? Das jedenfalls könnte man denken, schaut man auf die Causa Martin Wagener. Im Hintergrund wird die ideologische Umformung einer Behörde erkennbar.

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz

IMAGO / Chris Emil Janßen

Martin Wagener ist seit 2012 Professor am Fachbereich Nachrichtendienste an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Allein aus beruflichen Gründen gehören für Wagener demnach Nachrichtendienste zum Alltag: Er bildet Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus.

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Doch am 13. Mai erhält Wagener ein Schreiben des Geheimschutzbeauftragten. Titel: „Entzug des Sicherheitsbescheides: Ablehnung der weiteren Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit beim BND.“ Wagener gilt als „Sicherheitsrisiko“. Der „Zugang zu Verschlusssachen“ wird ihm entzogen. Der Grund? Der BND stützt sich bei seiner Einschätzung auf ein Gutachten des Bundesverfassungsschutzes – das mit abenteuerlichen Mitteln vorgegangen ist.

Wagener wundert sich. In seinem Podcast erklärt er, dass die Hochschule keine verfassungsfeindlichen Absichten bei ihm erkennen konnte. Der Fachbereichsrat hatte ganz im Gegenteil die Grundrechte auf Meinungsfreiheit und Freiheit der Lehre hervorgehoben. Auch vom BND gab es nie Vorwürfe, er versuche die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterminieren. Warum wird also dem Professor de facto die Arbeit unmöglich gemacht – und er als Verfassungsfeind gebrandmarkt?

Zuerst: Im Fall Wagener gibt es eine Vorgeschichte. Der Politikwissenschaftler eckte 2018 an, als er das Buch „Deutschlands unsichere Grenze: Plädoyer für einen neuen Schutzwall“ im Selbstverlag veröffentlichte. Denn die Medien erregten sich über den Professor, der vor kriminellen Banden und Terroristen warnte, die Deutschland erreichen könnten, und deshalb eine moderne Grenzschutzanlage forderte.

Aufmerksamkeit erregte diese erste Causa Wagener, als der BND anordnete, das Buch von einem externen Gutachter überprüfen zu lassen. Der kam zum Ergebnis, dass kein Dienstvergehen vorläge. Doch der Unmut in der Verwaltung saß offenbar tief.

Als Wageners Buch „Kulturkampf um das Volk: Der Verfassungsschutz und die nationale Identität der Deutschen“ im Jahr 2020 erschien, war der Autor demnach aus medialer wie politischer Sicht angezählt. Die Kritik am Verfassungsschutz hatte ein Nachspiel. Der BND reagierte auf „sicherheitsrelevante Erkenntnisse“, die er vom Bundesamt für Verfassungsschutz gegen Wagener erhalten habe. Am 25. Oktober 2021 erhielt er ein Hausverbot an der eigenen Hochschule.

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Es ist schon eine merkwürdige Geschichte: Gegen einen Wissenschaftler, der im Bereich der eigenen Forschung und Lehre aktuelle Staatseinrichtungen kritisiert, gehen eben jene kritisierten Einrichtungen vor. Dass man Wagener aus dem Herzen dieser Institutionen herausreißt, ist möglich, indem man ihm vorwirft, nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Was sind nun diese „sicherheitsrelevanten Erkenntnisse“, auf denen das BfV aufbaut, um den widerborstigen Professor loszuwerden?

Wagener hat sich in einem Podcast gegen die Anwürfe gewehrt – und je mehr er preisgibt, was ihm eigentlich vorgeworfen wird, desto wackliger wird das Gerüst, auf dem sie stehen. Es handelt sich um Verdrehungen, Auslassungen und bis zur Lächerlichkeit reichende Anschuldigungen. Im Kern wird Wagener vorgeworfen, einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ zu verwenden, der nicht mit der „Menschenwürdengarantie“ des Grundgesetzes zu vereinbaren sei.

Lächerlich ist diese Anschuldigung deswegen, weil Wagener sie gar nicht vertritt. Diese Bewertung sei „frei erfunden“, die Vorstellung eines ethnisch homogenen Volkes empfinde er höchstens als „putzig“. Offenbar könnte die Behörde eine solche Vorstellung nicht einmal von der rechtlichen Auffassung des ius sanguinis unterscheiden, das wiederum sehr wohl grundgesetzkompatibel sei.

Die Crux: Der Verfassungsschutz beraumt sich neuerlich an, selbst den Volksbegriff zu definieren und davon abweichende Meinungen als extremistisch einstufen zu wollen.

Wagener: „Der Verfassungsschutz setzt mit seiner Vorstellung von einem ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff aber ganz anders an. Da gibt es die Ebene, der ich zustimme: Wer Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit von demokratischen Prozessen ausschließen möchte, der vertritt eine verfassungsfeindliche Position. Und es gibt die Ebene, der ich nicht zustimme: Die Verfassungsschützer gehen nämlich davon aus, dass es Vorstellungen von einem Volk jenseits des Staatsvolkes nicht mehr geben darf. Wer dem widerspricht, dem wird ein ethnisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff unterstellt. Dann geht es zackig weiter: Das sei ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie, das wiederum eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.“

Martin Wagener
Nach Kritik an der Behörde: Inlands-Geheimdienst geht gegen Politikwissenschaftler vor
Der Vorwurf, einen „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“ zu verwenden, wird damit zum Kampfmittel gegen politisch Andersdenkende missbraucht. Er eigne sich „vorzüglich, all jene unter Verdacht zu stellen, die Kritik am Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland“ übten. Der bloße Verdacht reicht, um das missliebige Opfer in den Bereich des Rechtsextremismus zu rücken. Dass es im „Kulturkampf“-Buch eine implizite Ablehnung des ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs gibt, ignoriert Haldenwangs Behörde zugunsten des bereits bei der Recherche feststehenden Urteils.

Wagener stellt die Ereigniskette so dar: Weil im „Kulturkampf“-Buch kein verfassungsfeindlicher Inhalt zu finden war, bediente sich das BfV sogenannter „tatsächlicher Anhaltspunkte“ für eine Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. In einem aufgebauschten Gutachten wird dem BND diese Bestrebung als „Sicherheitsrisiko“ präsentiert; da das BfV selbst der „Maßstabsgeber“ dafür ist, was verfassungsfeindlich ist und was nicht, muss sich der BND daran halten. Aus Ermangelung an Beweisen muss der Vorwurf eines „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriffs“ unterstellt werden. Und wer die FDGO abschaffen will, ist ein Risiko. Selbst einem juristischen Laien fällt die Monstrosität des Vorgangs auf.

Damit hat der Fall zwei Ebenen. Zum einen ist es ein Kampf zwischen einem Inlandsgeheimdienst und der Wissenschaftsfreiheit. Wer das ideologische Gebaren staatlicher Institutionen bemängelt, kann leicht zum Opfer derselben werden – obwohl der Verfassungsschutz mit der Verletzung der Wissenschaftsfreiheit selbst verfassungsfeindlich handelt. Wagener kann seine Professur zwar behalten, ihm wird aber jede Möglichkeit entzogen, seinem Beruf nachzukommen, und er wird durch das Stigma der Verfassungsfeindlichkeit zur persona non grata. Das entspricht der Dystopie, die Tocqueville für die Demokratie im Endstadium angedeutet hat: „Du hast die Freiheit, nicht zu denken wie ich; Leben, Vermögen und alles bleibt dir erhalten; aber von dem Tag bist du ein Fremder unter uns. Du wirst dein Bürgerrecht behalten, aber es wird dir nichts mehr nützen.“

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Wissenschaftler unterstützen Verfassungsschutz-Kritiker Wagener
Die zweite Ebene betrifft die konkrete ideologische Umformung einer Behörde, die nicht mehr die tatsächliche Verfassung, sondern eine woke Chimäre hütet, die diese bereits in Wirklichkeit ersetzt hat. Nicht aus der Verfassung leiten Haldenwang und seine Mitarbeiter ab, was verfassungsfeindlich ist, sondern sie definieren diese Verfassungsfeindlichkeit selbst – und entledigen sich ideologischer Querläufer mit gestrickten „Verdachtsfällen“. Dieselbe Bundesrepublik, die sich zu jeder Zeit gegenüber anderen Staaten als moralisches Vorbild verkauft, ist in dieser Hinsicht unglaubwürdig. Wagener sagt dazu:

„Wenn Verfassungsschützer Gutachten schreiben, kann es nur um den Schutz des Grundgesetzes gehen – und nicht um wilde Verdächtigungen, die in der angestrebten Wirkung vor allem der Abstützung politischer Ziele dienen sollen. Bedenken wir bitte auch folgendes: Wer den Regierungen Polens und Ungarns vorwirft, es mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht so genau zu nehmen, der sollte in diesem Punkt selbst ein Vorbild sein. Deutschland ist das derzeit in vielen Punkten sicherlich nicht. Bleiben wir beim Beispiel Inlandsnachrichtendienst: Dessen Aktivitäten weisen mittlerweile eine lange Liste an Verstößen gegen das Grundgesetz auf – und es werden regelmäßig mehr, wie mein Beispiel zeigt. Dabei ist fast immer Übereifer im Spiel. Einigen Mitarbeitern der Behörde gehen hin und wieder die Maßstäbe verloren, wenn sie auch unbescholtene Bürger zu Verfassungsfeinden erklären – schlicht, weil sie zwischen rechts und rechtsextrem, links und linksextrem, nicht unterscheiden können oder wollen.“

An diesem Zustand seien die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern schuld, weil sie die Inlandsnachrichtendienste „regelmäßig politisch instrumentalisieren und so in den Behörden Erwartungshaltungen aufbauen“. Wenn der Verfassungsschutz mit dieser Vorgehensweise durchkomme, dann hieße das, dass man „extralegale Maßnahmen des Inlandsnachrichtendienstes“ hinnehme. Wagener drängt daher darauf, dass das Bundeskanzleramt und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags den Fall untersuchen solle. Er betont, dass er „ohne Einschränkung“ den Rechtsstaat trotz des „ganz offenen Unrechts“ unterstütze. „Meine Kritik galt schon immer Personen in Ämtern, nicht dem politischen System“, sagt Wagener. Ängstlich will er sich jedoch nicht zeigen. Wer das tue, der schränke seine Wissenschaftsfreiheit selbst ein.



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