Tichys Einblick
Berliner Chaos-Wahl im Basarhandel

Bundestagswahl muss in 455 von 2.256 Wahlbezirken wiederholt werden

Das Bundesverfassungsgericht entschied für eine teilweise Wiederholung der Berlin-Wahl. TE hatte die eklatanten Wahlmanipulationen aufgedeckt, zwei TE-Leser klagten in Karlsruhe auf Wahlwiederholung.

IMAGO / Political-Moments
Bereits im Vorfeld schwächten die Medien ab: Von einer kompletten Wahlwiederholung sei bei der Bundestagswahl – anders als bei der Abgeordnetenhauswahl – nicht auszugehen. Sie sollten Recht behalten. Blieb lediglich die Frage offen, mit welcher Mystik das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die eigene Entscheidung zur Bundestagswahl im Gegensatz zur Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichtshofes erklären würde.
Recherchen von TE erzwingen Wahlwiederholung

Während für das Abgeordnetenhaus in ganz Berlin neu gewählt wurde und in der Folge eine neue Landesregierung unter Führung der CDU das Ruder übernahm, wird die ursprünglich zeitgleich durchgeführte und ähnlich fehlerhafte Bundestagswahl nur in wenigen Wahlbezirken wiederholt – aber auch das ist ein Signal: Die konkrete Durchführung von Wahlen steht unter Beobachtung. TE hatte zu diesem Zweck mit unserer damaligen Nachwuchs-Organisation „Apollo-News“ sämtliche Wahlprotokolle ausgewertet, dokumentiert und in einer Datenbank zur Verfügung gestellt.

Für zwei Leser von TE führte Professor Ulrich Vosgerau Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Atlas-Initative unterstützte das aufwendige Vorhaben und ermöglichte die Auswertung von rund 20.000 Dokumenten. Während die Wahl für das Abgeordnetenhaus komplett wiederholt werden musste, gilt für den wichtigeren Bundestag die Wiederholung nur „teilweise“ – so wie es die um ihre Mandate fürchtenden Abgeordneten des Bundestags erhofft und als Selbst-Prüfungsinstanz gefordert hatten.

Nicht nur die Entscheidung selbst betont die „teilweise“ Wahlwiederholung. Die ganze Erklärung zeichnet der Modus des „irgendwie nicht richtig, aber teilweise schon richtig so“. So stellt das BVerfG schon sehr früh klar: „Der Beschluss des Deutschen Bundestages vom 10. November 2022 ist im Ergebnis überwiegend rechtmäßig.“ Der Bundestag habe lediglich das Wahlgeschehen „unzureichend aufgeklärt“, da er „auf die gebotene Beiziehung und Auswertung der Niederschriften der einzelnen Wahlbezirke verzichtet“ habe.

Das Urteil begründete das BVerfG dann auch damit, dass die „Wahlprüfungsentscheidung […] dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs“ unterliege. „Demgemäß kam eine Ungültigerklärung der gesamten Bundestagswahl 2021 im Land Berlin nicht in Betracht.“ Es seien nur in 339 von 2.256 Urnenwahlbezirken (rund 15 Prozent) Wahlfehler feststellbar gewesen.

Explizit ging das BVerfG auch auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofes Berlin hinsichtlich der Wahl zum Abgeordnetenhaus ein, um bereits im Vorhinein mögliche Einwände abzuwehren: „Unerheblich ist insoweit, dass der Verfassungsgerichtshof Berlin eine vollständige Wiederholung der Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen angeordnet hat.“ Das war möglich, weil nach der Berliner Landesverfassung das dortige Verfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit entscheidet, während für den Teil Bundestagswahl die Kontrolle beim Bundestag selbst liegt. Der stellt offensichtlich geringere Ansprüche an die Korrektheit seiner Wahl.

Zur Begründung führten die Richter an, dass zwar „nach dem äußeren Rahmen ein einheitliches Wahlgeschehen vorliegt, dieses aber auf der Basis unterschiedlicher Rechtsgrundlagen der Konstituierung unterschiedlicher Parlamente diente“. Der katholische Theologe würde sagen: Das Bundesverfassungsgericht stellt den intrinsischen Unterschied von Apfel und Birne gemäß thomistischer Lehre fest.

Überdies seien bei den Landeswahlen Wahlfehler aufgetreten, die bei der Bundestagswahl nicht feststellbar seien, wie etwa die Verwendung kopierter Stimmzettel. Eine „bloße Berichtigung des Wahlergebnisses“ sei nicht möglich, da es nicht konkret feststellbar sei, wie sich die Wahlfehler auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten.

„Eine darüberhinausgehende Ausweitung der Ungültigerklärung der Wahl auf sechs der zwölf Berliner Bundestagswahlkreise scheidet demgegenüber aus“, so die Richter. Ebenfalls sei nicht zu beanstanden, dass der Deutsche Bundestag angeordnet habe, die Wahl durchgängig als Zweitstimmenwahl zu wiederholen.

Damit kommt das BVerfG zum Schluss, dass die Bundestagswahl in weiteren 25 Wahlbezirken des Landes Berlin für ungültig zu erklären sei, anderseits aber die Ungültigerklärung der Wahl in sieben Wahlbezirken aufzuheben sei. Die Bundestagswahl muss also in 455 von 2.256 Wahlbezirken des Landes Berlin wiederholt werden.

Auch für juristische Laien klingt das wie ein Basarhandel: Irgendwie hat jeder ein bisschen Recht und ein bisschen Unrecht, hier wird ein Wahlbezirk als gültig, hier als ungültig deklariert. Der Bundestag wird gerüffelt, seine Entscheidung aber nicht angezweifelt. Er hat nicht richtig aufgepasst, seine Entscheidung ist aber legitim. Der Berliner Verfassungsgerichtshof hat Recht, aber das Bundesverfassungsgericht auch. Es gibt Wahlfehler (falsche Wahlzettel und geschlossene Wahllokale), aber es gibt auch Wahlfehler, die keine Wahlfehler sind (darunter zählt das BVerfG lange Wartezeiten, eine Stimmabgabe nach 18 Uhr oder die Beeinflussung durch Informationen zur Hochrechnung ab 18 Uhr). Die in Einzelfällen dokumentierte Ausgabe von Wahlzetteln an nicht wahlberechtigte Personen hätte für die Zusammensetzung des Bundestages keine Bedeutung. Ein Urteil, wie es Ampeldeutschland nicht besser zusammenfassen könnte.

Ein großer Tag für TE

Trotzdem ist die Entscheidung „wirklich ein großer Tag“ für die Wähler in ganz Deutschland, kommentiert TE-Herausgeber Roland Tichy das Ergebnis. Zukünftig werden Wahlen genauer beobachtet, denn „die Wahlwiederholung in Berlin ist blamabel für den Berliner Senat.“. Besonders peinlich: Der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD), der für den Wahlmurks organisatorisch verantwortlich ist, besetzte bis April 2023 weiter den Berliner Senatorenposten für „Stadtentwicklung“. „Der oberste Wahlmanipulator war damit weiterhin Mitglied der Landesregierung“, so Tichy über die „rücksichtslose Leugnung politischer Verantwortung in Berlin“. Gleichzeitig zeigt das Ergebnis, das gegen den Widerstand von Politik und Gleichgültigkeit der Medien erkämpft wurde, dass unabhängige Medien wie TE in der Lage sind, demokratischen Missbrauch aufzudecken und Veränderungen zu bewirken.

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