Tichys Einblick
Verwirre und herrsche

Bundestagsdebatte: Merkel ist die Meisterin der entwaffnend schlechten Rede

Wer glaubt, den Worten der Kanzlerin politische Vorstellungen entnehmen zu können, hat den Merkelismus nicht begriffen. Was sie sagt, ist banal und langweilig. Wichtig ist, was sie nicht sagt - oder vernebelt: Nämlich ihre Verantwortlichkeit. Merkel hat das schlechte Reden zur Waffe gemacht.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Bundeskanzlerin hält keine mitreißenden Reden. Und dennoch ist sie eine raffinierte Meisterin der Rede, wie sie heute in der Generaldebatte im Bundestag erneut bewiesen hat. 

Denn weder das argumentative Überzeugen noch das emotionale Mitreißen ihrer Zuhörer ist ganz offensichtlich das Ziel, sondern ganz entsprechend ihrer alten Wahlkampftaktik der „asymmetrischen Demobilisierung“, gerade das Gegenteil. Merkel will der Kritik kein erkennbares Ziel bieten. Ihre größte Schwäche, nämlich nicht gut reden zu können, hat sie zu einer großen Stärke gemacht. Mit holprigen Satzkonstruktionen und ihrer einzigartigen Gabe, die Nacherzählung von Tatsachen wie feste Überzeugungen und Banalitäten wie große Erkenntnisse darzustellen, also beim Zuhörer Langeweile zu verbreiten, vernebelt sie die eigenen Konturen vor der Kritik. Confunde et impera – verwirre und herrsche – so lautet das rednerische Erfolgsrezept Merkels.

Nachdem AfD-Chef Alexander Gauland in seiner Eröffnungsrede der traditionell geschlossen auf ihre Handys blickenden Bundesregierung – wenig überraschend – das Scheitern der Energiewende vorwarf, ging die Kanzlerin – wenig überraschend – darauf nur mit dem alten Narrativ ein: „Wer, wenn nicht wir, soll denn zeigen, dass man dem Klimawandel etwas entgegensetzen kann.“ 

Stattdessen schläferte sie gleich zu Anfang ihrer Rede das Publikum mit einer Nacherzählung der Geschichte der Nato ein. Das hätten die meisten Politik-Lehrer vor Schulklassen sicherlich besser hinbekommen. Die Bundeskanzlerin dozierte also den Repräsentanten der Deutschen die jüngste Ereignisgeschichte vor: etwa dass 2001 „das Wort asymmetrische Kriegsführung in aller Munde war“ und: „Wir haben dann den Bürgerkrieg in Syrien gesehen“ und „2014 hatten wir dann die Annexion der Krim durch Russland“. Es gäbe, so narkotisierte Merkel weiter, „vor der Haustür Europas eine Vielzahl an terroristischen Bedrohungen“. Wer so spricht, sagt vor allem, dass er eigentlich nichts sagen will. Diese Absicht unterstrich sie mit dem Satz: „Und darum muss weiter gearbeitet werden!“.

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Wer bis dahin nicht eingeschlafen war, konnte nur drei handfeste sicherheitspolitische Aussagen aus dem Meer der merkelschen Langeweile herausfischen: Deutschland könne sich nicht völlig verweigern, afrikanische Staaten auch militärisch auszurüsten, weil es sonst nur Russen und Chinesen tun; und Deutschland werde „bis Anfang der 2030er Jahre“ das Zwei-Prozent-Ziel der Verteidigungsausgaben erreichen. Und schließlich: Die Türkei sollte Nato-Mitglied bleiben – wegen: „geostrategischer Bedeutung“. Erdogan wird das gerne hören.

Und das soll eine Antwort auf Trumps Sicherheitsberater Robert O’Brien sein? Der hatte gegenüber Bild gesagt, es sei „großartig, wenn Deutschland seiner Rolle als einer der Anführer der Welt gerecht werden würde“. Merkel, die sich, wie ihre Vertrauten immer wieder verkünden, angeblich vor allem für Außenpolitik interessiert, hat auf diesem Feld nichts als immergleiche Appelle für Multilateralismus und Einigkeit der Europäer zu bieten. Ausgerechnet Merkel, die mit ihrer Energiepolitik seit 2011 und vor allem ihrer Zuwanderungspolitik seit 2015 unabgesprochene nationale Alleingänge vollzog, fordert nun im Bundestag eine gemeinsame Politik der EU gegenüber China und innerhalb der Nato. Denn, so doziert Merkel: „Die erste Aufgabe, dass die Nato funktionieren kann, ist, dass die Europäische Union sich einig ist, denn die meisten Mitglieder der Europäischen Union sind auch Nato-Mitglieder.“ Auf die wichtigsten Fragen der Welt antwortet Merkel mit einer banalen Tatsache. Einigkeit wird zum Selbstzweck erklärt.

Die Frage, welchen Zielen diese Einigkeit dienen soll, und was Deutschlands nationale Interessen sind, wird nicht einmal erwähnt. Dieser mit vielen Worten aufgepustete Luftballon merkelscher Außen- und Sicherheitspolitik hat sich für die Kanzlerin bewährt: Als Mittel, um von den eigenen fundamentalen Versäumnissen, gerade auf dem Feld der Zuwanderungspolitik abzulenken. Sie kann so tun, als ob sie sich um Deutschlands und Europas Sicherheit kümmere – während sie zugleich über die Schwäche des eigenen Landes, vor allem gegenüber Erdogans Türkei, in die ihre Regierung es geführt hat, nicht spricht.

Verwirrend – und damit ganz bei sich – war Merkel, als sie von der Forderung nach europäischen Regeln für 5G-Netze (ohne Huawei zu erwähnen) gleich zur Kritik an der Unterdrückung der Uiguren überging und dann weiterwanderte nach Hongkong. Von der chinesischen Parole „Ein Land, zwei Systeme“, die eigentlich die demokratischen Sonderrechte Hongkongs bezeichnet, kam sie dann in nur einem Satz über die Feststellung: „Es gibt einen Systemwettbewerb“ zu ihrer  Lieblingsthese: „Ich weiß nicht, ob die Antwort auf den Systemwettbewerb heißen kann: Abschottung. Die Antwort auf den Systemwettbewerb muss auch heißen, dass wir selbstbewusst davon ausgehen, dass wir unsere Maßstäbe setzen können, ohne die totale Abschottung zu proklamieren. Das ist jedenfalls mein Angang.“ 

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Aus dem Hongkong-Konflikt – für die demonstrierenden Menschen dort kam ihr keine Sympathiebekundung über die Lippen – ein Plädoyer gegen „Abschottung“ herzuleiten, ist ein echt merkelsches Meisterwerk der verwirrenden Argumentation. Der Begriff „Abschottung“ richtet sich vermutlich gegen die AfD und die Forderung nach restriktiverer Einwanderungspolitik oder gegen die Forderung nach einer an nationalen Interessen geleiteten Außen- und Außenhandelspolitik schlechthin. Doch hat irgendjemand deswegen eine Abschottung von China gefordert? Die Verwendung des Kampfbegriffs „Abschottung“ ist bezeichnend für diese und für die meisten Merkel-Reden: Die wirklich wichtigen, existentiellen Fragen der Zeit werden gar nicht oder nur in vernebelnder Weise berührt.

Sie sagt selten, was sie tun will und wird (es sei denn, das ist ohnehin längst klar), stattdessen verkündet sie mit geballten Fäusten in quasi-kämpferischer Gestik die Plattitüde, dass die Lebensverhältnisse in Stadt und Land völlig unterschiedlich seien. Andererseits hält sie nicht etwa ein glühendes Plädoyer für die Windkraft an sich, sondern sie doziert zu Details: „Jetzt reden wir nur noch über einen einzigen Bereich, das sind die Splitterbereiche, bei denen man nun fragen kann, beginnen die bei sieben Häusern oder bei 30 Häusern.“ Sie tut also so, als gäbe es gar keinen großen gesellschaftlichen Konflikt um die Windkraft und als stünde nicht der gesamte weitere Ausbau an Land bereits still. Nur „Splitterbereiche“! Also kein großer gesellschaftlicher Diskurs nötig, weil die Bundesregierung alles im Griff hat. 

Nächstes Thema: „Zusammenhalt unseres Landes voranbringen“. Sie, die durch ihr Handeln beziehungsweise vor allem durch ihr Nichthandeln in der Zuwanderungspolitik die Gräben in der deutschen Gesellschaft aufgerissen hat, spricht aber gerade nicht darüber. Sie sagt: „Da wird es eben nicht reichen, wenn die Menschen in der Stadt den Menschen auf dem Land erklären, wie das mit dem Windkraftausbau läuft.“ Als ob nicht sie und ihre Regierung die Verantwortung trügen für die Energiewende, sondern irgendwelche „Menschen in der Stadt“. 

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Bezeichnend auch, was Merkel den 40.000 Bauern zu sagen hat, die just am Tag zuvor mit Tausenden Traktoren in Berlin demonstrierten. Ja, sie will sich am Montag mit den Verbänden der Bauern treffen. Was haben die von ihr zu erwarten? Offenbar nichts als eine geballte Ladung politischen Kitsches: „Was wir den Menschen, die morgens früh aufstehen und abends spät erst ins Bett gehen, und immer dann noch arbeiten, wenn wir beim kühlen Bier sitzen, was wir denen sagen können, ist, dass wir deren Arbeit achten, und dass unsere Aussagen – wir wollen regionale Produkte essen – nicht Schall und Rauch sind, sondern dass die ernst gemeint sind. Und dass wir heimische Lebensmittel wollen und eine starke Landwirtschaft.“

Von „Friktionen“ spricht Merkel am Ende ihrer Rede, natürlich wieder, ohne auf die Ursachen dafür einzugehen, zu denen ihre Regierungen seit 2005 schließlich erhebliches beigetragen haben. Stattdessen doziert sie gleich zweimal Artikel Eins des Grundgesetzes und stellt fest: „Meinungsfreiheit in unserem Land ist gegeben, und all die, die immer behaupten, sie dürften nicht mehr ihre Meinung sagen, denen muss ich einfach sagen, wer seine Meinung sagt, und wenn sie prononciert ist, muss damit leben, dass es Widerspruch gibt. Es gibt keine Meinungsfreiheit zum Nulltarif.“  Und am Ende sagt sie ganz lapidar: „Deswegen finde ich, wir sollten die Legislaturperiode lang weiter arbeiten – meine persönliche Meinung – ich bin dabei, herzlichen Dank.”