Tichys Einblick
Zum Mietendeckel der Wohnraumdeckel

Berlin führt Obergrenze für Wohnraum ein: Nur noch ein Zimmer pro Mieter

Wegen der desaströsen Immobilienpolitik ist Wohnraum in der Hauptstadt so knapp, dass der Senat jetzt auf Zwangsbewirtschaftung setzt – wie früher in der DDR. Pro Person soll nur noch ein Zimmer erlaubt sein. Und das dürfte erst der Anfang sein.

Auf jede freie Wohnung in Berlin bewerben sich im Schnitt 200 Personen. Manchmal sind es weniger, manchmal auch deutlich mehr: Vor einiger Zeit wurden 81 Quadratmeter im eher schäbigen Teil des Stadtbezirks Wedding angeboten.

Zur Besichtigung kamen 656 Interessenten.

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Zu viele Leute und nicht genügend Wohnungen, damit ist Berlin ganz gut beschrieben.

Der Senat der Stadt tut seit Jahren alles, damit sich beide Probleme vergrößern (dazu gleich mehr). Weniger Einwohner werden es deshalb also in absehbarer nicht, im Gegenteil. Und mehr Wohnungen werden es auch nicht, jedenfalls nicht annähernd genug.

In seiner Not kocht der CDU-Linksaußen und Regierende Bürgermeister Kai Wegner jetzt mit Rezepten, die man einst lange und ausgiebig in der DDR ausprobierte und die schon da ihre Unverträglichkeit nachgewiesen hatten. Was so ein richtiger Macher ist, der lässt sich von historischen Erfahrungen allerdings nicht gerne beeindrucken. Deshalb greift Wegner jetzt beherzt zu einem Mittel, das man bisher vor allem aus der Kriegswirtschaft kennt:

Er rationiert den Wohnraum.

In den Beständen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften soll eine Obergrenze von einem Zimmer pro Person im Haushalt eingeführt werden. Das sieht ein Senatsentwurf vor. Alleinstehende dürfen demnach künftig nur noch Ein-Zimmer-Wohnungen mieten, Paare höchstens zwei Zimmer.

Die Wohnraum-Zwangsbewirtschaftung soll für die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gelten (Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land, WBM) – und für die Wohnungen der Berlinovo, die unbefristet und nicht möbliert vermietet werden. Betroffen sind damit insgesamt knapp 390.000 Wohneinheiten.

Auf Anhieb fallen einem kurzfristige praktische Probleme ein, die so zusätzlich geschaffen werden. Zum Beispiel: Was machen wohnungssuchende Paare, die schon wissen, dass sie bald Nachwuchs haben möchten? Die dürfen jetzt höchstens zwei Zimmer anmieten, dort schnell ein Kind zeugen – und nach der Geburt dann gleich wieder umziehen.

Doch selbst, wenn man solche Kleinigkeiten in den Griff – und die selbstverständlich notwendige Bürokratie zur Kontrolle der neuen Vorschriften organisiert – bekäme, was angesichts der notorisch unfähigen Berliner Verwaltung ziemlich sicher nicht zu erwarten ist:

Wegners Wüten in der Wohnungswirtschaft wird absehbar wenig bis gar nichts ändern.

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Denn der „Bundeshauptslum“ (Don Alphonso) hat seinen – für eine industriearme Millionenstadt so wichtigen – Immobiliensektor seit vielen Jahren zielstrebig an den Klippenrand gefahren.

Nach Analysen verschiedener Branchenexperten fehlen in Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt Düsseldorf mit ihren 620.000 Einwohnern derzeit 8.600 Wohnungen. Das ist eine fehlende Wohnung auf 72 Bewohner. In der Bundeshauptstadt mit ihren 3,6 Millionen Einwohnern fehlen derzeit 100.000 Wohnungen. Das ist ein Verhältnis von 1:36.

In Berlin fehlt relativ gesehen also genau doppelt so viel Wohnraum wie in Düsseldorf.

Und er fehlt jetzt. Also: heute, schon in diesem Moment, nicht irgendwann später mal. Mit jedem Tag wird es schlimmer, weil Berlin wächst – vor allem wegen der Migranten. Fortwährend strömen viel mehr Leute die Stadt hinein als hinaus. Seit 2011 verzeichnet Berlin im Schnitt einen sogenannten Wanderungsgewinn von durchschnittlich 30.000 Köpfen – jedes Jahr.

2019 bis 2022 waren es mal für eine kurze Zeit etwas weniger. Dafür sind wegen des Ukraine-Kriegs im vergangenen Jahr dann gleich 85.000 mehr nach Berlin gezogen, als die Stadt verlassen haben.

An diesem Ende des Problems setzt der CDU-geführte Senat die kontinuierliche Problemverschärfung seiner Vorgänger nahtlos fort. Die Integrationsbeauftragte Katarina Niewiedzial will die Stadt noch stärker für Migranten öffnen. Man sei „noch nicht am Limit“.

Konkret forderte sie gerade, dass 14.000 weitere Afghanen nach Deutschland geflogen werden. Berlin wolle und werde viele davon aufnehmen, sagte sie.

Wo all die neuen Zuwanderer wohnen sollen, sagte sie nicht.

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Auch am anderen Ende des Problems, dem verfügbaren Wohnraum, ist der Senat exakt in die falsche Richtung aktiv.

Berlin ist eine Mieter-Stadt. Bei der sogenannten Wohneigentumsquote liegt die Metropole mit 16 % weit abgeschlagen auf dem letzten Platz aller Bundesländer. Zum Vergleich: Beim Tabellenvorletzten Hamburg sind es schon 20 %, beim Spitzenreiter Saarland gar 60 %.

Nirgendwo leben anteilig weniger in den eigenen vier Wänden als in Berlin.

Die SPD, die die Stadt über Jahrzehnte beherrschte, hat diesen Zustand nach Kräften gefördert. Denn die Sozialdemokraten sind (möglicherweise nicht ganz zu Unrecht) davon ausgegangen, dass Wohnungs- und Eigenheimbesitzer für linke Ideen, linke Politik und linke Parteien weniger ansprechbar sind als Mieter.

Dass Wohneigentum einen Menschen freier macht, spielte bei diesem Kalkül keine Rolle. Mit der Freiheit hat es die Linke ja ohnehin nicht so.

Um die vielen wählenden Mieter milde zu stimmen, muss ein Berliner Politiker etwas für günstige Mieten machen. Oder er muss zumindest den Eindruck erwecken. Systemkonform tun das die Berliner Politiker: Sie erwecken den Eindruck.

Zunächst ging das dadurch, dass die Stadt Wohnungen baute und diese dann weit unter Marktpreis vermietete. Das ist das Prinzip des Sozialen Wohnungsbaus. Wie überall, wo man den Markt umgeht, entstand hier natürlich flugs ein korruptes System: Erst bereicherten sich die Baufirmen, dann bekamen längst nicht nur tatsächlich Bedürftige die billigen Wohnungen, sondern auch viele, die nur bedürftig taten – oder die schlicht die richtigen Kontakte zu den richtigen Beamten bzw. Mitarbeitern in den städtischen Wohnungsbaugesellschaften hatten.

Das hätte der Berliner Immobilienmarkt sogar noch verkraften können – wenn denn für den unaufhörlichen Zustrom an neuen Zuwanderern zumindest halbwegs ausreichend viele neue Wohnungen gebaut worden wären.

Das passierte aber nicht – und zwar mit voller Absicht.

Berlin hat ordentliche Haushaltsführung und sparsames Wirtschaften bekanntlich nicht unbedingt erfunden. Die Stadt lebt seit vielen Jahrzehnten chronisch über ihre Verhältnisse und steht permanent vor der Pleite. Und so wurden auch formal für den Wohnungsbau zweckgebundene Bundesmittel kunstvoll umgeleitet, um damit die sich inzwischen zu einem riesigen Berg auftürmenden Schulden der städtischen Wohnungsbauunternehmen zu bezahlen – und ansonsten noch allerlei andere Haushaltslöcher zu stopfen.

Selbst da, wo sie könnte, baut die Stadt nicht annähernd genug.

Gerade mal 6.400 Wohnungen sind im vergangenen Jahr in städtischer Regie entstanden. Zur Erinnerung: Es fehlen schon jetzt 100.000 Einheiten. Die will der Senat bis 2026 bauen. Wie das gehen soll, wissen auch die intimsten Kenner der Branche nicht.

Vertraulich erntet man von Experten für diese Pläne wahlweise Kopfschütteln oder Gelächter.

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Immer mehr Nachfrage, kaum neues Angebot – es passiert, was passieren muss: Auf dem richtigen Markt steigen die Mieten ordentlich.

An diesem Punkt sind die Berliner Wirtschaftshistoriker und Politikkünstler dann endgültig falsch abgebogen: Man hätte die Bauvorschriften radikal entschlacken können, um die – auch wegen vieler Umweltauflagen – bundesweit einzigartig hohen Baukosten zu senken. Man hätte städtische Flächen konsequent als Bauland ausweisen und von privaten Investoren in Erbpacht bebauen lassen können. Man hätte die Umwidmung von Gewerbe- in Wohnflächen radikal erleichtern können.

Doch statt einen kleinen Bauboom anzuschieben, beschloss man den Mietendeckel.

Mietshäuser baut man nur, wenn man die (meist fremdfinanzierten) Baukosten über die Miete in halbwegs erträglicher Zeit wieder hereinbekommt – und wenn sich der ganze Aufwand mehr lohnt, als das Geld einfach in Aktien anzulegen. Der Senat trieb nun aber einerseits die Baukosten immer weiter in die Höhe – und senkte gleichzeitig den möglichen Mietertrag immer weiter. Jetzt wundert man sich, dass Wohnraum fehlt und irgendwie keiner mehr Lust hat, welchen zu schaffen.

Der Mietendeckel baut halt keine Wohnungen.

Doch Berliner Politiker geben nicht so leicht auf. Wenn sie erst einmal vom falschen Weg überzeugt sind, gehen sie ihn auch bis zum bitteren Ende: Die Stadt und ihre Bezirke kaufen jetzt für teures Geld massenhaft Wohnungen zurück, die der Senat vor gar nicht allzu langer Zeit erst relativ günstig an private Investoren verkauft hatte. Diese Wohnungen werden, von allen Steuerzahlern subventioniert, weit unter Marktpreis vermietet.

Das ist zwar schön für jene, die (auf welchen verschlungenen Pfaden der Vetternwirtschaft und des Filzes auch immer) sich so eine Wohnung sichern können. Aber es entsteht dadurch natürlich keine einzige neue Wohnung. Das Problem kann so noch nicht einmal theoretisch gelöst werden. Selbst, wenn der Senat alle verfügbaren Wohnungen in Berlin aufkaufte: Es wären nicht annähernd genug, um den schon jetzt völlig überbordenden aktuellen Bedarf zu decken – vom künftigen Bedarf in ein paar Jahren ganz zu schweigen.

Deshalb kommt nach dem Mietendeckel jetzt also der Wohnraumdeckel. Wenn das Kernproblem so konsequent nicht angegangen wird; wenn die Zahl der Leute nahezu explodiert, die Zahl der Wohnungen aber fast gleichbleibt:

Dann hilft halt nur noch die Rationierung.

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Der Regierende Bürgermeister von Berlin simuliert. Seine Lösung ist keine.

Wenn man erst einmal in diese Richtung gestartet ist, kann man nur schwer umdrehen. Der nächste Schritt ist absehbar: In Berlin wird es zu Zwangszuweisungen kommen. Wer in von Amts wegen als „zu groß“ eingestuften Wohnungen lebt, wird Mitbewohner aufnehmen müssen. In Einzelfällen werden Migranten ja jetzt schon in Gäste- oder Ferienwohnungen untergebracht.

Denkbar ist auch, dass alleinstehende Senioren aus ihren oft größeren Wohnungen in kleinere umziehen müssen, um Platz für Familien zu machen. Das kann man dann „sozialen Wohnungstausch“ nennen, klingt netter als Zwangsauszug.

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