Tichys Einblick
AWO-Skandal

Arbeiterwohlfahrt-Skandal: Millionenschaden, aber weitermachen

Nur zögerlich wird der millionenfache Missbrauch von öffentlichen Mitteln und Spenden bei der Arbeiterwohlfahrt aufgeklärt. Die Aufarbeitung wird teuer: Die Riesengehälter für die AWO-Absahner wurden ja rechtlich einwandfrei abgeschlossen und sollen weiter fließen.

imago images / Noah Wedel
Der AWO-Skandal in Frankfurt und Wiesbaden deckte ein unglaubliches Geflecht von Selbstbereicherung auf, in der Arbeiterwohlfahrtsfunktionäre sich auf eine Art und Weise selbst bereichern, die sogar hartgesottenen Politikern die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte. In Frankfurt präsentierte Petra Rossbrey, Vorsitzende des Präsidiums der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (AWO) eine Zwischenbilanz der Schäden, die dem Sozialträger alleine in Frankfurt entstanden sind – die Schäden in Wiesbaden und im übergeordneten Verband Hessen-Süd müssen noch einmal gesondert ausgearbeitet werden. Der durch üppige Selbstbedienung vorläufig geschätzte Schaden allein in Frankfurt: 4,5 Millionen Euro.
Das Geschäftsführer-Ehepaar räumt ab

In der Zeit von 2015 bis 2019 raubten die Eheleute Richter und eine Clique von wohlgesonnenen anderen Akteuren die AWO regelrecht aus – und gingen dabei auch noch so plump und so dreist vor, dass einzig ein gewolltes Wegsehen der Stadtregierung dies ermöglichte. Denn es ist auf eine Initiative des Stadtverordneten Feldmann (SPD), der mittlerweile Bürgermeister von Frankfurt ist, zurückzuführen, dass die AWO ihre Personalkosten pauschal abrechnen konnte. Diese pauschale Abrechnung entzog die Kosten der AWO der Kontrolle der Stadt und machte die Selbstbereicherung erst im großen Stil möglich. Nach einer Prüfung der in Rechnung gestellten Kosten für zwei Frankfurter Flüchtlingsheime fordert das Sozialdezernat unter Daniela Birkenfeld (CDU) 600.000 Euro zurück. Die Flüchtlingsheime hatte die AWO für die Stadt bis 2018 betrieben. Doch der Stadt fielen schon 2019 Unregelmäßigkeiten auf. Die AWO musste die Flüchtlingsheime an andere Sozialträger abgeben, die Stadt verzichtete auf eine Strafanzeige und verpflichtete sich vertraglich sich nicht über diesen Vorgang zu äußern. Nun, es war wohl Zufall, dass Birkenfeld kurz vor ihrer Wiederwahl durch die Stadtverordnetenversammlung stand und dazu die Stimmen der SPD brauchte. Ihre hübsche Begründung: Sie habe das Ansehen der AWO nicht beschädigen wollen. Aber immerhin war Birkenfeld schneller als ihre Kollegin Sylvia Weber im Bildungsdezernat. Dort bereitet man ein Rückforderungsverfahren noch vor – der AWO Skandal ist ja erst seit Mitte 2019 bekannt, da war wohl die Zeit zu knapp. Überrascht es, dass das Bildungsdezernat SPD geführt ist?  Die AWO gilt zwar als traditionell SPD-nah, aber tatsächlich gleicht die AWO-Führung einem SPD-Parteitag.

Alles kein Betrug sondern AWO-Normalität

Rossbrey und die AWO Frankfurt weisen die Rückzahlungsforderungen des Bildungsdezernats zurück, behaupten gar, der Stadt Frankfurt sei kein Schaden entstanden, durch die Selbstbedienung ihrer Funktionäre. Das ist bei genauerem Hinsehen eine abenteuerliche Behauptung. Die AWO war sich nie zu schade, nicht nur ihre Spender und Mitglieder zu betrügen, sondern auch die Stadt. In mindestens einem Fall zum Beispiel, beauftragte die AWO einen Eventplaner für eine eigene Jubiläums Veranstaltung und stellte diesen dann der Stadt im Kostenblock Kita in Rechnung. AWO feiert, die Stadt bezahlt. Im Oben beschriebenen Fall der Flüchtlingsheime, gründete die AWO ein Subunternehmen namens „Awo Protect“.

Schwarze Kassen, Roter Filz
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Dieses Unternehmen sollte Sicherheitsdienstleistungen für die Flüchtlingsheime bereit stellen – und dabei den angestellten Sicherheitskräften höhere Löhne und sozialverträglichere Arbeitsbedingungen garantieren, als es bei privaten Sicherheitsunternehmen der Fall ist. Tatsächlich beschäftigte die AWO Protect keine eigenen Sicherheitskräfte, sondern kaufte deren Dienstleistungen von Drittunternehmen ein und verrechnete diese Kosten dann mit saftigem Aufschlag an die Stadt. Der Arbitrage-Gewinn, der sich so erzielen ließ, wanderte in die Taschen der Geschäftsführung und der extra damit befassten Geschäftsführer. Dieser Vorgang war es, neben einer Vielzahl anderen höchst fragwürdigen Abrechnungen, der dazu führte, dass der AWO die Flüchtlingsheime entzogen wurden. Die AWO Protect war damit allerdings noch lange nicht erledigt: stattdessen wurden plötzlich Wachgänge und andere Sicherheitsdienstleistungen für Kitas und Pflegeheime der AWO fällig – die natürlich die AWO Protect gerne durchführte. Die Funktionäre müssen ja gefüttert werden.
Der Sumpf ist noch lange nicht trockengelegt

Wenn also die Stadt um 600.000 Euro in zwei Flüchtlingsheimen betrogen wurde, um wie viel wurde sie dann in den 18 Kitas betrogen, welche die AWO Frankfurt für die Stadt betreibt? Laut Aussage der Bildungsdezernentin Weber erhalten die Kitas eine Pauschale pro Kind, die für alle Kitas der Stadt gleich ist. Eine zusätzliche Rechnungsstellung findet nicht statt. Im Kita Bereich müssten die Funktionäre sich also direkt am Betriebsvermögen bedient haben. Dies soll über Scheinrechnungen und Fantasiepreise, sowie Kickbacks – also klassische Korruption – geschehen sein. Wie aus einer Strafanzeige hervor geht, die TE vorliegt, handelt es sich dabei im hohe Summen: 1,8 Millionen Euro für Putzdienstleistungen, Edelstahl-Preise für Preßspann-Billig-Küchen, Auslagerung von AWO Dienstleistungen die dann für überhöhte Preise von privaten Firmen geleistet werden, des Bürgermeisters aktuelle Ehefrau mit Top-Gehalt und Dienstwagen – die Liste der Vorwürfe ist lang. Laut eigener Aussage hat das Ehepaar Feldmann das überhöhte Gehalt von Frau Feldmann bereits zurück überwiesen – als ob damit die Selbstbereicherung wieder gutgemacht wäre.

Frankfurter OB Feldmann, Ehefrau und die AWO-Frankfurt
Der Bürgermeister gibt vor, vom ungerechtfertigten Gehalt seiner Frau genauso wenig gewusst zu haben, wie davon, dass sie den Dienstwagen, mit dem er gerne in die Arbeit fuhr, erst erhielt, als sie in den Mutterschutz eintrat.  Wusste er auch nichts davon, dass die AWO aktiv Wahlkampfhilfe für ihn betrieb? Feldmann scheint von den Vorgängen in der AWO nichts gewusst zu haben – obwohl er bis zu seiner Wahl zum Oberbürgermeister bei der AWO eine gut bezahlte Top-Stelle inne hatte. Eine Top-Stelle, die eigens für ihn geschaffen und nach seinem Wechsel in das Rathaus nicht wieder besetzt wurde. Was er da genau für die AWO arbeitete, dass weiß bei der AWO niemand so genau: und Feldmann sitzt im Rathaus und schweigt. Frau Feldmann hat ihre Stelle als Leiterin der deutsch-türkischen Kita „Dostluk“ (Freundschaft) nicht mehr inne – aber bei der AWO ist sie nach wie vor Kitaleiterin in einem anderen Stadtteil.
Die teuren Autos der AWO und ihrer Funktionäre

Andere Betrugsposten haben es auch in sich: 1,6 Millionen Euro kosteten die Dienstwägen der Richters, der Feldmanns-Gattin und anderer Funktionäre. Dabei war Feldmanns Wagen noch der bescheidenste: Die Gnädigste fuhr einen Ford Focus Turnier. Der ehemalige Geschäftsführer Jürgen Richter hingegen erhielt für die Dienstliche Nutzung seines Jaguar 4.500 Euro Entschädigung im Monat, sein Sohn Gereon soll einen Audi gefahren haben, der in AWO Besitz war. Auch Mercedes AMGs sollen zum Fuhrpark gehört haben. Weitere 900.000 Euro spendete der Kreisverband Frankfurt an den AWO Kreisverband Wiesbaden – wo das Geld weiter versickert sein dürfte. Auch studentische Hilfskräfte, zufällig Nachwuchspolitiker der SPD wurden üppig entlohnt.

Myrella Dorn ist Mitglied der Stadtverordnetenversammlung, SPD-Fraktionsmitglied und laut Fraktionswebsite seit 2015 Werksstudentin der AWO Frankfurt. Ihr wurde ab 2019 ein Dienstwagen bereitgestellt. Auf der Website der AWO Frankfurt wird sie als „Abteilungsleiterin Jugend“ geführt. Laut Hessenschau stieg sie im Sommer 2019 von einer Studentischen Mitarbeiterin zur Abteilungsleiterin mit Personalverantwortung auf. Ein anderer „studentischer Mitarbeiter“, SPD Jungpolitiker Johannes Frass, war Pressesprecher für die AWO Frankfurt und verdiente rund 100.000 Euro Jahresgehalt. Einen Pressesprecher leistet die AWO Frankfurt sich mittlerweile jedoch nicht mehr. Nach einem Streit mit einem AWO Funktionärsehepaar schloss Richter mehrere Auflösungsverträge mit ihnen ab, die insgesamt Abfindungen in Höhe von 1,3 Millionen Euro umfassten. Wie gerechtfertigt diese waren, ist hoch fragwürdig. Weiter ließ sich Richter von der AWO eine Küche in seine Privatwohnung einbauen, kaufte Iphones (Wert unbekannt), einen Mac (5.000 Euro) und eine Teemaschine (1.300 Euro); und das sind nur die TE bekannten Fälle des AWO-Selbstbereicherers. Wenn überhaupt scheinen die 4,5 Millionen Euro Schaden, die der AWO-Frankfurt entstanden sind, niedrig angesetzt. Wie hoch der Schaden bei der AWO Wiesbaden ist – das ist immer noch unbekannt.

Ruhestand wird teuer – für die AWO

Die AWO Frankfurt konnte nun, laut Rossbreys Aussagen, 1,5 Millionen Euro einsparen, um die Liquidität zu sichern. Gespart wird zum Beispiel bei einem Dutzend höheren Verwaltungsangestelten, die nun nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden sollen, statt weiter ihre höheren, außertariflichen Gehälter zu beziehen. Das soll laut Rossbrey 100.000 Euro sparen – also etwas weniger als 1.000 Euro pro Monat pro Mitarbeiter. Immerhin soll bei den ohnehin schlecht bezahlten Pflegern, Kindergärtnern und anderen operativen Mitarbeitern nicht gespart werden. Auch die Kündigung von Richter und Konsorten wird viel Geld sparen – obwohl Jürgen Richter gegen seine Kündigung gerichtlich vorgeht. Er geht davon aus, dass er von der AWO noch Gehalt bekommen muss – und zwar bis zum Jahr 2022. Nach hr-Schätzungen könnte es sich dabei um rund 750.000 Euro handeln; bei der AWO verdient man fürstlich.

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Ohne die zahlreichen Nebenleistungen, Sonderzahlungen, materiellen Geschenke, Gehälter als Geschäftsführer von Tochtergesellschaften, ohne die 54.000 € fürs Auto betrug das nackte Gehalt 300.000,–€. Diese Gehaltszahlungen ließ Richter sich vertraglich auch für den Fall zusagen, dass er nicht arbeiten geht. Im März 2019 teilte er der AWO mit, dass er in die „passive Phase der Altersteilzeit“ eintreten werde. Und auch an seine Erben war in dem Vertrag gedacht. „Sollte J. Richter während der Freistellungsphase versterben, wird die ausstehende Vergütung als vererbliche Abfindung ausgezahlt“, heißt es in seinem Vertrag mit der AWO. Die Frage ist nur: Wie konnte es dazu kommen, dass die Organe der AWO so einen Vertrag abgeschlossen haben?

Die Antwort ist relativ einfach: Darüber entscheiden die Sozialdemokraten vor Ort unter sich, auch die Kassenprüfung erfolgt durch Genosse und Genossin, und man fühlt sich gemeinsamen Werten verbunden. Die Kassenprüfer wie Ulli Nissen (SPD), Bundestagsabgeordnete, vormals ehrenamtliche Kassenprüferin der AWO Frankfurt, fand zwar, sie sei der Aufgabe nicht gewachsen – was man ihr bei den Umsätzen, die die AWO macht, nicht verdenken kann. Doch, dass sie dann trotzdem die Kassenprüfung übernahm, statt zurückzutreten und die Aufgabe an Profis zu übergeben, dass ist ein typisches Beispiel für die Misere der heutigen SPD.

Immerhin: Die Gemeinnützigkeit der AWO Frankfurt steht auch zur Disposition: was verheerende Folgen für die Bilanz der AWO nach sich ziehen würde. Doch die Stadt will weiter mit der AWO kooperieren, sogar die Zahl der Kitaplätze, welche die AWO betreibt, ausbauen. Konsequenzen für ihr Fehlverhalten wird die AWO wohl doch nicht tragen müssen.

Man hat fast Mitleid mit dem Absahner-Richter. Er ist der Sündenbock, während alle anderen Beteiligten ihre Hände in Unschuld waschen.

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