Tichys Einblick
Corona-Gipfel im Ergebnis

Wieder alles verschleppt oder versiebt: Kein rasches Lockdownende dank Schnelltest-Staatsversagen

Immerhin: Die Inzidenz 35 ist vom Tisch, Öffnungen sind auf der Zielgeraden. Doch weil die Bundesregierung die Bestellung von Schnelltests, auf denen ihre ganze Strategie aufbaut, vergessen hat, geht das ewige Desaster in die nächste Runde. Die Übersicht.

imago Images/Reiner Zensen

Der Corona-Gipfel ist zu Ende, Merkel ist vor die Presse getreten – und sprach über einen Gipfel, zu dem es in der Tat viel zu sagen gibt. Was mit augenscheinlichen Lockerungen begann, entpuppte sich noch während des Gipfels als gigantische Nebelkerze. Lockerungen kommen – mit Schnelltests. Schnelltests kommen auch – aber frühestens im April. Ob es bewusster Wille der Regierenden oder schlicht und ergreifend Inkompetenz ist: Mitten in der Konferenz fällt auf, dass man die als elementar für die Öffnungsstrategie bezeichneten Schnelltests noch gar nicht bestellt hat. Deswegen wird der Lockdown erstmal bis Ende März verlängert – vorerst.

Der Staat in seinen vielen Formen gleicht in der Pandemie einem König Midas: Nur, dass alles was er anfasst, nicht zu Gold, sondern zum Desaster wird. Erst bei der Impfstoffbeschaffung, jetzt bei den Schnelltests – den Bürgern wird eine Wunderwaffe nach der anderen versprochen, die dann am Ende gar nicht zündet. Wir geben in der Pandemie unsere Freiheitsrechte an den Staat ab, damit dieser die Krise lösen kann: Doch in Berlin hat man diese offensichtlich als Hocker verwendet, um die Füße hochzulegen. Heute erst verspricht Merkel, eine „umfassende Teststrategie“ aufzubauen – nach einem Jahr Corona, in dem wir uns von Lockdown zu Lockdown gehangelt haben. Das Staatsversagen ist evident und zieht sich seit Monaten wie ein roter Faden durch die Pandemie-Politik. Wenn wir heute noch im Lockdown sitzen, dann nicht, weil das Virus es so entschieden hat, sondern weil der Staat nicht gehandelt hat.

"Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“
CDU und SPD wollen Corona-Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit verlängern
Dass es andere besser können, zeigt uns die Welt: Angefangen mit Südkorea, wo bereits vor einem Jahr umfassendes Testen einen harten Lockdown verhinderte. In Amerika sind bald genauso viele Menschen immunisiert, wie Deutschland Einwohner hat, und die Briten dürfen schon ihren Sommerurlaub planen. Doch in Deutschland wirkt der Lockdown wie ein Platzhalter, der proaktives, sinnvolles Handeln ersetzt. Der Lockdown wird, in merkelscher Manier, alternativlos gemacht, weil man sich alle Alternativen durch entschlossenes Nichtstun zerschossen hat.

Und so kommt es, dass der Corona-Gipfel im Kanzleramt nichts als eine Fata Morgana zustandebringen kann, um den freiheitsdurstigen Bürger bei der Stange zu halten. Ab Montag darf man wieder mehr Menschen treffen – maximal fünf aus zwei Haushalten dürfen zusammenkommen. Bei einer Inzidenz über 100 ist aber auch das wieder Geschichte, denn dann zieht die „Notbremse“, die alle aktuellen Beschränkungen wieder in Kraft setzt. Ansonsten präsentiert man, lange überfällig, eine „Öffnungsperspektive“.

Hausärzte sollen spätestens ab Anfang April am Impfprozess beteiligt werden und Immunisierungen dann in ihren Praxen verabreichen können. Damit gibt die Bundesregierung quasi ihren erarbeiteten Impfplan auf. Bei bisher nur 2,7% vollständig geimpften ist das auch bitter nötig – die Impf-Planwirtschaft reiht sich in die lange Linie des Staatsversagens in der Pandemie ein.

Immerhin: Die Inzidenz 35 ist endgültig vom Tisch, stattdessen gelten jetzt Inzidenzen von 50 bzw. 100 als Richtwerte. Damit können ab Montag Buchhandlungen, Gartenmärkte und Blumengeschäfte den Betrieb wieder aufnehmen und in einigen Regionen (je nach Inzidenz) bereits wieder der Einzelhandel. Frühestens ab dem 22.3. könnte die Außengastronomie dann öffnen.

So sieht die beschlossene Strategie in der Übersicht aus:

Lesen Sie hier den ganzen Beschluss als Dokument: 

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18:30: Corona-Gipfel offenbart weiteres Staatsversagen – flächendeckende Schnelltests erst ab April verfügbar

Erstes Ergebnis der Corona-Konferenz: Wie die Bild berichtet, haben sich die Ministerpräsidenten darauf verständigt, Hausärzte in die Vakzinierung der Bevölkerung mit einzubeziehen. Ab Ende März soll in den Hausarztpraxen flexibel geimpft werden können, wie es heißt. Das bedeutet nicht nur einen schnelleren Impf-Rollout, sondern stellt de facto auch das Ende der Prioritätenliste dar, die für die Ärzte nur noch als „Grundlage“ gelten soll. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder soll in der Konferenz das Motto „all you can Vaccinate“ ausgerufen haben – Keine Impfdosis soll ungenutzt rumliegen, alles muss raus. Die starre deutsche „Impfbürokratie“ müsse entzerrt werden, so Söder. Nach Monaten durch genau diese Impfbürokratie verschwendeter Zeit soll das Impfen nun also dezentralisiert stattfinden – das fällt den Regierenden reichlich spät einfällt. Aber im großen und ganzen ist nichts schiefgegangen…

Zudem gibt es Hoffnung für den Oster-Urlaub: Laut ntv sieht eine aktualisierte Version der Kanzleramts-Beschlussvorlage vor, dass Aufenthalte in Ferienwohnungen und -häusern sowie Wohnmobilen unter „bestimmten Bedingungen“ möglich sein sollen. Gleichzeitig sickert jedoch eine Bombe durch. Der Schnelltest-Hammer bei der MPK: Das „Wundermittel“ lässt auf sich warten. Denn wie sich im Laufe der Konferenz herausstellte, sind die als Zentral für Öffnungsschritte beschriebenen Corona-Schnelltests noch gar nicht verfügbar – weil der Bund keine bestellt hat! Jens Spahns angekündigte Test-Offensive löst sich in Luft auf – und damit auch die „Öffnungsperspektive“ des Corona-Gipfels. Öffnungen werden somit wohl um Wochen verschoben. Erst im April werden genug Tests für einen flächendeckenden, regelmäßigen Gebrauch bereitstehen.


15:30: Merkels Mogelpackung soll Öffnungen verschleppen

Merkel will das Ende des Lockdowns weiter verschleppen. Der Weg zu klaren und sinnvollen Lockerungen wird mit einem Maßnahmen-Kleinklein zugeschüttet. Schnelltests werden hier als das Wundermittel angepriesen. Doch an der wahren Wurzel des Problems soll nichts geändert werden: Der generelle Lockdown bleibt nach wie vor das Mittel der Wahl. Trotz der 100-Inzidenz als neuem Maßstab schwebt das Damoklesschwert der Zwangsschließungen weiterhin über den Geschäften, die jetzt öffnen können sollen. Das wäre nicht nötig – aber den Rückfall in Lockdownorgien behält man sich ja ausdrücklich als sogenannte „Notbremse“ vor. Und die kann schneller gezogen werden als erwartet: Durch das angestrebte Massentesten wird vor allem ein Anstieg der nominellen Fallzahlen erreicht werden. Somit liefert der zentral angepriesene Lockerungsschritt den nächsten Lockdown gleich mit: Ein trojanisches Pferd, eine Mogelpackung, ein geplanter JoJo-Effekt.

Die enormen wirtschaftlichen und sozialen Schäden werden derweil im Grunde weiterhin hingenommen, weil man sich weigert, die jetzt angekündigten Handlungen konsequent zu Ende zu denken. Warum öffnen Frisöre und Gartencenter, während die Gastronomie noch schließen muss? Die Frage, auf welcher Basis eigentlich entschieden wird, stellt sich nicht nur bei der Willkür der Öffnungsmaßnahmen, die keinem logischen Muster folgen – auch das jonglieren mit Inzidenzen ist bar jeder Logik. Wenn jetzt auf einmal die 100 als neue Maßgabe gilt müsste eigentlich auch der Letzte die Frage stellen, warum die Politik eigentlich monatelang mit Zahlen wie der 35 argumentierte – und welche Relevanz diese Zahlen als ganzes überhaupt für die tatsächliche epidemiologische Lage im Land haben.

Doch mit der verheerenden Verehrung der Inzidenzzahlen will Merkel nicht brechen – zu verlockend erscheint sie ihr wohl als Instrument, das Angstregime der Marke Corona am Laufen zu halten. Zahlen über die Auslastung von Krankenhäusern und Daten darüber, wer sich überhaupt infiziert, können da nur stören. In Wahrheit stehen schon seit Monaten Konzepte im Raum, wie wir mit Corona leben können – man muss sie nur zur Kenntnis nehmen wollen. Von Schnelltests in Heimen bis zu den vielfältigen klugen Konzepten, die Restaurants und Einzelhändler schon letzten Herbst erfolgreich implementieren konnten, ergibt sich ein klarer Weg aus dem Lockdown heraus – man muss ihn nur gehen wollen. Doch die Kanzlerin weigert sich. Die Freiheit der Menschen wird weiterhin in Geiselhaft gehalten, Stillstand wird zum Dauerbegleiter in der Corona-Politik.

Die angekündigten Öffnungen sind augenscheinlich ein Grund zur Freude. Doch zur Wahrheit gehört eben auch: Viel mehr wäre viel früher möglich, sogar nötig.

Lesen Sie unten das ganze Dokument und eine Übersicht über die derzeitige Beschlussvorlage. 


12:00: Haseloff bringt Impfpflicht ins Spiel – „Hatten wir in der DDR. Ich habe es überlebt“

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff hat sich in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe für den Einsatz des russischen Corona-Impfstoffes „Sputnik V“ ausgesprochen. „Wir sollten alles tun, was möglich ist, um das Impfen in Deutschland zu beschleunigen“, sagte der CDU-Politiker. Im Osten Deutschlands habe man schon lange Erfahrungen mit russischen Vakzinen: „Wir haben kein Problem mit Sputnik V. Ich bin als Kind schon mit einem russischen Präparat erfolgreich gegen Kinderlähmung geimpft worden (…) Ich würde mich jederzeit mit Sputnik V impfen lassen“, so Haseloff.

Im gleichen Interview brachte er überraschend auch eine Impfpflicht ins Spiel. „Impfpflicht hatten wir in der DDR. Ich habe es überlebt“, erklärt Haseloff, mit viel Gespür für passende Beispiele. Diese sei jedoch ein Thema für den Ethik-Rat.

Im Vorfeld des Corona-Gipfels ein ziemlich rabiater Vorstoß, vor allem weil der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt eher zu denjenigen gehört, die für Lockerungen eintreten. Aber offenbar muss man in Merkels Runde für jede Lockerungsforderung mit einer Restriktion an anderer Stelle aufwarten. Die weiteren Entwicklungen im Überblick:


10:30: Merkel ändert Beschlussvorlage deutlich: Öffnungen realistisch möglich, Osterbesuch fällt weg

In der letzten Beschlussvorlage vom Dienstag hieß es noch: „Anders als im Lockdown über Ostern im letzten Jahr sollen Verwandtenbesuche in diesem Jahr möglich sein.“ Diese Passage ist jetzt einfach weggefallen.

Dafür steht nun ein neuer Inzidenzwert fest, ab dem bestimmte Lockerungsschritte möglich sind. Ab einer „stabilen oder sinkenden 7-Tage-Inzidenz von unter 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnerinnen“ sind verschiedene Öffnungen möglich: U.a. des Einzelhandels per Terminshopping, von Museen, Galerien, zoologischen und botanischen Gärten, Gedenkstätten und 14 Tage später der Außengastronomie und des Einzelhandels im Allgemeinen. Allerdings sind im nun vorgelegten 5-Stufenplan noch einige logische Fehler enthalten (u.a. gleiche Öffnungen unter jeweils abweichenden Bedingungen), weswegen davon auszugehen ist, dass das Dokument nochmals geändert wird. Die Inzidenz von 100 ist im Gegensatz zur Inzidenz 35 realistisch erreichbar, große Teile Deutschland liegen deutlich unter dem Wert. In Berlin ist das wohl der erste Schritt zur klammheimlichen Verabschiedung von der „magischen 35“, die nichts weiter als einen quasi ewigen Lockdown bedeutet.

Merkel begibt sich auf einen diffusen Weg: Zwar macht sie Zugeständnisse in Richtung Lockerungen, gleichzeitig kann sie es aber nicht lassen, an der anderen Ecke den Bürgern wieder etwas zu entreißen. In dem Entwurf von Gestern wurde noch bemerkt: „Das besonnene Verhalten der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland während der Weihnachtstage hat eindrucksvoll gezeigt, wie Familienzusammenkünfte sicher gestaltet werden können.“ Das gilt am Mittwoch morgen, stand 07:30, wohl nicht mehr. Die Sehnsucht nach restriktiven Vorschriften im Kanzleramt ist wohl unstillbar.

Lesen Sie hier das ganze Dokument, die wichtigsten Stellen sind markiert.

Corona-Gipfel Entwurf 2


Übersicht: So sieht Merkels „Öffnungsperspektive“ zur Stunde aus:

In fünf Schritten soll es in Richtung Normalität gehen. Der erste ist, mit der Öffnung von Schulen und Frisören, bereits getan. Im zweiten Öffnungsschritt sollen Buchhandlungen, Gartenmärkte und Blumengeschäfte den Betrieb wieder aufnehmen können: Sie werden nun dem „Einzelhandel des täglichen Bedarfs“ zugerechnet. „Sie können somit auch mit entsprechenden Hygienekonzepten und einer Begrenzung von einer Kundin oder einem Kunden pro 10 qm für die ersten 800 qm Verkaufsfläche und einem weiteren für jede weiteren 20 qm wieder öffnen“, heißt es im Papier. Unter der Vorlage eines tagesaktuellen Corona-Tests durch den Kunden können auch „körpernahe Dienstleistungsbetriebe“ sowie Fahrschulen wieder öffnen.
Die Möglichkeit eines dritten Öffnungsschrittes wird den Ländern schon ab einer Inzidenz von unter 100 eingeräumt: Die Öffnung des Einzelhandels auf Basis sogenannter „Click-and-meet“ Methoden, die eine Art Terminbuchung zum Besuch eines Geschäftes vorsehen. Dies gilt ebenfalls für Museen, Zoos, Gedenkstätten und ähnliche Einrichtungen. Auch Außensportanlagen sollen wieder öffnen dürfen. Unter 14-Jährige sollen in Gruppen von bis zu 10 Personen kontaktfreien Sport treiben dürfen. Für Ältere gilt, dass Maximal zwei Personen sich gemeinsam sportlich betätigen können. Ein vierter Öffnungsschritt, der bei sinkenden oder stabilen Inzidenzen von unter 100 vierzehn Tage nach dem dritten Öffnungsschritt folgen können soll, sieht die Öffnung der Außengastronomie sowie von Kinos, Konzert-und Opernhäusern vor. Basis dafür sind ebenfalls negative Selbst-und Schnelltests der Besucher. Nach weiteren 14 Tagen bei stabiler Inzidenz sollen in einem fünften Schritt die Beschränkungen der Kundenzahlen im Einzelhandel gelockert werden. Sport ohne Test soll möglich werden. Bei einer Inzidenz von unter 35 sieht das Papier sogar Veranstaltungen mit bis zu 50 Teilnehmern vor.

Das alles geschieht jedoch unter Vorbehalt: Mit einer sogenannten „Notbremse“ sollen im Zweifel die aktuellen Maßnahmen wieder implementiert werden können. Laut Papier geschieht das, wenn die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 100er-Marke überschreitet.


Von Max Roland und Air Türkis.

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