Tichys Einblick
Zwischen Zweifel und Zuversicht

Bei Miosga: Friedrich Merz verkauft Frust als frischen Mut

Heizen und Autofahren werden noch teurer. Damit die Bürger endlich Sparsamkeit lernen. Sagt Friedrich Merz bei Caren Miosga. Dennoch sollen alle bitteschön zuversichtlich und fröhlich sein. Problem: Er selbst wirkt eher mutlos. Von Michael Plog

Gelassenheit und Zufriedenheit sind es nicht gerade, die aus diesen Augen sprechen. Möchtegern-Kanzler Friedrich Merz wirkt bei Caren Miosga bisweilen geradezu geknickt. Er will krampfhaft Zuversicht versprühen, doch seine Aura müffelt nach Fatalismus. Die Koalitionsverhandlungen stellt er geradezu manisch als Erfolg dar – allein, es fehlt an Verve. Über Steuererhöhungen etwa könne man zurzeit „wegen der aktuellen Lage“ nicht sprechen. „Man soll nie nie sagen“ – nach all seinen gebrochenen Wahlversprechen wirkt das wie eine Drohung.

Ein entscheidender Satz fällt dann auch bereits in der dritten Minute dieser seltsamen Stunde: „Wir werden die Krise als das neue Normal erleben.“ Na, dann mal gute Nacht.

Merzens Volksfrontregierung
Wenn nur noch Illusionen vor der Wirklichkeit schützen
Aber von wegen! In den Gesprächen mit der SPD sei er keinesfalls über den Tisch gezogen worden, denn „wir waren ja auch nicht die Softies“. Sagt er mit viel zu softer Stimme. Warum dann die 16-Prozent-SPD plötzlich sieben Ministerien bekomme, sogar eines mehr als zu Merkel-Zeiten, als sie noch bei mehr als 20 Prozent lag? Merz versucht es mit absurden Vergleichen: „Die Bildung einer Koalition ist doch kein Abzählreim, wo wir jetzt Hütchenspielen.“ Es soll nicht der einzige sprachliche Limbo an diesem Abend werden.

Miosga lässt Markus Söder einspielen. Der bayerische Ministerpräsident macht sich über die „neue Duz-Männerfreundschaft“ lustig, die sich zwischen Merz und dem SPD-Verhandlungsführer Lars Klingbeil „ganz zärtlich entwickelt“ habe. Von einer „Liebesheirat“ spricht der CSU-Chef gar. „Ist Markus Söder für sie manchmal sowas wie der peinliche Onkel am Kaffeetisch?“, will Miosga wissen. Das allgemeine Gelächter zeigt, mit wie wenig deutsche Talkshow-Gäste mittlerweile zufrieden sind. Auch Merz muss lachen. Der Kalauer scheint seine Depri-Aura für einen Moment zu überduften.

Koalitionsvertrag
Merz will sich an der Migrationswende vorbeischwindeln
Doch der Moment verfliegt. Als es um seinen persönlichen Image-Absturz geht, ist die Stimmung schon wieder am Boden. Beim Ampel-Aus hielten Merz noch 40 Prozent der Deutschen für glaubwürdig, was bereits ein magerer Wert ist. Doch nachdem Merz bei der Schuldenbremse sein Wort gebrochen und Deutschland in eine neue Billionen-Verschuldung gestürzt hatte, ging es erst richtig in den Keller. Mittlerweile misstrauen ihm 78 Prozent der Menschen, im Osten sogar 84 Prozent. Auf der Beliebtheitsskala liegt er satt im negativen Bereich (-0,8 von -5), und laut ZDF-Politbarometer wollen ihn nur 36 Prozent überhaupt noch als Kanzler sehen.

Darauf angesprochen, gibt Merz wie üblich den Gleichmütigen. Doch er lässt sich ungewollt zu einem entlarvend ehrlichen Satz hinreißen: „Ich schau mir das an, ich nehme das ernst, aber ich korrigiere meine Entscheidung nicht.“ Aha, korrigieren, interessantes Wort. Gibt er also Fehler zu? Miosga fragt nicht nach.

Auf seine haarspalterischen Formulierungen zur Migrationspolitik angesprochen, versucht es Merz weiterhin mit Haarspalterei. Illegal Einreisende nur dann zurückzuweisen, wenn die Nachbarstaaten sie zurücknehmen, das bedeute ja wohl, dass sich am Ende gar nichts ändert, sagt Miosga. „Ich mache diese Abstimmung bereits“, antwortet Merz. Miosga: „Also, die Nachbarn müssen zustimmen?“ Merz harsch: „Abstimmung heißt Abstimmung, Frau Miosga.“ Ein Satz, so griffig wie Wackelpudding.

Mitglieder sind bedeutungslos wie Wähler
Friedrich Merz oder die Kunst, selbst beim Versagen zu scheitern
Immer wieder erreicht Merz mit seinen Aussagen genau das Gegenteil dessen, was er möchte. Er sorgt für Verunsicherung, wo er Klarheit bringen sollte, er fabelformuliert, wo nüchterne Prosa angesagt wäre. Zu der Zahl der Asylanträge etwa sagt er: „Wir haben natürlich insgesamt zuviel. Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass unsere Städte und Gemeinden das Problem noch lösen können. Deswegen müssen jetzt die Zahlen wirklich drastisch runter. Das darf keine sechsstellige Zahl mehr sein.“ Doch schon eine an sich obsolete Nachfrage bringt ihn wieder ins Lavieren. „Also unter Hunderttausend?“ fragt Miosga. Und Merz: „Legen sie mich nicht auf eine Zahl fest. Sie darf nicht sechsstellig sein, einigen wir uns darauf.“

Kritik aus der Wirtschaft nimmt er Volley, aber ohne Kraft im Bein. Jene Unternehmer, die – so zeigt es ein Einspieler – reihenweise sein Koalitionspapier kritisieren, hätten wohl „die 130,140 Seiten“ gar nicht gelesen, mutmaßt Merz. „Wenn sie sie gelesen hätten, wäre das Urteil wahrscheinlich etwas differenzierter ausgefallen.“

Thema Steuersenkung: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir bei der Einkommensteuer mehr tun“, sagt Merz, aber „die Spielräume sind klein“. Doch Merz bleibt beim Schönreden: „Das, was wir machen ist wirklich eine große Unternehmenssteuerreform.“ Er redet sich das Koalitionspapier selbst schön.

Noch so ein Moment der Unklarheit: Dass die Renten ab 2031 spürbar sinken werden, will er Miosga zwar nicht ins Gebetbuch schreiben, aber er widerspricht auch nicht. „ Wir stellen das System um“, sagt er und erwähnt eine kapitalgedeckte Rente. Schuld seien im übrigen die Rentner selbst, „weil diese Generation, die jetzt in Rente geht, sich entschlossen hat, zu wenig Kinder zu bekommen“.

Wie verhält sich die AfD?
„Wir retten Friedrich Merz nicht“
Als es um die Wirtschaftswachstums-Prognose von jämmerlichen 0,1 Prozent geht, schiebt Merz die Schuld sofort auf die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump. Doch er gibt wieder den Zuversichtlichen: „Ein Potenzialwachstum von zwei Prozent in Deutschland ist machbar. Das wäre eine Wirtschaftsleistung von zusätzlich 90 Mrd. Euro im Jahr. Das traue ich uns zu.“ Und wann? Frühestens in zwei Jahren. „Es wird jetzt keinen schnellen Gewinn geben.“ Schon wieder rutscht ihm ein überraschend ehrlicher Satz heraus: „Tiefgreifende Veränderungen kann man eigentlich nur in der ersten Hälfte einer Wahlperiode machen.“ Womit er zugibt, dass er seine Pläne strategisch so umsetzen will, dass sie seine Wiederwahl nicht verhindern.

In entscheidenen Fragen verweist Merz auch an diesem Abend ständig auf die EU. Er will „gemeinsames Handeln“, gemeinsame Strategien und „Leuchtturmprojekte gemeinsam entwickeln“. Und wer es immer noch nicht verstanden hat, dem sagt er es nochmal zum Mitschreiben: „Ich setze im übrigen sowieso sehr stark auf die Europäische Union.“

Wenn es allerdings um konkrete Probleme geht, wird er schwammig. Dann kommen Sätze wie „Wir machen das schnörkellos. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten wollen und auch nicht halten können.“ Oder: „Lieber mit Bescheidenheit starten, es gut machen, und die Leute sagen: Boah, das haben die gut gemacht.“

Nur bei einem Punkt ist er erschreckend klar: Der CO2-Preis wird exorbitant steigen. Tanken und Heizen will er unbezahlbar machen. Merz: „Es wird zunächst einmal für alle teurer. CO2 wird teurer. Wenn uns der Klimaschutz etwas wert ist, dann wird es teurer. Es wird teurer, damit die Menschen einen Anreiz haben, sparsam damit umzugehen.“

Teurer – das Wort des Abends. Staatliche Lenkung als Leitlinie. Sozialismus neu verpackt, jetzt in CDU-Tüten.

Gerold Otten als Vizepräsident abgelehnt
Nicht die AfD, sondern Merz ist eine Gefahr für die Demokratie
Unklar wiederum, wie denn der Zwang zu neuen Heizsystemen und der Umstieg auf Elektroautos staatlich gefördert werden soll. Ob denn Wärmepumpen weiter gefördert werden? „Das kann durchaus sein“, eiert Merz und setzt noch einen drauf: „Auf jeden Fall werden sie nicht verboten.“ Wie bitte?

Immerhin, so viel ist klar: Die Kernkraft ist tot („Die SPD war dazu nicht bereit und damit haben wir es akzeptiert.“) das Deutschland-Ticket wird vermutlich sterben („kommt auf den Prüfstand“) und beim Wohnungsbau – ach nein, da wird es wieder unklar: „Wir werden uns ganz sicher nicht auf Zahlen festlegen.“

Friedrich Merz hat Probleme, das ist an diesem Abend deutlich zu spüren. Manchmal ist er nicht Herr seines Körpers: So lobt er die Gespräche mit Lars Klingbeil und schüttelt dabei aus Versehen dauernd den Kopf. Und bei der Beschreibung seiner selbst entgleisen Wahrnehmung und Wirklichkeit schließlich völlig. Merz lobt seine „Fähigheit, Menschen zu begeistern, zu überzeugen, mitzunehmen, mitzureißen, auch auf einen Weg mitzunehmen, der schwierig ist und dies auch mit einem bisschen Emotionalität zu verbinden. Selbstbewusstsein, auch ein bisschen Pathos, das gesunde Nationalbewusstsein, Patriotismus zu zeigen – das muss doch in Deutschland auch möglich sein.“

Friedrich Merz redet die Welt schön. Ob es beim Zuschauer zündet, darf bezweifelt werden – sogar bedreifelt, wir haben schließlich Inflation.

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