Im Dezember 2019 erreichte der Dax nach einem etwas durchwachsenen, aber ganz ordentlichen Börsenjahr einen Stand von über 13.200 Punkten. Am 18. März 2020 – zwei Tage nach den Shutdown in Deutschland, eine knappe Woche nach der Grenzschließung der USA für Reisende aus Europa – kam der Index an seinem vorläufigen Tiefpunkt an: 8.441 Punkte. Am 29. April schloss er schon wieder bei 11.125 Punkten.
Wie kann das sein? Die Pandemie mit ihren gravierenden Einschränkungen für Bürger und Unternehmen ist längst nicht vorbei. Und die eigentliche Rezession kommt erst noch – mit einem voraussichtlichen Wachstumseinbruch zwischen sechs und acht Prozent. Trotzdem steigen auch viele US-Aktien und asiatische Titel. Etliche Unternehmen streichen ihre Dividende, aber manche schütteten auch 2020 Geld an ihre Anteilseigner aus, etwa der Schweizer Pharmariese Roche, oder sie haben noch vor, eine Dividende zu überweisen.
Wirtschaft runter, Aktien trotzdem nach oben – sehen wir hier ein Stück Finanzalchemie?
Was an den Börsen geschieht, folgt durchaus einer Rationalität. Aktien und Realwirtschaftsentwicklung hängen zwar miteinander zusammen – aber eben nicht starr. Denn im Preis eines Wertpapiers steckt immer die Zukunftserwartung für den Markt, die Branche und das einzelne Unternehmen. Während der US-Aktienmarkt 2019 eigentlich schon überinvestiert war – sichtbar an Kurs-Gewinn-Verhältnissen, die selten unter 20 rangierten, oft aber deutlich höher – lagen die europäischen Kurse vor dem Corona-Crash alles in allem moderater. Trotzdem ging es für sie in der Panikverkaufwelle steil und tief abwärts. In diesem Kursverfall lag eine Übertreibung nach unten – was sich etliche Käufer relativ schnell zunutze machten, um Qualitätsaktien einsammelten, nicht nur im Dax. Ein Chemiekonzern wie BASF, ein internationaler Luxusgüterkonzern wie LVHM, ein solider Mittelständler wie der Schmierstoffhersteller Fuchs Petrolub wird die Corona-Krise überleben und 2021 aller Wahrscheinlichkeit zur Stärke zurückfinden. Vielleicht sogar früher, wobei die Dauer der Erholung für langfristig orientierte Anleger weniger wichtig ist als die Unternehmenssubstanz. In der zweiten Märzhälfte gab es also grundsolide Papiere zum Discountpreis. Viele folgten deshalb der alten Regel: Mein Gewinn liegt im Einkauf.
Unter dem Corona-Schock leiden vor allem Unternehmen, die schon vor der Pandemie mit gravierenden Problemen zu kämpfen hatten. Etwa der japanische Technologieinvestor Softbank Group, den ein kranker Partner unter Wasser ziehen könnte: der schon vor Corona defizitäre US-Büroraumvermieter Wework. Softbank musste in der vergangenen Woche 6 Milliarden Euro seines Wework-Investments abschreiben.
Ob der US-Flugzeughersteller Boeing überlebt, ist zumindest offen. Allerdings sicherte sich der angeschlagene und hoch verschuldete Konzern gerade eine Unternehmensanleihe von 25 Milliarden Dollar. Das führt zu einem weiteren Grund für die positiven Börsenerwartungen: Es gibt weltweit einen gewaltigen Kapitalüberhang, der durch die Geldschwemme der Zentralbanken noch weiter wächst. Das Geld muss investiert werden. Da die Anlagemöglichkeiten begrenzt sind, dürfte viel in den Aktienmarkt fließen. Auch in der Vergangenheit bestand ein deutlicher Zusammenhang zwischen Zentralbanken und Börse: lockere Geldpolitik treibt Kurse.
Wer jetzt investieren will, sollte die Kurse verfolgen – und an schwachen Börsentagen bei Bluechip-Unternehmen einsteigen, die über hohe Liquidität und internationale Stärke verfügen. Gold bewegt sich zwar schon auf einem hohen Niveau um 1 500 Euro pro Unze – könnte aber 2020 noch deutlich nach oben gehen. Und es eignet sich als verlässlicher Wertspeicher. Immobilien dürften sich in diesem Jahr verbilligen, da etliche Investoren gezwungen sein werden, zu verkaufen, um sich Liquidität zu verschaffen. Aber hier liegt die Einstiegshürde immer noch hoch, anders als an der Börse.
Auf Aktien sollte jetzt niemand verzichten, der auf längere Sicht Geld anlegen will.
Dirk Schwarzenberg