Tichys Einblick
Sieg der Vernunft in Wolfsburg

Wie VW sich still von der reinen Elektrostrategie verabschiedet

Wenn es um heikle Themen geht, beherrscht Volkswagen die Kunst der Tarnung vor öffentlicher Aufmerksamkeit. Wie zum Beispiel bei der Abkehr von der bisherigen Antriebsstrategie ausschließlich auf Elektrobasis – zugunsten neuer Verbrennermotoren.

VW-Werk in Wolfsburg

imago images / regios24

Der Volkswagen Konzern ist immer für eine Überraschung gut. Und liefert dann Medien und Öffentlichkeit beste Unterhaltung, wie jüngst durch die heftigen Duelle zwischen Vorstand und Betriebsrat auf offener Bühne über die Führungskompetenz im Konzern. Aber manchmal bemüht sich der Autoriese aus Wolfsburg auch um möglichst wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Nämlich immer dann, wenn es um heikle Themen wie Preiserhöhungen oder fundamentale Kurskorrekturen an zuvor mit Vehemenz vertreten Strategien geht. Wie zum Beispiel bei der Abkehr von der bisherigen Antriebsstrategie ausschließlich auf Elektrobasis.

All dies hat sich im Verlauf des Jahres 2021 ereignet, und wurde von den Medien im Corona-und Wahlkampf-Trubel überhaupt nicht wahrgenommen. So hat der VW-Konzern allein dreimal, im Frühjahr, Sommer und Herbst – Winter fehlt noch – die Preise angehoben – ohne jegliches Wehgeschrei der Öffentlichkeit. Das Ganze erfolgte jeweils so verschwurbelt kompliziert und nach Modellreihen differenziert, dass der Presse die Errechnung einer schlagzeilenträchtigen durchschnittlichen Preissteigerungsrate offensichtlich nicht möglich war. Folge: Negative Schlagzeilen  blieben aus.

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Ähnliches hat sich jetzt wiederholt, aber auf einem viel existenzielleren Gebiet, nämlich der VW-Antriebstechnik. Bekanntlich hat sich der VW-Vorstandsvorsitzende  Herbert Diess als einziger deutscher Autochef bereits 2019 einseitig auf Elektroautos auf Batteriebasis als klimagerecht festgelegt und verkündet, dass der VW-Konzern ab 2030 keine neuen Verbrenner mehr bauen werde. Ganze Werke wie Emden und Zwickau wurden komplett auf die Fertigung von Elektroautos umgerüstet. 

Die Konzerntöchter (Audi, Skoda, Seat, Cupra, Bentley, Porsche) schlossen sich dem sukzessive an, allen voran Audi, die den Ausstiegstermin aus der Verbrennertechnik sogar auf das Jahr 2025 vorzogen. Planerisch also sozusagen übermorgen. Als letzte Konzernmarke bekannte sich Porsche eher halbherzig zum Elektroauto, blieb aber beim Verbrennermotor als Hauptantriebstechnik seiner Marke.

Fest stand damit: VW-Chef Herbert Diess, ohnehin bekennender Fan von Tesla-Elektropionier Elon Musk will für den VW-Konzern den Verbrennermotor beerdigen. Ohne Wenn und Aber! Und ohne Rücksicht auf die Märkte und die VW-Beschäftigten, auf Experten-Meinungen ohnehin.

Wirklich? Am 14. Dezember erschien eine unscheinbare Pressemitteilung aus der VW-Konzernzentrale, die in den Medien kaum wahrgenommen wurde, es allerdings in sich hatte. Nach dieser Meldung har Volkswagen seine Vierzylinder-Dieselmotoren offiziell für die Nutzung paraffinischer Kraftstoffe freigeben. Wörtlich heißt es dort:

„Diese neuentwickelten Dieselkraftstoffe mit Anteilen aus Bio-Komponenten ermöglichen deutliche CO2-Einsparungen von 70-95 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Diesel“. Und weiter: „Neben dem beschleunigten Hochlauf der Elektromobilität entwickelt Volkswagen damit konsequent das bestehende Verbrenner-Portfolio weiter. Das Unternehmen geht so einerseits auf die verschiedenen Kundenbedürfnisse ein und berücksichtigt andererseits die international variierenden Antriebspräferenzen und jeweiligen Rahmenbedingungen.

Diese Aussage bedeute im Klartext nichts anderes als, dass sich der VW-Konzern von der reinen Elektro-Strategie verabschiedet hat! Plötzlich wird anerkannt, dass mit diesem neuentwickelten Klima-Dieselkraftstoff ein Dieselauto je nach Strommix sogar sauberer als ein E-Auto betrieben werden kann. Damit ist die Tür zur grundsätzlichen Alternative für Elektroautos auf Strombasis weit offen.

In ihrer autoindustriellen Bedeutung kommt diese Aussage dem berühmten Satz von Günter Schabowsky vom 09.Novemer 1989 gleich: “Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen ….Genehmigungen werden kurzfristig erteilt ….Das tritt nach meiner Kenntnis…ist das sofort, unverzüglich.“   

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Damit ist auch im VW-Konzern „eine Mauer“ gefallen, nämlich die Mauer einer einseitigen Fixierung auf nur noch eine Antriebstechnologie, nämlich nur noch Elektroautos auf Batteriebasis. Für einen Massenhersteller mit 10 Millionen Verbrennerautos jährlich war diese Strategie von vorneherein nicht tragfähig. Der VW-Konzern betreibt in 19 Ländern Europas und in 10 Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas 120 Produktionsstandorte ausschließlich für Verbrennerautos. Insgesamt 660.000 Beschäftigte produzieren rund um den Globus Fahrzeuge, die der Volkswagen Konzern in 153 Ländern absetzt. Rund dreiviertel dieser Länder sind –grob gerechnet – auf Dauer für Elektromobilität auf Ladenetzbasis als Hauptantriebsquelle ungeeignet. 

Die kaufmännische Vernunft hat also obsiegt. Die Abkehr von der reinen Elektro-Strategie bei Volkswagen kommt dennoch absolut überraschend und läßt tief blicken. Überraschend, weil VW-Chef Herbert Diess bekanntlich für das Ende des Verbrennermotor in seinem Konzern mit 2035 schon einen festen Termin genannt hatte; Jahre zuvor schon soll Entwicklung neuer Verbrennermotoren eingestellt werden.  

Was Diess vom Altbestand der Benzin- und Diesel-Kunden des VW Konzerns hält, zeigte er indirekt durch eine für einen Auto-Boss ungewöhnliche Forderung: Benzin und Diesel sollten durch eine massive Steuererhöhung noch viel teurer werden als jetzt schon, um die E-Mobilität zu finanzieren. 

Eine Aussage eines CEO des führenden deutschen Autokonzerns, die im Umweltministerium (hier: vor dem Regierungswechsel) hat Sektkorken (wir wollen nicht übertreiben!)  knallen lassen. Betroffene Mienen dagegen bei den rd. 20 Millionen Verbrenner-Altkunden des Konzerns allein in Deutschland – immerhin  40 Prozent des gesamten deutschen Pkw-Bestands von 48 Millionen stammen aus dem Volkswagen-Konzern.

Bis 2030 will CEO Diess den Anteil reiner E-Autos am Absatz in Europa auf über 70 Prozent steigern. bis 2050 will das Unternehmen vollständig klimaneutral sein. Auf dem „Way to Zero“ plant Volkswagen, bis 2030 die Emissionen pro Fahrzeug in Europa um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2018 zu reduzieren – das sind laut FOCUS im Schnitt über den gesamten Lebenszyklus hinweg 17 Tonnen CO2 weniger pro Auto. 

Und nun dieser Kehrtschwenk. Offenbar hat man Wolfsburg nun aber auch sog. Klima-Sprit als ernsthafte Alternative zur Ladenetz Elektromobiliät entdeckt. Begonnen hat man jetzt mit paraffinischem Dieselkraftstoffe aus Rest- oder Abfallstoffen, sog.C.A.R.E.-Diesel, die als reine Klima-Kraftstoffe nicht mehr von fossilen Quellen abhängig und damit erheblich klimafreundlicher sind.  

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Bislang gibt es sie allerdings noch nicht in großen Mengen zu kaufen, vor allem weil das Bundesumweltministerium bislang alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um alternative Kraftstoffe bio- oder synthetische Kraftstoffe, die alle nur unter Einsatz von großen Mengen an Strom hergestellt werden können, zu unterbinden. Dazu braucht man grünen Strom. Die politische Einstellung wie die Verfügbarkeit von sauberer Energie müssen sich als erstes grundlegend ändern, soll der Verbrenner-Altbestand global, nicht nur in Deutschland mit Klima-Kraftstoff betankt und betrieben werden. 

Ebenfalls möglich zur Verbesserung der CO2-Bilanz ist die Beimischung des Klima-Sprits zu herkömmlichem Diesel. Die vielleicht zukunftsträchtigste Entwicklung sind rein synthetische Kraftstoffe, die man mithilfe von CO2 und Strom aus regenerativen Quellen erzeugt. Hierzu testet unter anderem Porsche bereits Produktionsanlagen in Chile.

Der VW-Konzern hat mit dieser Zulassung von Klima-Kraftstoffen die technologische  Tür für seine Vision “Mobility for generations to come.” weit geöffnet. Dazu braucht es jetzt keiner geschärften Konzernstrategie 2030 mit NEW AUTO. Sondern dazu braucht es NEW FUEL, um den Anforderungen von Klima wie Kunden gerecht zu werden.

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