Tichys Einblick
Der wehrlose Rechtsstaat

Wie der Finanzplatz Schweiz zur Schlachtbank geführt wurde

Der grosse Gewinner der Finanzkrise von 2008 sind in jeder Beziehung die USA, der grosse Verlierer ist die Schweiz. Den meisten neuen Regeln, die das Banking sicherer machen und eine Wiederholung der Krise verhindern sollen, wie beispielsweise Basel III, haben die USA nicht verwirklicht.

Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Das schafft nur ein Banker: den Goldesel zu erschiessen, der über Jahrzehnte hinweg die Mästung der Bankergilde garantierte, die dadurch aber unbeweglich und impotent geworden war, wie ein Bankier ganz richtig konstatierte.

Erst spät waren die beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse in die Derivatezockerei à la USA eingestiegen und hatten je 20 Milliarden dort investiert, um auch am großen Spieltisch sitzen zu dürfen. Das schenkte einen 25 Milliarden Gewinn, das machten die beiden Banken alleine im Jahr 2006. Letztes Jahr waren es zusammen schlappe 100 Millionen. Nur unwesentlich verringert haben sich allerdings die Saläre der Führungsriege. War die UBS damals auf Platz 6 der Welt, gerechnet nach Marktkapitalisierung, spielt sie heute unter ferner liefen auf Platz 27, die Credit Suisse auf Platz 42. Wie konnte es dazu kommen?

Durch eine Mischung aus dem Einzug von US-Banking-Unkultur und dem eigenen Grössenwahn; so wollte Marcel Ospel die UBS zur grössten Investmentbank der Welt machen. Stattdessen musste er bis zu seinem erzwungenen Rücktritt am 1. April 2008, einen Milliardenverlust nach dem anderen bekanntgeben. Schließlich musste der Schweizer Staat mit einem Notkredit von 6 Milliarden einspringen, und die Notenbank sicherte faule Wertpapiere in der Bilanz der UBS mit weiteren 60 Milliarden Franken ab. Damit war der Staat in Geiselhaft geraten, was sich sogleich bitter rächen sollte.

Mit diesen Finanzspritzen war die UBS vor dem Abgrund gerettet worden, und am Schluss machten Staat und Notenbank sogar noch einen Gewinn damit. Aber im gleichen Jahr musste die UBS der Schweizer Regierung noch ein zweites Problem beichten: Sie war unter den Beschuss der US-Behörden geraten. Der Whistleblower Bradley Birkenfeld hatte den amerikanischen Strafverfolgern genügend Material geliefert, dass sie die Schweizer Grossbank in den Schwitzkasten nehmen konnten. Sie hatte den Fehler gemacht, auf das Schweizer Bankkundengeheimnis zu vertrauen und darauf, dass die US-Behörden darüber hinwegsehen würden, dass UBS-Kundenberater dort Beihilfe zu Steuerhinterziehung leisteten.

Nun forderten die USA die Herausgabe von über 50.000 Kundendossiers von US-Anlegern bei der UBS. Als Hebel dafür verwendeten die US-Behörden das alte Anti-Mafia-Gesetz, das alle als Teilnehmer an einer Verschwörung der gleichen Strafandrohung unterstellt wie den eigentlichen Täter. Damit geriet die Führungsriege der UBS ins Feuer. Zudem drohten die USA damit, der Bank die Lizenz in den USA zu entziehen und, schlimmer noch, sie vom Dollar-Clearing, also vom Handel in der wichtigsten Währung der Welt, auszuschliessen. Das hätte innert 48 Stunden den Tod der Bank bedeutet. Am 18. Februar 2009 lieferte die UBS via Bankenaufsicht Finma und auf Anweisung des Bundesrats die ersten 250 Kundendossiers in die USA aus. Im Sommer wurden noch weitere 4.400 UBS-Kunden verraten, das Bankkundengeheimnis war Geschichte. Schlimmer noch, durch die sogenannten «Closing Instructions», also Angaben, wohin UBS-Kunden geflohen waren, wurde der gesamte Finanzplatz Schweiz kontaminiert.

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Obwohl der Bundesrat damals behauptete, dass damit das Problem mit den USA erledigt sei, wurde der gesamte Finanzplatz Schweiz auf die Schlachtbank geführt und musste insgesamt über 5 Milliarden Franken an Bussen und Entschädigungen zahlen, um sich vom drohenden Damoklesschwert der Bankschliessung freizukaufen. Noch grösser als der Skandal, dass sich alle Schweizer Bankenführer, mit Ausnahme der persönlich haftenden Teilhaber der Bank Wegelin, aus der Verantwortung stahlen, war das Verhalten der Schweizer Regierung. Sie gab der Erpressung durch die USA nach, statt das wertvollste Gut eines Kleinstaats, seine Rechtssouveränität, zu verteidigen, setzte sie sich per Notrecht über theoretisch noch heute geltende Gesetze hinweg. Durch diese Einfallschneise marschieren seither viele andere Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, ein Ende ist nicht absehbar.

Die Credit Suisse verzichtete damals auf Staatshilfe, womit sie sich entsprechend brüstete. Stattdessen machte sie etwas noch Schlimmeres. Sie warf sich einem arabischen Staatsfonds in die Arme. Der spendierte dringend nötiges neues Kapital nur gegen exorbitante Zinsen. Dafür verwendete die CS unter anderem sogenannte CoCos, Contingent Convertible Bonds, Zwangswandelanleihen. Dieses Instrument aus der Hexenküche des Financial Engineering trägt nicht zu Unrecht den Übernamen Todesspiralenanleihen. Auf jeden Fall musste die Bank Jahr für Jahr rund 800 Millionen Zinsen zahlen, erst vor Kurzem konnte sie damit beginnen, die teuren Kredite abzulösen.

Der grosse Gewinner der Finanzkrise von 2008 sind in jeder Beziehung die USA, der grosse Verlierer ist die Schweiz. Zum einen nahm der US-Staat von eigenen und ausländischen Banken von 2008 bis 2018 fast 200 Milliarden Dollar an Bussen und Vergleichszahlungen ein. Da steht die Credit Suisse hinter zwei US-Banken auf Platz drei. Den meisten neuen Regeln, die das Banking sicherer machen und eine Wiederholung der Krise verhindern sollen, wie beispielsweise Basel III, haben die USA nicht in die Tat umgesetzt. Sie nehmen auch nicht am Automatischen Informationsaustauch (AIA) teil, verlangen aber mit ihrer Informationskrake FATCA weltweit Auskunft über jeden US-Steuerpflichtigen. Und schliesslich hat die Schweiz in den letzten Jahren über 100 Milliarden verwaltete Vermögen verloren, die USA dagegen deutlich dazugewonnen.

Die Rettung der UBS, die dadurch entstehende Geiselhaft des Staates, die sogar zur Verletzung der Rechtssouveränität der Schweiz und einer Beschädigung des Rechtsstaates führte, beweist einmal mehr, dass staatliche Rettungseingriffe fatal sind. Das Märchen vom «too big to fail», dass also ein Unternehmen systemrelevant sei und daher nicht untergehen dürfe, führte und führt nur zu einem Zunehmen der Verantwortungslosigkeit der Unternehmensleitung. Denn wenn sie Profite in die eigene Tasche stecken kann, während Verluste von der Gesellschaft, also dem Steuerzahler, übernommen werden, dann haben wir nach einem Bonmot des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz eine neue Form des Sozialismus. Und wer will das schon.