Tichys Einblick
Erfolg der Auto-Lobby

CO2-Flottengrenzwert: Wie Autobauer Strafzahlungen entgehen wollen

Ab 2020 müssen Autohersteller einen noch strengeren CO2-Flottengrenzwert einhalten. Doch die vorgesehenen Strafzahlungen bei Überschreitung sind theoretisch höher als sie in der Praxis sein werden. Die Lobby der Konzerne hat entscheidende Schlupflöcher offen gehalten.

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Theoretisch kann es sehr teuer werden. Wahrscheinlich aber nur teuer. Nächstes Jahr müssen die Autohersteller EU-weit den Kohlendioxid(CO2)-Flottengrenzwert von 95 Gramm pro Kilometer einhalten. Dies entspricht einem durchschnittlichen Verbrauch von 3,6 Liter Diesel oder 4,1 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Wer diese Latte reißt, dem drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Wie gesagt, theoretisch. Der Ansatz dahinter ist simpel: Die Senkung des Kraftstoffverbrauchs, also weg vom Rohöl und der Abhängigkeit von den ölproduzierenden Ländern, hin zu mehr Effizienz – möglichst ohne die jeweilige Autoindustrie zu beeinträchtigen. Deutsche und europäische Hersteller stehen unter dem Umweltgesichtspunkt zunehmend im globalen Wettbewerb. Treiber ist vor allem China. Dort wurde bereits eine verpflichtende Elektroquote eingeführt, die jährlich verschärft wird. In China sind bereits heute die mit Abstand meisten E-Autos zugelassen.

Soll ab 2020 ein neues Automodell verkauft werden, das es bisher noch nicht gab, benötigt es wie bisher dafür eine allgemeine Typzulassung, die sogenannte Homologation. Doch diese ist ab Jahresbeginn an die neue 95-Gramm-CO2-Vorgabe geknüpft. Sie gilt für jede Motor- und Getriebekombination. Gemessen wird am Auspuff. Liegen die Werte vor, wird eine komplizierte Berechnungs- und Umrechnungsformel angewendet, um für jedes neue Modell einen Abgas-Durchschnittswert zu ermitteln. Der hängt unter anderem auch vom Leergewicht des Fahrzeuges ab. So dürfen zum Beispiel Autos mit einem höheren Durchschnittsgewicht (2018: 1 392 kg) etwas mehr CO2 ausstoßen und umgekehrt. Nach einem Bericht von heise.de brachten zum Beispiel die Autos von Daimler im Mittel 1602 kg auf die Waage. Sie waren am schwersten. Der individuelle Mercedes-Zielwert hätte für 2018 bei 102 Gramm CO2 pro Kilometer gelegen. Am leichtesten waren die Pkw von PSA (Citroën, DS, Opel und Peugeot) mit 1 269 kg, was einem Zielwert von 91 Gramm CO2 pro Kilometer entsprach. Da die Europäische Union ab 2020 pauschal 95 Euro Strafe pro Gramm CO2-Überschreitung und pro Auto festgelegt hat, lässt sich leicht überschlagen, dass zum Beispiel Daimlers Strafzahlung auf Basis der neuen Regelung für die zwei Marken Mercedes und Smart bei einem Jahresabsatz von rund einer Million Pkw in den Bereich von vielen Millionen wenn nicht gar Milliarden Euro gehen würde.

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Sieht man davon ab, dass die Autokonzerne zuvorderst solche saftigen Strafzahlungen vermeiden wollen und hauptsächlich wegen dieser neuen EU-Gesetzgebung auf Elektro- und/oder Hybridantrieb umsteuern – bei VW etwa der reinelektrische ID.3, Mercedes rüstet die Smart-Baureihe nur noch mit E-Motoren aus – können die Autoriesen auch darauf vertrauen, dass es nicht ganz so schlimm kommen wird, wie es auf dem Papier scheint. Denn es gibt Rabatte. Im Kleingedruckten dieses EU-Gesetzes gibt es dazu einige bemerkenswerte Details, die auf eine wirksame Lobbyarbeit hindeuten.
Möglichkeiten, den CO2-Ausstoß klein zu rechnen

Zum Beispiel dürfen die Hersteller 2020 pauschal die durstigsten fünf Prozent aller verkauften Autos aus der Berechnung streichen. Oder: Elektroautos und Plug-in-Hybride mit weniger als 50 Gramm CO2 pro Kilometer zählen 2020 doppelt (2021: Faktor 1,67; 2022: 1,33). Wodurch sich der Rabatt nochmals erhöht. Technische Maßnahmen, die sich nicht im Messzyklus bemerkbar machen aber trotzdem CO2-Einsparpotential besitzen, werden ebenfalls angerechnet. Ein Beispiel hierfür sind die sich immer mehr durchsetzenden LED-Scheinwerfer, die Strom und dadurch Energie sparen. Oder auch Solardächer und Abgaswärmerückgewinnung. Ferner dürfen sich Hersteller bilanziell zusammentun. Tesla etwa könnte mit dem neu fusionierten Konzern aus PSA und Fiat-Chrysler kooperieren. Wären bei solch einem rechnerischen Koloss genügend abgasarme oder abgasfreie Autos im Verkauf, würde dieser Umstand eventuelle Strafzahlungen ebenfalls reduzieren. Es würde also nicht wundern, wenn es demnächst allein aus diesem Grund und auf dem Papier zu einer Art Kooperation verschiedener Hersteller käme.

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Allerdings ist auch der umgekehrte Weg möglich und zulässig. Will heißen, dass es wegen dieser verschärften Abgasgesetzgebung zumindest theoretisch auch Ausgliederungen einzelner Marken aus einem Konzern geben kann. Geschähe dies, wären diese Firmen aus EU-Sicht Kleinhersteller, die zwischen 10 000 und 300 000 Stück pro Jahr auf dem EU-Markt verkaufen. Diese Automobile dürften mehr Abgas ausstoßen als die eigentliche Norm verlangt, weil die EU die Existenzgrundlage dieser Betriebe nicht erschüttern will.

Abwarten und Tee trinken können die Konzerne angesichts der gnädigen Rabattpolitik der EU allerdings nicht. Denn inzwischen sind die EU-Vorgaben für die Weiterführung der CO2-Grenzwertregelung bis 2030 beschlossen. Konkret beinhaltet der Beschluss folgende Elemente:

  • der CO 2 -Ausstoß von Neuwagen soll bis 2025 um 15 Prozent, bis 2030 sogar um 37,5 Prozent verringert werden,
  • der Anreizmechanismus dafür, dass die Konzerne mitziehen und Geld sparen, ist: Verkaufen Hersteller im Jahr 2025 mehr als 15 Prozent, 2030 mehr als 35 Prozent Elektro- oder Hybridautos, werden im Gegenzug ihre CO2-Vorgaben abgeschwächt.

Mit anderen Worten: Trotz aller Bekenntnisse zum Auto mit Verbrennungsmotor bleibt den Herstellern langfristig nichts anderes übrig, als Abschied vom Abgas zu nehmen. Sonst muss ein größerer Teil des verdienten Geldes an den Staat überwiesen werden.


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