Tichys Einblick
Wo die Wachstumshürden liegen

Tesla will die deutschen Autohersteller verdrängen – doch das wird nicht gelingen

Tesla verkündet, man wolle demnächst so viele E-Autos verkaufen wie Volkswagen und Toyota zusammen Verbrenner verkaufen. Aber die Wachstumshemmnisse liegen nicht in der Hand des Unternehmens und seines Gründers Elon Musk, sondern in der absehbaren Entwicklung der globalen Märkte.

E-Autos von Tesla (Vordergrund) und Volkswagen an einer E-Ladesäule in Kopenhagen

IMAGO / Dean Pictures

So sehr die Medien gemeinsam mit der Politik im Chorgesang die vermeintliche Schlafmützigkeit der deutschen Autoindustrie und ihre Versäumnisse bei Transformation und Elektromobilität besingen, so wachsam sind sie, wenn das große Vorbild Tesla und sein nimmer müder Chef Elon Musk auch nur kleinste Geschäftsideen und Äußerungen von sich gibt – schon steigt der Aktienkurs!  

So berichtete die Automobilwoche (15.02.2022) von einer eher beiläufigen Bemerkung der Vorsitzenden des Tesla-Verwaltungsrats Robyn Denholm. Diese hatte jüngst erklärt: „Wir wollen im Jahr 2030 jährlich rund 20 Millionen Elektrofahrzeuge verkaufen“. Das wären so viele Batterie-Elektroautos, wie heute die beiden weltgrößten Autohersteller Toyota und Volkswagen zusammen jährlich neu an Verbrennern auf  die Reifen stellen. Und das Zwanzigfache von dem, was Tesla 2021 nach eigenen Angaben erstmals verkaufen konnte.

Sollte es so kommen, sähe die Zukunft der stolzen deutschen Autoindustrie ziemlich düster aus. Und zu ihrem Untergang würde zu allem Übel auch noch die neue Tesla Gigafactory Berlin in Grünheide (Brandenburg) jährlich 500.000 Elektroautos nebst dazu notwendiger Batterien beisteuern, quasi als Wettbewerber im eigenen Haus.  

Was die Frage aufwirft, wie realistisch Teslas Wachstumsstrategie von 20 Millionen Voll-Elektroautos im Jahr 2030 einzuschätzen ist. Wahrscheinlich oder reines Marketing-Wunschdenken? Und wie reagieren die deutschen Wettbewerber?

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Inzwischen ist es so, dass viele Menschen, vor allem Kapitalanleger und Investoren, dem  Elektronik- und Innovations-Genie Elon Musk alles zutrauen. Erst erfindet er ein elektronisches Bezahlsystem (PayPal), dann erschüttert er den alt-ehrwürdigen 100- jährigen Verbrenner-Automobilmarkt durch neuartige Elektroautos nebst dazu gehörigen Super-Batterien und Aufbau eines eigenen Schnell-Lade-Tankstellennetzes, entwickelt erfolgreich wiederverwertbare Raumraketen, schießt damit auch eine Tesla Model 3 in den Weltraum als ewigen Erdtrabanten, gräbt Tunnelsysteme und erfindet ein Energiespeichersystem sowie schallschnelle Transportsyteme (HyperLoop) für Menschen, denen Elektroautos zu langsam sind. Kurz: Ein elektronischer Tausendsassa mit utopischen Visionen – die er auch meist umsetzt.  

Die Anleger zollen dem Genie Respekt. Tesla ist seit 2010 zum erfolgreichsten, wertvollsten und kraftstrotzendsten Autobauer der Welt aufgestiegen. Ende Oktober 2021 schoss der Börsenkurs in Rekordhöhen von mehr als 1000 Dollar. Grund dafür war die Ankündigung eines historischen Riesenauftrags des US-Mietwagenanbieters Hertz über mindestens 100.000 Tesla-Fahrzeuge bis Ende 2022 und ein hervorragendes drittes Geschäftsquartal. Tesla kam damit auf einen Börsenwert von mehr als eine Billion Dollar und ist als E-Auto-Pionier das fünfte US-Unternehmen nach Apple, Microsoft, Amazon und der Google-Mutter Alphabet im legendären „Billionärs-Club“. 

Die Firma von Elon Musk hat Ende 2021 eine höhere Marktkapitalisierung als die neun nächstgroßen Autobauer der Welt zusammen. Übernahmen von traditionsreichen Autoherstellern der Alten Welt, so in Deutschland, dürften damit in erreichbare Nähe gerückt sein – wenn Musk darin eine sinnvolle Ergänzung und Aufwertung seiner Marke sähe.

Der Kurssprung der Tesla-Aktie hat Musk inzwischen mit zum reichsten Menschen der Welt gemacht  Der „Bloomberg Billionaires Index“ nennt für ihn aktuell ein Vermögen von 289 Milliarden Dollar. 

Betriebskosten höher als bei Verbrennern
Die Strompreisexplosion macht Elektroautos unattraktiv
Geschäftlich lief es für Tesla laut Automobilwoche im abgelaufenen Jahr 2021 hervorragend – trotz Chipkrise, Pandemie und Lieferketten-Problemen. Der Umsatz und der Nettogewinn sind deutlich gestiegen. Die Zeiten, in denen Tesla von Kritikern vorgehalten wurde, die Firma mache nur Gewinn wegen des Verkaufs von CO2-Zertifikaten an „schmutzige“ Autobauer, sind vorbei. Vom für 2021 ausgewiesenen Milliardengewinn entfielen nur 279 Millionen Dollar auf diesen Bereich.

Die jüngsten Geschäftszahlen scheinen die Wachstumsvisionen Musks zu stützen. So steigerte Tesla als einziger Autobauer seine Verkaufszahlen selbst in der Chipkrise und trotz Pandemie geradezu spektakulär – im Verhältnis zum Rest der Branche, vor allem den deutschen Autoherstellern. Teslas Verkaufszahlen nahmen mit teilweise dreistelligen Raten zu; seit dem vierten Quartal 2016 liegt die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate (CAGR) bei 71 Prozent. 

Im Pandemie-Jahr 2020 lieferte Tesla 499.500 Fahrzeuge aus. Im dritten Quartal 2021 betrugen die Auslieferungen fast die Hälfte der gesamten Vorjahres-Auslieferungen. Es waren 241.391 – ein Plus von 73 Prozent. Im ganzen Jahr 2021 überschritt der Tesla-Absatz erstmals die Millionen-Marke.

Nach Meinung der Fachmedien (Automobilwoche) hat Elon Musk gute Chancen, seien Wachstums-Story fort zu schreiben und die 20 Millionen Verkäufe in 2030 zu erreichen. Dafür werden folgende Faktoren angeführt: 

  • Tesla besitzt einen hochwirksamen USP – den „CEO-Faktor“ Elon Musk.
  • Das Portfolio wächst, alte Modelle werden abgelöst.
  • Tesla expandiert mit hohem Tempo in China.
  • Tesla verbessert stetig seine Batterien, die auch zunehmend günstiger werden.
  • Tesla schöpft sein Vertriebspotenzial noch nicht annähernd aus. Sollte der Ingenieur Musk erst einmal richtige Vertriebsprofis ranlassen, könnte das den Absatz der Marke auf ganz neue Höhen treiben.

Diese Argumente mögen im Einzelnen nicht ganz stichhaltig sein. Aber richtig ist in jedem Fall, dass Musk im zarten Alter von jetzt 50 Jahren – so Gott will – noch ausreichend Zeit vor sich hat, um als Innovator und „schöpferischer Zerstörer“ die Welt weiter kreativ zu bereichern. Und um weiter zu expandieren. 

Ginge es nach Musk selber, könnte man sich das vorstellen. Aber die Wachstumshemmnisse liegen nicht bei Musk sondern bei der Marke Tesla und der absehbaren Entwicklung der globalen Märkte für Elektroautos, in der Makroökonomie also. 

  • Das Modellprogamm von Tesla ist sehr schmal, verfügt über keinerlei Verbrenner-Know-how, zum Beispiel für Plug-In-Hybride mit dualer Technologie, und konzentriert notgedrungen aufgrund der hohen Batteriekosten auf das hochpreisige obere Marktsegment, ist also bis dato für den Massenmarkt nicht geeignet. Dort dominiert der Verbrenner weiter.
  • Die übrigen globalen Automobilhersteller von Rang bauen ihrerseits ihre Modellpaletten mit Elektroautos zügig aus bis hin zur vollständigen Ersetzung der verpönten Verbrennertechnologie ab Mitte der 30er Jahre, zum Beispiel bei VW und Daimler, bei Volvo und Jaguar. Und sie bieten daneben über viele Jahre weiter auf breiter Front Verbrenner und SUV-Varianten an, über die Tesla nicht verfügt.
  • Vor allem die deutschen Premium-Hersteller, sowie Jaguar und Volvo konzentrieren sich bei der Elektrifizierung ihrer Modelle auf die von Tesla bislang als Quasi-Monopolist abgedeckten oberen Marktsegmente. Sie bauen dafür umfangreiche Kapazitäten auf oder widmen alte um. Allein VW plant ab Ende 2023 in China 900.000 Elektroautos zu bauen, zusätzlich zu den in Deutschland geplanten Kapazitäten in Emden, Zwickau und Wolfsburg von rund einer Million. Und in Wolfsburg entsteht ein neues werk für den Trinity, ein völlig neues E-Auto.
  • Um 20 Millionen Tesla-Autos zu bauen, bräuchte Musk den Bau von 40 Gigafactories von der Auslegung von Grünheide heute. Desgleichen den Bau von 40 Giga-Batteriefabriken, allein nur für Elektroautos. 
  • Automobilexperten gehen davon aus, dass der heutige Weltmarkt mit seinen rund 80 Millionen Verbrennerautos in Zukunft nur noch wenig wächst, lediglich in China noch etwas stärker, in Europa, Japan und USA dagegen eher schrumpft.
  • Ebenso gehen Experten davon aus, dass der Weltmarkt trotz aller klimapolitischen Erfordernisse bis Mitte der 30er Jahre maximal zu einem Drittel elektrifizierbar ist. Tundra und Taiga, Urwald und Dschungel, Savanne und Prärie fallen als Verkaufsregionen eher aus. Dies entspricht einem Absatzvolumen von rund 27 Millionen Elektroautos jährlich. Heute beträgt der Absatz neuer E-Autos global etwa 3 Millionen mit zunehmender Sättigung. Unterwegs sind heut global 1,6 Milliarden Verbrenner und 10 Millionen Elektroautos.

So gesehen würde Elon Musk 2030 fast den ganzen Weltmarkt für Tesla in Anspruch nehmen. Die deutschen Hersteller würden völlig verdrängt, die bis dahin getätigten Investitionen in Entwicklung und  Bau von Elektroautos würden sich als Flop erweisen. 

Eines sollte sicher sein: Dass es so nicht kommt!