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Tesla: Elon Musk führt den Befreiungsschlag 

Elon Musk hat mit den neusten Tesla-Zahlen quasi in letzter Minute seinen Kopf aus der Schlinge gezogen, die sich am Kapitalmarkt schon zuzog. Sein China-Chef Tom Zhu soll es nun als zweiter Mann im Unternehmen richten. Doch Zweifel an der ökonomischen Zukunft der Musk-Firmen bleiben angebracht.

Twitter-Account von Elon Musk

IMAGO / imagebroker

Tesla hat nach einer unerwartet hohen Auslieferung im vierten Quartal von 405.278 Autos an seine Kunden 2022 mit 1,31 Millionen Auslieferungen nach neuester Unternehmensmeldung einen neuen Absatzrekord aufgestellt. Analysten hatten indes für das vierte Quartal mit 430.000 Auslieferungen und einer höheren Steigerung gerechnet Der Elektropionier konnte damit seine Verkaufszahlen im vergangenen Jahr trotz Lockdown in China und Lieferketten-Problemen um 40 Prozent steigern, die Musk als Unternehmensziel für 2022 vorgegeben hatte. 

Ein Absatzwachstum von 50 Prozent jährlich hatte der Tesla Gründer und Multimilliardär Elon Musk vollmundig seinen Aktionären als Unternehmensziel immer in Aussicht gestellt. Im Jahr 2030 wollte Tesla 20 Millionen Elektroautos produzieren. Die Investitionen dafür sollten mehrere hundert Milliarden Dollar ausmachen.

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Das Potential für Absatzsteigerungen hatte Techno-Visionär Musk im vergangenen Jahr mit der Eröffnung zweier neuer Werke in Austin, Texas, und in Grünheide in Brandenburg geschaffen. Insgesamt 2 Millionen Elektroautos hätten seine Werke 2022 bauen können, geworden sind es dann 1,31 Millionen. Doch obwohl die Fertigung von Elektroautos ob ihrer 40 Prozent geringeren Teilevielfalt und Komplexität erheblich simpler ist als die von herkömmlichen Verbrennern stockte bei beiden Fabriken der Hochlauf. Es gab Probleme aus vielerlei Gründen, die in der Mehrzahl im Personalbereich zu verorten sind: zu geringe Qualifikation bei Neueinstellungen, große Schwierigkeiten bei der Beschaffung und vor allem beim Verbleib. Das Werk in Grünheide zum Beispiel verfehlte bis zuletzt die geplante Stückzahl von 10.000 Autos wöchentlich um fast die Hälfte. 

Umso mehr überrascht die Meldung, dass Tesla sein Absatzziel 2022 doch noch erreicht hat. Elon Musk hat damit quasi in letzter Minute seinen Kopf aus der Schlinge gezogen. Denn während Tesla-Fans die Absatzsteigerung bejubelten, hatten Aktionäre mehr erwartet. Und ersehnt: Schließlich gehörte die Tesla-Aktie 2022 mit einem Minus von 70 Prozent zu dem großen Verlieren an der Wall-Street.  

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Elon Musk war als CEO und selbsternannter „Technoking of Tesla“ – so seine offizielle Bezeichnung an der Meldung an die amerikanische Börsenaufsicht SEC im Frühjahr 2022 – wegen seiner 44 Milliarden Dollar Übernahme von Twitter heftig unter Beschuss geraten. Für die Übernahme belastete er Twitter – die Plattform verzeichnete ohnehin rote Zahlen – selber mit 13 Milliarden zusätzlichen Schulden, und verkaufte im großen Umfang eigene Tesla- Aktien: im April für 8,5 Milliarden Dollar, im August für 8,0 Milliarden Dollar und im Dezember nochmals für 3,5 Milliarden Dollar. Für Aktionäre ein faux pas. 

Die meiste Kritik zog sich Musk aber wegen des Management-Chaos zu, das er in den ersten Wochen bei Twitter anrichtete, nachdem er dort seine Alleinherrschaft spektakulär mit einem Waschbecken unter dem Arm und dem zweideutigen Spruch  „Let that sink in“ angetreten hatte.

Musk geriet außer Tritt. Zwar ist seine Lage nicht annähernd so prekär wie beim Beinahe-Bankrott 2008, als Musk Pleite war und Tesla nur durch das Millionen-Engagement von Daimler Chef Dieter Zetsche gerettet wurde, der dort investierte. Dazu Musk selber: „Mercedes hat Tesla mit einem Investment von 50 Millionen Dollar gerettet“. Als Zetsche wenige Jahre später die Tesla Aktien mit hohem Gewinn wieder verkaufte, sprach er von der besten Investition seines Lebens. Aber dramatisch ist sie für Musk persönlich, „seit er „sein bisheriges Hobby Twitter zum Hauptberuf gemacht hat“ (Wirtschaftswoche). Musk selbst übernahm den Chefposten bei Twitter und leitet damit nun fünf Firmen, darunter die Schwergewichte Tesla und die Weltraumfirma SpaceX. Vorher litt nur der Führungszirkel in seinen Unternehmen unter seinen Stimmungsschwankungen, und der Tesla Aktienkurs schoss immer weiter in die Höhe. Aber jetzt wird die ganze Welt Zeuge der Muskschen Eskapaden bei Twitter, und die Tesla Aktie verlor binnen Jahresfrist 70 Prozent an Wert. 

Selbst Silicon-Valley-Gründer-Papst Paul Graham ist nur noch schockiert über die erratischen Entscheidungen von Musk bei Twitter. Musk krempelte über Nacht den Konzern um, Chaos brach aus. Management by Impulsivität, Willkür und Job-Kahlschlag wurden zum Muskschen Markenzeichen. Nobelpreisträger Paul Krugman sagte über ihn: „ Basierend auf dem, was wir von Musks Verhalten gesehen haben, würde ich ihn noch nicht einmal meine Katze füttern lassen, ganz zu schweigen von der Führung eines Konzerns“.

Unmittelbar nach der Übernahme Ende Oktober setzte Musk den damaligen Twitter-Chef Parag Agrawal, den Finanzvorstand Ned Segal und die Chef-Justiziarin Vijaya Gadde vor die Tür. Er selbst übernahm die Leitung. Ob es dabei bleibt, ist nach einer von Musk gestarteten Twitter-Umfrage zu seiner Position als Chef, die als Ergebnis seine Ablösung verlangte, offen. Zurückgetreten, wie er ursprünglich für dieses Ergebnis angekündigt hat, ist er bislang nicht. 

Die Twitter-Files und die öffentlich-schweigsamen Medien
Nach der Führung kam die Belegschaft dran. Es kam zum Job-Kahlschlag. Musk feuert zunächst etwa 3700 Personen und damit die Hälfte der damaligen Belegschaft, um anschließend einige von ihnen um eine Rückkehr zu bitten. Kurz darauf schaffte er die Möglichkeit zum Arbeiten im Homeoffice ab. Mitte November fordert der neue Twitter-Eigner die Beschäftigten ultimativ auf, „lange Arbeitszeiten mit hoher Intensität“ zu akzeptieren oder mit einer Abfindung zu gehen. All das sorgte an den Börsen für heftigen Verdruss. Nicht nur die Insolvenz von Twitter durch wegbrechende Werbeeinahmen wurde befürchtet, sondern auch erhebliche Schäden am Image von Tesla.

Nicht nur bei Twitter wurde die Lage für Musk brenzlich.  Erstmals drohte er seinen Thron bei seinem Vorzeigeunternehmen Tesla zu verlieren. Aktionäre wie der indonesische Milliardär Leo Koguan, der sich vor kurzem noch als der größte Fan von Musk bezeichnete, fordern nun offen seine Ablösung. „Tesla braucht und verdient einen CEO, der sich rund um die Uhr um das Unternehmen kümmert“. Investoren hoffen auf eine Rückkehr des Ausnahmeunternehmers zu Tesla. 

Wie viel Einfluss Koguan hat, ist umstritten. Doch anders als beispielsweise Mark Zuckerberg hat Musk bei Tesla keine Aktien mit Mehrfachstimmrechten. Im Gegensatz zu Zuckerberg, der seinen Konzern so kontrolliert, kann Musk von seinen Aktionären des Amtes enthoben werden, zumal er selber in erheblichem Umfang eigene Aktien verkauft hat.

Der Tesla Chef brauchte einen Befreiungsschlag, ähnlich jenem, wie er ihm 2008 mit dem Daimler-Investment in höchster Not gelungen ist. Aber die Herausforderungen jenseits von Twitter nehmen weiter zu. Zwar könnte Musk bei Twitter wie angekündigt zurücktreten. Musk hat längst sechs enge Vertraute bei dem Dienst installiert. Auch bei Tesla hat er die Personalweichen neu gestellt. Rettung soll Teslas China-Chef Tom Zhu bringen. Zhu steigt zum zweiten Mann hinter CEO Musk auf und bekommt weitere Zuständigkeiten. Der Manager ist seit 2014 für Tesla tätig.

Das Tesla Jahresziel und die Aktionäre im Nacken, hatte Musk Zhu im Dezember aus China in die USA beordert, um den stockenden Hochlauf der Fabrik in Austin zu beschleunigen. Das scheint Zhu gelungen. Unter Zhu, wie Musk ein „Arbeitstier“ mit gewohnheitsmäßiger Übernachtung in der Fabrik, wenn es nötig ist, hatte sich das Werk in Schanghai schnell von den Lockdown-bedingten Problemen erholt. 

Zhu übernimmt jetzt sowohl die Aufsicht über die Produktionswerke des Herstellers in den USA als auch die Leitung des Vertriebs in Nordamerika und Europa. Parallel dazu behält er seine Aufgaben als China-Chef und Vertriebschef in Asien, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet.

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Ob Tom Zhu neben den Fabriken in Europa auch den Absatz ins Laufen bringen kann, ist fraglich. Auch bei Tesla wie bei anderen Herstellern müssen Autos nicht nur produziert, sondern auch verkauft werden. Außerdem dürfte die Belegschaft in Grünheide in Motivation und Arbeitsethos kaum mit jener im Werk Schanghai vergleichbar sein. 

In der Presse kursieren Berichte der IG Metall über ein „totales Chaos“ bei Tesla in Grünheide (Berliner Kurier) und über den Unmut der Arbeiter über die dort gezahlten Löhne (rbb24). Hinzu kamen kurz vor Weihnachten 2022 Meldungen, wonach die Staatsanwaltschaft Potsdam auf dem Tesla-Gelände in Grünheide wegen Verdachts auf illegalen Betrieb eines Gefahrstofflagers ermittelt. Den Bau einer zusätzlichen Batteriefabrik dort hat Musk vorerst auf Eis gelegt.

Zweifel an der Zukunft von Elon Musk bleiben also angebracht. Der Kapitalismus ist gnadenlos, aber effizient. So sehr er technische Visionen und neue  Geschäftsmodelle auf astronomische Wertigkeit zu treiben bereit ist, so schnell korrigiert er seinen Auffassung auch wieder. Wenn der Reiz der Innovation und der Traum vom wachsenden Reichtum verflogen ist, und wenn der einstige Monopolist nach erfolgreicher Aufholjagd der Meute plötzlich als Kaiser ohne Kleider dasteht, dann wird es kritisch für seine Majestät.  

Nein, Mitleid kennt die Meute nicht. Wenn die ausgelobte jährliche Absatzsteigerung um 50 Prozent ausbleibt, zieht das Kapital weiter zur nächsten Vision.

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