Tichys Einblick
die Zentralbanken vor dem Dilemma

Die Pleite der Silicon Valley Bank und der Anfang vom Ende

Steigende Zinsen werden immer neue Banken in die Zahlungsunfähigkeit treiben. Der Ausweg, um dies zu vermeiden, nämlich Inflation, rettet zwar die Banken, lässt aber die Anleger verarmen.

IMAGO/UPI Photo

Aus den USA erreichen uns vertraute Bilder. Vertraut jedenfalls für die, die vor 16 Jahren die globale Finanzkrise, damals ausgelöst durch Zinserhöhungen der Fed zum Anstechen der Immobilienblase schon mit der Aufmerksamkeit des risikobewussten Investors beobachtet haben. Die Schließung der Silicon Valley Bank (SVB), der achtgrößten Bank in den Vereinigten Staaten, hat die Sparer in Scharen vor die Bankschalter getrieben, um ihr Geld abzuheben und so in Sicherheit zu bringen. So etwas nennt man gemeinhin einen Bank Run und er hat das Zeug, das System zu erschüttern, weil die kurzfristigen Einlagen der Sparer theoretisch jederzeit zurückgefordert werden können, die Bank das Geld aber längerfristig gebunden hat, entweder in Anleihen oder in langlaufenden Krediten. Die resultierende Inkongruenz der Laufzeiten auf der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz erzeugt ein Liquiditätsrisiko selbst dann, wenn die Bank eigentlich genug Vermögenswerte hat, um alle Forderungen ihrer Gläubiger zu befriedigen.

Und genau da lag bei SVB der Hase im Pfeffer. Die Anleger sind nicht einfach morgens mit dem linken Fuß aufgestanden und haben sich gesagt: „Heute mache ich mal einen schönen Bank Run, mal schauen, ob ich das Management von SVB erschrecken kann.“ Sie hatten vielmehr einen Grund, ihr Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit der Einlagen einzubüßen, weil SVB einen Verlust von 1,8 Mrd. US-Dollar verkündet hatte, der seine Ursache genau darin hatte, dass das Risiko der Anleger offenbar dort etwas höher ist als gedacht.

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Was genau ist passiert: SVB war auf seinem strammen und aggressiven Wachstumskurs hungrig nach Einlagen. Dieser Wachstumskurs basiert darauf, dass das Institut vor allem Startups und Ventures aus dem Technologiesektor als Kunden hat und dieses Segment in den letzten Jahrzehnten einen extremen Boom erlebt hat. SVB unterstützte dabei seine Kunden nicht nur mit Venture Kapital, also mit Eigenkapital, sondern eben auch – und dazu gehört wirklich extrem viel Selbstvertrauen in die eigene Fähigkeit der Risikoeinschätzung – mit Fremdkapital, obwohl jedem mit dem Thema vertrauten Risikomanager völlig klar ist, dass Fremdfinanzierung für junge Tech-Unternehmen kein geeignetes Instrument ist, weil die Ausfallwahrscheinlichkeit, also die Wahrscheinlichkeit einer Pleite und Nicht-Rückzahlung des Kredites in diesem Segment dafür viel zu hoch ist. Der risikoadjustierte Kreditzins wäre, korrekt kalkuliert, schlicht nicht bezahlbar.
Die Eigenkapitalfinanzierung hingegen funktioniert, weil man zwar in jedem Portfolio etliche Totalverluste verzeichnen muss, jedoch ein einziges „Einhorn“, also ein superprofitables Startup alle Verluste im Portfolio mehr als wettmachen kann.

Es war wahrscheinlich dieses riskante Geschäftsgebaren, welches die Einlagenzinsen, die die Bank an Einlegerkunden zu zahlen hatte, nach oben trieb. Die Bank zahlte besser und lockte so zinshungrige Investoren auf der Suche nach „Überrendite“ an. Weil es aber sehr schwer ist, den Zustrom von Sparmitteln auf diese Weise immer genau an den Bedarf des Bankgeschäftes anzupassen, entsteht in so einem Modell immer wieder eine zeitweilige Überliquidität, die nicht in kurzfristigen Geldmarktanlagen investiert werden kann, ohne direkt Verluste zu realisieren, weil der dort erzielbare Zins eben niedriger ist als der, den man selbst zahlt. „Was also tun?“ sprach Zeus.

Die naheliegende Antwort: Die Überschussliquidität in langlaufende Anleihen von Banken, Unternehmen und Staaten zu investieren und so über die Fristentransformation einen höheren Zins zu erwirtschaften, als das bei fristengleicher Anlage am Geldmarkt möglich gewesen wäre. Zu dumm, dass dieser kleine Trick auch mit einem Risiko verbunden ist, nämlich dem Zinsänderungsrisiko der langlaufenden Anleihen. Steigt der Zins im Kapitalmarkt für diese Anleihen, dann werden die alten, niedriger verzinsten Anleihen weniger wert, und zwar so viel weniger wert, bis ihre Nominalverzinsung auf den gefallenen Wert eine reale Rendite in Höhe des neuen Zinsniveaus erbringt. Umso länger die Restlaufzeit, desto größer der Hebel. Offenbar hat SVB mit dieser Methode satte 1,8 Milliarden Dollar versemmelt. Nicht schön ist das.

Es sind solche Momente, die den vorher auf Laissez-faire programmierten Anleger von null auf hundert in den Panikmodus kippen lassen. Woher weiß er, dass die 1,8 Mrd. schon alle Verluste und Risiken abdecken? Und überhaupt fällt es uns jetzt ein: Die haben von Anfang an höhere Zinsen geboten als die Konkurrenz. Das muss doch einen Grund im Risiko des Portfolios relativ zur Risikotragfähigkeit des vorhandenen Eigenkapitals haben! Was man vorher schon wissen konnte, rückt plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses und – Schwupps – stehen wir in der Schlange der besorgten Sparer und heben das Geld ab. Das geht nicht lange, ohne dass die Bank in Liquiditätsschwierigkeiten kommt.

Anmaßung des Wissens und Arroganz der Macht
Wie sich Zentralbank und Bankenaufsicht gemeinsam eine neue Finanzkrise basteln
Dann rückt die Bankaufsicht an und schließt uns den Laden, nicht ohne alle Leute beruhigen zu wollen mit der Aussage, dass es sich um ein isoliertes und von der Aufsicht beherrschtes Problem handele. Wer solcher Gesundbeterei vertrauen möchte, der muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, wo denn die Aufsicht bisher gewesen ist, was sie getan hat, um die Risiken zu erkennen und ihnen vorzubeugen und warum ihr ihre grandiosen Stresstests nicht schon lange einen kleinen Hinweis gegeben haben, dass hier Stress droht.

Die schlichte Wahrheit ist leider, dass die Stresstests immer noch nicht funktionieren,  und dass die vielen hundert Millionen, die man in sie investiert hat, komplett für die Katz waren. Ich erlaube mir an dieser Stelle den kleinen Hinweis, dass ich hier bei Tichys schon vor Jahren darauf hingewiesen habe, dass und warum die nicht funktionieren können. Konkret findet man meine damaligen Ausführungen zu den Stresstests und ihrer mangelhaften wissenschaftlichen Grundlage in meinem Artikel „Das Desaster der Bankenunion“, erschienen bei TE am 15. August 2017. In den USA lief es nicht besser.

Womit wir bei der Frage wären, ob das stimmt, was uns die Aufsicht jetzt sagt. Denn davon hängt ab, ob sich die Sache zu einem systemischen Problem auswächst.
Die Antwort auf diese Frage ist nach meiner Überzeugung klar: SVB ist die Spitze des Eisbergs und wenn die Investoren das herausfinden, dann gilt der Satz aus einem Werner-Comic: „Ich zähl jetzt bis eins und dann ist hier Achterbahn!“

Warum denke ich das? Der Grund ist einfach: Wir haben jetzt 20 Jahre marktfremde zu niedrige Null- und Negativzinsen gesehen. Dieses billige Geld verleitet Banken, Fonds, Investoren, einfach alle, Risiken einzugehen, die sie nicht eingehen würden, wenn Geld marktgerecht mehr kostet. Der Nullzins macht nicht nur konsum- und verschwendungssüchtig, der macht auch selbstgefällig und risikoaffin und er macht sonst vorsichtige Investoren zu Hasardeuren. Er sorgt auch dafür, dass schlechte Risiken sehr lange nicht schlagend werden. Pleitekandidaten gehen nicht mehr bankrott, sondern laufen noch jahrelang als Zombies herum. Schlechte Investitionen verdienen noch genug Cash, um Zins- und Tilgung zu bedienen, obwohl sie eben schlecht sind, gewaltige Kapitalströme werden in falsche Verwendungen gesteuert, weil Dinge nachgefragt werden, die bei normalen Kreditkosten nie nachgefragt würden. Kurz: Es blühen alle Arten von finanztechnischem Wahnsinn.
Wenn die Zinsen dann irgendwann wieder steigen, weil die Inflation die Zentralbanken zwingt, die Droge des billigen Geldes einzuschränken (so wie jetzt gerade), dann führt der kalte Entzug zu Problemen. Wie heißt es so schön: Erst bei Ebbe merkt man, wer nackt baden gegangen ist und erst wenn der Schnee schmilzt, sieht man die Scheißhaufen auf der Wiese.

Das Verhalten der übergroßen Risikoliebe ist ganz sicher keine Eigenschaft einer einsamen fehlgeleiteten Silicon Valley Bank. Es ist die logische und zwingende Konsequenz aus der jahrzehntelangen Verzerrung des wichtigsten Preises einer Volkswirtschaft, des Zinses, der normalerweise alle Arten von Risikoprämien für Kreditausfälle, Liquidität usw. enthalten sollte, es aber nicht mehr tut.

Als die Fed und die EZB anfingen, die Zinsen mit schmerzverzerrtem Gesicht zu erhöhen, habe ich in meinen Publikationen genau darauf hingewiesen und auf die zwingende Konsequenz dessen. Ein steigender Zins kann die Inflation nur bekämpfen, also nur dann deflationär wirken, wenn die realwirtschaftlichen Kräfte der Deflation sich auch entfalten, also wenn Unternehmen pleite gehen, die Nachfrage schrumpft. Es ist dies der ganze schmerzhafte Gesundungsprozess, den so ein kalter Entzug nun mal mit sich bringt.

Da die angesparten Ungleichgewichte aber zu groß sind, als dass dies ohne die Zahlungsunfähigkeit von großen Banken und auch Staaten passieren kann (weil wir es zu lange übertrieben haben mit der Modern Monetary Theory und dem Gelddrucken) stehen die Zentralbanken vor einem Dilemma: Ziehen sie es durch, kommt es zu Bankenkrach, Staatspleiten und Depression, lassen sie es bleiben, werden sie vom apokalyptischen Reiter der Hyperinflation totgetrampelt.

Meine Prognose: Letzteres ist ihnen lieber als die Depression. Denn letzteres ist das Resultat des einzigen Dinges, dass sie kennen und können: Mehr Geld drucken zur vermeintlichen Lösung aller Probleme. Was also wird passieren? Die Bankenkrise wird sich ausweiten, nicht kontinuierlich, aber in Schüben und es wird wieder gerettet werden, erst in kleinem Maßstab, dann im Großen und am Ende im ganz Großen. Dann macht sich die Inflation auf zum nächsten Aufgalopp mit 20 oder mit 50 Prozent und dann stehen Fed und EZB wieder vor der Herausforderung, die Inflation einzudämmen, nur auf höherem Niveau.

Willkommen in der Realität.