Tichys Einblick
„die lage ist dramatisch“

Prognose 2023: Produktion und Umsatz im Sinkflug

Existenzbedrohung gibt es vor allem durch die enorm gestiegenen Energiepreise. Sei es im Mittelstand bei Dienstleistern, Brauereien oder im Verarbeitenden Gewerbe. Gravierend negativ fällt die Bilanz bei der chemischen Industrie aus.

Nach über 190 Jahren wird die Pfungstädter Brauerei im Laufe des nächsten Jahres ihren Betrieb einstellen.

IMAGO / Manfred Segerer

„Dunkles Jahr mit trüben Aussichten“, so stellt der Verband der Chemischen Industrie, VCI, seine Jahresbilanz 2022 vor. Die Produktion sinkt gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent, Energie- und Rohstoffkosten belasten die Erträge. Für 2023 sieht die Prognose nicht besser aus. Es gebe dringenden Nachbesserungsbedarf bei den Energiepreisbremsen.

Knapp die Hälfte der Beschäftigten in der Chemieindustrie und Energiewirtschaft, nämlich 47 Prozent, machen sich laut einer Umfrage der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie große oder sehr große Sorgen um ihren Arbeitsplatz. Die Beschäftigten sorgen sich nicht ohne Grund.

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Vor allem die Chemiebranche ist von der hohen Inflation bei der Energieversorgung betroffen. „Die Lage ist dramatisch“, fasst Markus Steilemann, Präsident des VCI, die Lage in einem Deutschlandfunk-Interview zusammen, „vor allem wegen der hohen Energiekosten.“ Dazu kämen weniger Aufträge herein. „Seit Mitte des Jahres sinken die Verkaufserlöse deutlich.“ Dies läge auch daran, dass sich die industriellen Kunden im Inland bei Aufträgen zunehmend zurückhielten. „Diese Kaufzurückhaltung ist darauf zurückzuführen, dass weite Teile der deutschen Wirtschaft bereits in der Rezession stecken. Wir glauben daher nicht an ein frohes neues Jahr.“

Es bleibe ein düsteres Bild. „Die Produktion ist stark gedrosselt, die Kapazitäten sind nicht ausgelastet. Energie ist in Deutschland und weiten Teilen Europas knapp und teuer.“ In der Folge dürften immer mehr Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern: in die USA, aber auch Asien und China. Steilemann fürchtet eine Deindustrialisierung durch steigende Energiekosten. Denn ein Fünftel des industriellen Gas- und Stromverbrauchs in Deutschland entfällt auf die chemische Industrie. Die Entlastung durch die Gas- und Strompreisbremse reiche nicht. Um 10 Prozent ist die Produktion im laufenden Jahr schon gesunken. Das dürfte sich im Jahr 2023 fortsetzen.

Jedes vierte Unternehmen macht Verluste, heißt es in der Pressemitteilung des VCI. Der enorme Energie- und Rohstoffkostendruck führte zwar zu einem kräftigen Anstieg der Produktpreise, infolge dessen waren chemische Erzeugnisse im Gesamtjahr 22 Prozent teurer als im Vorjahr. Aber die Kosten stiegen stärker als die Verkaufspreise, sodass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung des VCI mittlerweile bei rund 80 Prozent der Unternehmen die Gewinne zurückgehen. Insbesondere der Mittelstand ist betroffen.

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Um größere Verluste zu vermeiden und um Energie – insbesondere Gas – einzusparen, haben viele Unternehmen ihre Produktion gedrosselt. 40 Prozent der Unternehmen geben an, die Produktion bereits zurückgefahren zu haben oder dies in Kürze tun zu wollen. Ein Teil davon wurde an ausländische Standorte verlagert. Bei fast jedem vierten Unternehmen ist die Verlagerung konkret geplant oder bereits umgesetzt. Jedes fünfte Unternehmen musste wegen der Energiekrise zudem Aufträge ablehnen.

Nicht allein die chemische Industrie ist betroffen, auch der Mittelstand. Es ist das Ende einer großen Brautradition. Das Ende der Pfungstädter Brauerei lässt sich nicht mehr abwenden. Im Lauf des nächsten Jahres soll der Brauereibetrieb eingestellt werden. 70 Arbeitsplätze sind betroffen.

Der Autozulieferer Conti macht sein Werk in Aachen dicht. 1800 Menschen hatten zuletzt am Standort gearbeitet, nur einige hundert bleiben noch bis Ende 2023, um das Werk abzuwickeln.

Das Ifo-Institut teilt indessen mit: 7,9 Prozent der Unternehmen sehen sich gegenwärtig in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Das geht aus einer Umfrage des Ifo-Instituts hervor. „Die Unternehmen zeigen sich vor dem Hintergrund der konjunkturellen Abschwächung sehr widerstandsfähig“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo Umfragen.

Der Einzelhandel ist weiterhin am stärksten betroffen, wo 11,8 Prozent der Firmen von einer existenzbedrohenden Situation berichteten (Oktober: 11,6 Prozent). „Viele Unternehmen im Einzelhandel blicken mit Sorge auf das anstehende Weihnachtsgeschäft“, so Wohlrabe.

Bei den Dienstleistern stieg der Anteil von 7,7 auf 8,9 Prozent. Hier sind insbesondere Selbstständige und Hotels betroffen. Keine Sorgen um ihre Existenz macht sich die Zunft der Rechts- und Steuerberater.

Im Verarbeitenden Gewerbe sehen 6,8 Prozent ihre Existenz bedroht (Oktober: 7,0 Prozent). Auch in vielen energieintensiven Branchen gibt es Sorgen. In der chemischen Industrie hat sich der Anteil von 5,9 auf 12,4 Prozent mehr als verdoppelt. Im Bereich Gummi- und Kunststoffwaren berichteten 9,8 Prozent von Existenzbedrohung.

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