Tichys Einblick
Persönliche Rivalität

Muss die Wirtschaftsweise Veronika Grimm gehen?

Im Sachverständigenrat ist ein Machtkampf entbrannt, der den politischen Streit in der Ampel zwischen marktwirtschaftlich orientierter Politik und einer eher staatszentrierten Denke anheizen dürfte. Hintergrund des Streits sollen persönliche Rivalitäten zwischen Ratsmitgliedern sein.

Veronika Grimm bei der Vorstellung des Jahresgutachtens 2023/2024, Berlin, 8. November 2023

IMAGO / IPON

Beim Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat sich jüngst Ungeheuerliches ereignet: Erstmals seit seiner Gründung unter Ludwig Erhard 1963 wurde ein Ratsmitglied von ihren Kollegen unter dem Vorwand der möglichen wissenschaftlichen Befangenheit aufgefordert, das Gremium zu verlassen.

Das grenzt an Chuzpe. Am Rande sei angemerkt, dass jedes einzelne Mitglied dieses ehrwürdigen Gremiums der Hauch der Befangenheit umweht, haben doch die politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen bei jeweils einem Mitglied das Vorschlagsrecht zur Entsendung. Eine Ernennung nach nur wissenschaftlichen Kriterien dürfte da sehr schwierig sein.

Im Sachverständigenrat ist ein Machtkampf entbrannt

Mitglieder des Sachverständigenrates sind derzeit:

  • Achim Truger (seit März 2019)
  • Veronika Grimm (seit April 2020)
  • Monika Schnitzer (seit April 2020, seit Oktober 2022 Vorsitzende)
  • Ulrike Malmendier (seit September 2022)
  • Martin Werding (seit September 2022)

Nach Informationen aus Regierungskreisen legen die Vorsitzende des Rates, Monika Schnitzer, sowie die Mitglieder Achim Truger, Ulrike Malmendier und Martin Werding der Ökonomin Veronika Grimm den Rücktritt aus dem Gremium nahe. Hintergrund ist ein Aufsichtsratsmandat, das Grimm im Dezember bei Siemens Energy angenommen hatte (Berlin.Table # 249 / 20. Februar 2024).

Nach den vorliegenden Informationen spricht die „Vierer-Bande“ (wenig stilvoll) in einer E-Mail an die Kollegin Grimm – Kopie an Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt sowie die Minister Christian Lindner und Robert Habeck – von „möglichen Interessenkonflikten“ bei Themen, die für die zukünftige Arbeit des Sachverständigenrats von zentraler Bedeutung sein werden. Stilvoll ist es, einen internen Konflikt zu verpetzen bei denen, denen man gefallen will.

Zwar gebe es bisher keine Compliance-Regeln, die werde man jetzt erstellen. Aber man sehe voraus, dass auch solche Regeln „keine praktikable Lösung“ für die möglichen „sehr weitreichenden“ Interessenkonflikte darstellen würden, heißt es. „Deshalb möchten wir dich bitten, dich im Falle einer Wahl in den SEAG-Aufsichtsrat (Siemens Energy AG) für eines der beiden Mandate zu entscheiden.“

Man muss sich also künftig an Gesetze halten, meinen die früher sogenannten Wirtschaftsweisen, die es noch gar nicht gibt und die den Vorgang auch nicht regeln werden können. Aber zum Niedermachen reicht es allemal; ein schönes Rechtsverständnis.

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Grimm lehnt dies ab. In ihrer Antwort schreibt sie: „Wie ihr wisst, ist die Mitgliedschaft in einem Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft nicht zu beanstanden.“ Dies sei im Vorfeld ihrer Nominierung von den Bundesministerien und der Siemens Energy AG geklärt worden. „Die Compliance-Fragen wurden umfassend und sorgfältig geprüft.“

Und damit hat sie Recht. Ihr Fall ist kein Präzedenzfall, sondern hat Vorgänger. Dass Mitglieder des Rates auch Mitglieder in Aufsichtsräten sind, war bisher keine Seltenheit. Das gilt etwa für die früheren Ratsmitglieder Wolfgang Franz (EnBW), Beatrice Weder di Mauro (ThyssenKrupp) oder Jürgen Donges (Mannesmann AG). Allerdings verließ di Mauro den Rat, als sie Verwaltungsrätin der Schweizer UBS Bank wurde. Zuvor hatte sie sich im Rat mit den Kapital-Themen befasst. Auch in anderen Gremien wie der Monopolkommission sind Doppel-Mandate üblich (Berlin.Table # 249 / 20. Februar 2024). In der FDP-Bundestagsfraktion hieß es, aus einem Engagement in der Wirtschaft dürfe grundsätzlich kein Nachteil entstehen.

Wissenschaftlich betrachtet, könnte es sich bei dieser Auseinandersetzung um den ideologischen Streit zwischen einer liberalen, marktwirtschaftlich orientierten Politik, für die eher Veronika Grimm steht, und einer eher staatsdirigistischen Denke handeln, die ansatzweise eher im Rest des Gremiums, allen voran, Monika Schnitzer, zu verorten ist.

In all den Dekaden seit seiner Gründung sind solche Dispute im Rat nicht neu, wurden aber stets elegant in Form von Minderheitsvoten gelöst. Oder – einmalig – durch freiwilligen Rücktritt eines Mitglieds (Wolfgang Stützel 1968, Vater der Volkswirtschaftlichen Saldenmechanik). Der Vorgang hat also auch eine politische Dimension. „Es geht offenbar darum, Veronika Grimm als kritische Stimme aus dem Rat herauszudrängen“, sagte ein ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrats zu Table.Media.

Schnitzer und Grimm waren 2020 von der Bundesregierung in das renommierte Beratergremium berufen worden. Wirtschaftsminister Habeck hatte Grimm 2022 erneut nominiert, auch im SPD-geführten Kanzleramt hatte sie Unterstützer. Die Ökonomin kommt aus einer SPD-Familie. Doch zuletzt soll ihr Verhältnis zum rot-grünen Teil der Regierung erkaltet sein, heißt es. Offensichtlich suchte ein Teil der Ampel einen Vorwand, um sie loszuwerden.

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Die wissenschaftliche Laufbahn von Veronika Grimm ist stark von liberalen und sozial-marktwirtschaftlich ausgerichteten Universitäten geprägt. Sie hat sich inzwischen einen hervorragenden Ruf als ausgewiesene Expertin in Energiewirtschaft erarbeitet. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Energiemärkte und Energiemarktmodellierung, Verhaltensökonomie, soziale Netzwerke sowie Auktionen und Marktdesign. Am Energie Campus Nürnberg leitet sie den Forschungsbereich „Energiemarktdesign“.

Grimm betonte mehrmals die Bedeutung von Wasserstoff in der Energiewende, jedoch wäre aus ihrer Sicht ein Auto, das mitgeführten Wasserstoff mittels Bordkraftwerk in Strom verwandelt, um den elektrischen Motor zu betreiben, zu teuer, zu komplex, zu ineffizient. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab sie weiterhin an, es dürfe während des Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft nicht nur um grünen Wasserstoff gehen. „Das ist ein sehr deutsches und zugleich gefährliches Narrativ.“ Wie sich jetzt herausstellt, vor allem auch gefährlich für sie selber. Denn seit sie nicht mehr auf „dunkelgrün“ fixiert ist, passt ihre eher liberale Linie Grünen und SPD offensichtlich nicht mehr so sehr ins Konzept. Wer nicht passt, muss gehen. Wasserstoff ist eine Art heiliges Stöffchen, an das Robert Habeck glaubt und andere glauben machen will. Daran darf nicht gerüttelt werden. Im Übrigen zieht der Sachverständigenrat von Wiesbaden nach Berlin um. Unter dem Rock der Politik ist es wärmer.

Doch die ampeluntreue Politik von Grimm dürfte nicht alleine und vor allem nicht der wesentliche Grund für diesen spektakulären Schritt der „Viererbande“ gewesen sein. Hier menschelt es gewaltig. Hintergrund des Streits ist laut Insidern die persönliche Rivalität zwischen Schnitzer und Grimm. Grimm hatte zuletzt immer wieder die Koalition kritisiert, ihr eine „schwache Transformationspolitik“ vorgeworfen und die Schuldenbremse verteidigt.

Dagegen halten Schnitzer, die vom Kanzleramts-Berater Jörg Kukies in den Rat geholte Malmendier und der von den Gewerkschaften nominierte Truger eine Reform der Schuldenbremse für richtig und sehen staatliche Subventionen weniger kritisch. Malmendier nannte neulich in einem Interview die Kritik an der Regierung „billig“. Schnitzer wiederum kämpft seit langem dafür, den Rentnern den Stecker zu ziehen. Witwenrenten sollen künftig wegfallen, Rentensteigerungen weitgehend ausgeschlossen werden. Ab ca. 1.400 Euro im Monat sollen weitere Rentensteigerungen gestoppt werden. Nur Beamtenpensionen wie ihre eigene dürfen weiter mit Inflation und Einkommen unbegrenzt steigen.

Wie eine gedeihliche Zusammenarbeit in Zukunft weitergehen soll, ist offen. Nicht offen ist dagegen die Gewissheit, dass der Rat-Konflikt den politischen Disput in der Ampel zwischen Marktwirtschaftlern und Staatsdirigisten weiter anheizen dürfte.

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