Tichys Einblick
Radikale Abkehr vom Verbrenner-Aus

VW-Chef Oliver Blume korrigiert Konzern-Strategie

Mit dem Verbrennerverbot der EU ab 2035 war die Position von VW von Gesetzes wegen bedroht. Doch binnen kürzester Zeit stellte der neue Chef Oliver Blume die strategischen Weichen des VW-Konzerns neu. Vor allem korrigierte er die Strategie seines Vorgängers, den Konzern voll auf Elektromobilität auszurichten.

IMAGO / STPP

VW-Chef Oliver Blume ist dabei, den Volkswagen-Konzern wieder „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen. Und zwar gründlich… Die Füße: Das waren beim Autobauer Volkswagen als weltgrößter Autohersteller rund zehn Millionen Autos, alle mit Verbrennermotoren als Benziner oder Dieselautos angetrieben. Alle nach einhelliger Meinung der Fachwelt mit Antriebsaggregaten, die seit Jahrzehnten unangefochten im Weltmaßstab zum Besten gehören, was die Weltautomobilindustrie zu bieten hat. „Und läuft, und läuft, und läuft …“, der berühmte VW-Werbeslogan aus den 60-/70-ern brachte die Qualitätsanmutung von VW bei Kunden weltweit am besten auf den Punkt.

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Und gilt auch noch heute für Autos aus „Auto-City“ Wolfsburg, wie die Absatzzahlen trotz Diesel-Skandal und interner Diadochenkämpfe zwischen Betriebsrat und Konzernführung zeigen. „German Wertarbeit“, Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit – kurz: Das Qualitätsimage des VW-Konzerns und seiner Verbrennerautos und seine historische „heritage“ sind weltweit ungebrochen, auch wenn der Wettbewerb aufgeholt hat und VW – auch durch den Diesel-Skandal beschädigt – nicht mehr konkurrenzlos ist.

Die Diskussion um „global warming“ und Klimawandel und die Notwendigkeit zur Reduzierung der anthropogenen CO2-Emissionen in allen Lebensbereichen, vor allem auch im Verkehr, haben den Einsatz von fossilen Brennstoffen wie Benzin und Diesel in Misskredit gebracht. Die Politik sah als einziges Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels für den Verkehrsbereich auf der Straße ausschließlich Elektroautos auf Batteriebasis (BEV), übergangsweise als Hybride in Kombination mit Verbrennungsmotoren (PHEV) vor. Noch im Juni 2022 hatten die Umweltministerinnen und Umweltminister der EU beschlossen, dass ab 2035 nur noch Neuwagen ohne CO2-Ausstoß zugelassen werden.

Mit diesem „Verbrennerverbot“ war die Position von VW als Hersteller von Verbrennerautos von Gesetzes wegen ernsthaft bedroht. Die größte Bedrohung jedoch kam nicht von außen, sondern von innen, aus dem Konzern selber heraus. Sie kam in der Person von Herbert Diess, seit 2018 Vorsitzender der Volkswagen AG, 2015 von BMW kommend und von Übervater Ferdinand Piëch zu VW gerufen, war dort im Jahr 2018 als neuer VW-Chef mit Erleichterung begrüßt worden. Der Konzern steckte noch mitten im Diesel-Skandal und Diess versprach, diesen mit einer radikalen Elektro-Strategie hinter sich zu lassen. Mit einem fast atemberaubenden Tempo verordnete Diess dem Konzern einen weltweiten Strategiewechsel, sortierte die Marken neu und preschte in Sachen Elektromobilität voran. Ab Mitte der 2020-er sollten keine Verbrennermotoren mehr entwickelt, ab 2035 bei VW keine Verbrennerautos mehr gebaut werden.

Herbert Diess mutierte vom gelernten Verbrenner-Ingenieur zum bekennenden Tesla-Fan, dem Pionier aus USA bei Elektroautos. Er eiferte Tesla-Gründer Elon Musk nach, und fokussierte seinen altehrwürdigen, durch und durch von Automobiltechnik getriebenen Auto-Konzern auf zwei Bereiche, in denen sich seiner Meinung nach die Zukunft der Autokonzerne entscheiden wird: Elektroantrieb via Batterien und die Software der Fahrzeuge, Chemie und Elektronik also jedweder Art. Beides wollte Diess im eigenen Haus herstellen, um gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu haben. Beides brachte aber immense wirtschaftliche Risiken mit sich und war fundamental radikal gedacht.

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Lebenserfahrene Wirtschaftsingenieure haben es schon immer gewusst: Man kann aus einem analogen Unternehmen nicht innerhalb von fünf Jahren eine Software-Schmiede machen. Ob das überhaupt Sinn macht und ob man soll, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls Diess konnte das nicht, Diess scheiterte. Und wurde entlassen und durch Porsche-Chef Oliver Blume ersetzt, dem Herrscher über hochkarätige und Hochleistungs-Verbrenner-Automobile.

Ein Glücksfall! Binnen kürzester Zeit stellte Blume die strategischen Weichen des VW-Konzerns neu. Vor allem korrigierte er die künftige Motorstrategie seines Vorgängers Herbert Diess, der den Konzern voll auf Elektromobilität ausrichten wollte. Herbert Diess wollte VW zum führenden E-Auto-Konzern der Welt umbauen. Oliver Blume setzt lieber auf bewährtes. „Mit E-Fuels lassen sich Verbrenner nahezu CO2-neutral betreiben und sind weltweit gefragt“, erklärt er in einem Interview mit der Zeitschrift Auto Motor Sport. Das Interview sorgte für Aufsehen, wegen der weihnachtlichen Feiertage weniger in der Öffentlichkeit als in der Fachwelt.

Schlagzeilen sprechen bekanntlich Bände! Dazu die Titel zweier Meinungsführer zu dem Blume-Interview mit der Auto Motor Sport, in dem Blume der radikalen Abkehr seines Vorgängers Herbert Diess vom Verbrenner-Motor eine ebenso radikale Abkehr von der allein klimarettenden Kraft der Elektromotoren visionär entgegenstellt:

Die Qintessenz des Blume–Strategie-Schwenks ist einfach: Bei VW wird man unter Blume noch viele Jahre Benzin und Diesel tanken. Denn Verbrenner lassen sich nahezu CO2-neutral betreiben und sind weltweit gefragt.

Im Interview mit der Auto Motor Sport kündigte Blume an, dass viele Verbrennermodelle weiter eine Zukunft haben, beispielsweise bei der Marke Porsche. „Unsere Strategie ist, dass wir die Verbrenner vorerst im Markt lassen, weil sie in vielen Weltregionen sehr beliebt sind. Gleichzeitig steigern wir Interesse und Absatz der vollelektrischen Modelle.“

Was bei TE schon immer mantrahaft dargelegt wurde, nämlich dass Klimaschutz „gesamtheitlich gedacht werden“ müsse, steht nun bei Blume im Vordergrund. „Elektromobilität ist dabei eine wichtige Fahrspur. Gleichzeitig gibt es weltweit mehr als eine Milliarde Bestandsfahrzeuge. Diese werden noch Jahrzehnte unterwegs sein“, erklärt der VW-Chef. Damit gibt Blume zu erkennen, dass rascher und wirksamer Klimaschutz vor allem am Altbestand der Welt-Pkw-Flotte ansetzen müsste, natürlich neben den Neu-Fahrzeugen.

Das Gewicht von Blumes Richtungswechsel kommt einem Erdbeben gleich. Denn noch im Sommer 2022 hatten die Umweltministerinnen und Umweltminister der EU beschlossen, ab 2035 nur noch Neuwagen ohne CO2-Ausstoß zu zulassen, nur noch BEV, auch keinen PHEV. Die Vereinbarung lässt auf Drängen Deutschlands und anderer Länder allerdings die Möglichkeit offen, dass mit E-Fuels betriebene Verbrenner auch nach 2035 verkauft werden können.

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VW-Chef Blume setzt voll auf diese Zwischenlösung im Klimaschutz. „E-Fuels sind hierfür eine effektive, ergänzende Lösung. Ottomotoren können mit ihnen nahezu CO2-neutral betrieben werden. So können alle Fahrzeuge ihren Teil dazu beitragen, CO2 zu reduzieren – unabhängig von der Antriebsart. Zudem lassen sich E-Fuels als Wasserstoff-Derivat hervorragend mit fossilen Kraftstoffen mischen. Und jedes Prozent Beimischung ist ein Beitrag zum Klimaschutz.“

Diese Aussagen lassen nicht nur die Herzen von jungen und alten Lehrstuhlinhabern für Verbrennungsmotoren (zum Beispiel Thomas Koch und Fritz Indra), sondern auch jene von echten Klimaschützern hochschlagen. Endlich sehen sie eine wirkliche Chance, auch mit Verbrennermotoren einem wirksamen Klimaschutz und keinen ideologischen Verbohrtheiten zum Durchbruch zu verhelfen. Denn im Endeffekt geht es um die Vermeidung von fossilen Brennstoffen und nicht um die Verteuflung der Aggregate, die Brennstoffe unterschiedlichster Provenienz zum Antrieb verbrennen können.

Da gleichzeitig der Stern der Elektromarke Tesla sinkt und immer größere Zweifel in der Öffentlichkeit an der Klimafreundlichkeit von Elektroautos hochkocht, bleibt die Hoffnung, dass die Worte von VW-Konzern-Chef Oliver Blume in der Politik mehr Gehör finden als die vielen wissenschaftlichen Stimmen in der Vergangenheit.

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