Tichys Einblick
Ökologische Augenwischerei bei der DB

Deutsche Bahn: grüne PR gegen rote Zahlen

Die Deutsche Bahn wird immer schlechter und gleichzeitig immer teurer. Jetzt nimmt der Vorstand der DB viel Geld in die Hand: nicht für ein besseres Produkt, sondern für eine grüne PR-Kampagne. Es ist der dreiste Versuch, auf Kosten des Steuerzahlers vom eigenen hochbezahlten Versagen abzulenken.

Der Aufschwung bei der Deutschen Bahn – das ist stark zu vermuten – verzögert sich voraussichtlich – um fünf bis zehn Minuten.

(frei nach den „Wise Guys“)

Wer Anfang November unvorsichtigerweise mit der Bahn von Berlin nach Mainz (Umsteigen in Erfurt) gefahren ist, kam in den Genuss einer echten Leistungsschau.

Auf dem Hinweg hat der Zug schon in Berlin die mittlerweile üblichen zehn Minuten Verspätung. Am Zielort Mainz beträgt der Gesamtrückstand dann 35 Minuten. Dem ICE fehlt ein ganzer Wagen, weshalb sich Dutzende Fahrgäste mit bezahlter Reservierung für die Erste Klasse auf den Gängen geradezu stapeln. Im Bordbistro gibt es weder Kaffee (Maschine kaputt) noch gekühlte Getränke (Kühlschrank kaputt). Das ist aber auch ganz gut so, denn gefühlt die Hälfte der Toiletten ist ebenfalls kaputt.

Auf dem Rückweg fährt der Zug in Erfurt von einem anderen Bahnsteig los, der Wechsel wird nicht durchgesagt. Panische Menschen rennen vogelwild durch den Bahnhof, um noch rechtzeitig zum richtigen Gleis zu kommen – viele vergeblich, denn in so einem Fall fährt der Zug natürlich absolut pünktlich, ohne Rücksicht auf die unverschuldet zu spät kommenden Reisenden.

Als Überlebender dieses Armageddons sinkt man in seinen blutig erkämpften Sitzplatz und greift erschöpft zu „DB mobil“, dem Kundenmagazin der Bahn, um sich bei leichter Lektüre etwas zu erholen. Dieser Versuch scheitert abrupt schon auf der Titelseite: Denn die Deutsche Bahn beglückt im November alle Fahrgäste mit einer sogenannten „Grünen Ausgabe“ ihres Kundenmagazins. 158 Seiten lang geht es darin im besten Aktuelle-Kamera-Jubelton um die verschiedensten Aspekte von „Fridays for Future“ – laut DB sind das „Schüler, die für Klimaschutz und die Macht der Vernunft demonstrieren“.

Diese Werbesprech-Zumutung fordert dazu heraus, mit der erwachsenen Macht der Vernunft etwas genauer hinter die grüne Fassade dieses Staatsbetriebs zu schauen, der aus unerfindlichen Gründen so tut, als sei er ein richtiges Unternehmen.

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Aus den Mediadaten von DB mobil lernen wir, dass das Kundenmagazin der Deutschen Bahn von einer Werbeagentur erstellt wird und monatlich in einer Auflage von knapp 500.000 Exemplaren erscheint. Branchenkenner veranschlagen für so ein Produkt Herstellungskosten (Redaktion, Druck, Verwaltung, Logistik) im sechsstelligen Bereich – pro Ausgabe.

Aus dem blumigen Editorial von Bahnchef Lutz lernen wir weiter, dass das November-Heft schon die siebte „Grüne Ausgabe“ von DB mobil ist. Der VEB Schiene gibt für seine Öko-Postille also viel Geld aus – sehr, sehr viel Geld.

Das fließt zum Beispiel in eine Reportage über sechs Jugendliche aus sechs Orten in Deutschland. Eine Reporterin und drei Fotografen von DB mobil haben die 13 bis 19 Jahre alten Schüler über sechs Monate (!) beim Demonstrieren begleitet. Drei der Protagonisten sind Mitglieder der grünen Parteijugend. Auf den elf Seiten, über die sich der Text zieht, wird den porträtierten Helden keine einzige kritische Frage gestellt: nicht dazu, dass sie regelmäßig die Schule schwänzen – also ein Privileg mit Füßen treten, für das Hunderte von Millionen Kindern und Jugendlichen in anderen Weltregionen sehr, sehr viel hergeben würden. Auch nicht dazu, dass es wundersamerweise fast ausschließlich Gymnasiasten bei „Fridays for Future“ gibt – aber so gut wie keine Lehrlinge.

(Das wäre überhaupt mal eine Idee: eine Talkshow-Quote für „Fridays for Future“. Neben jedem FFF-Schulschwänzer müsste dann immer ein Mechatronik-Azubi von Audi sitzen, der die Schulausbildung des anderen ja mitfinanziert. Man darf vermuten, dass diese ganzen TV-Diskussionen ganz anders verlaufen würden.)

In diesem Stil geht es weiter, im ganzen Heft. „Neues Deutschland“ reloaded.

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Der Journalismus im Kundenmagazin der Deutschen Bahn ist also so verkommen wie (fast) im gesamten restlichen deutschen Blätterwald, nun gut. Das ist nicht schön, aber leider auch nichts Besonderes.

Interessant wird es, wenn man es in das größere Bild einfügt, das die DB abgibt.

Die am Anfang geschilderte Fahrt von Berlin nach Mainz zeigte ja nur einen kleinen Teil der Mängel, mit denen sich Bahnkunden vor allem in den vergangenen 15 Jahren in nachweisbar immer schlimmerem Ausmaß herumschlagen müssen. Die Bahn ist unpünktlich. Die Züge sind dreckig. Die Technik ist anfällig. Das Personal ist gestresst und in der Folge unfreundlich. Bahnhöfe verrotten, Schienen verrosten, der Investitionsstau ist riesig. Gleichzeitig verdienen die Bahnmanager Unsummen – erst als bizarr überbezahlte Angestellte, dann als bizarr überbezahlte freie Berater. Kaum etwas liest sich regelmäßig so vernichtend wie die Kritik des Bundesrechnungshofs an der Bahn.

Der Niedergang des einstmaligen Vorzeigebetriebs begann in der Zeit des berüchtigten Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn, über den das „Manager Magazin“ schon 2003 die wenig vorteilhafte, aber von den meisten Eingeweihten als ziemlich zutreffend beschriebene Titelgeschichte „überschätzt und überfordert“ veröffentlichte. Nach dem erst verschobenen und später ganz abgesagten Börsengang ergriff Mehdorn 2009 die Flucht, nahm noch schnell eine Millionen-Abfindung mit und hinterließ ansonsten menschlich wie wirtschaftlich einen Trümmerhaufen.

(Danach durfte er noch zwei weitere Projekte ruinieren: Air Berlin, inzwischen pleite, und den Berliner Flughafen, inzwischen immer noch inexistent. Die Aufsichtsräte, die ihn dort jeweils verpflichteten, würde man auch gerne mal kennen lernen.)

Seitdem mäandert die Bahn zwischen völlig gegensätzlichen Zielen: Staatsbetrieb oder Privatunternehmen, öffentlicher Dienstleister oder gewinnorientierter Konzern, reine Eisenbahn oder allgemeiner Mobilitätsanbieter … Die Politik gab der DB, die zu 100 Prozent der Bundesrepublik Deutschland gehört, keinerlei konsistente Richtung vor. Dafür schickte sie immer neue verdiente Parteisoldaten in bestens dotierte Posten in Vorstand und Aufsichtsrat, wo sie bis heute ihre segensreiche Wirkung auf Kosten des Steuerzahlers voll entfalten.

Die Deutsche Bahn ist für den Bund ungefähr das, was der BER für Berlin ist: ein Denkmal der Unfähigkeit.

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Seit 2017 darf nun Richard Lutz als DB-Vorstandsvorsitzender … tja, man kann es nicht anders sagen: dilettieren. 2018 machte die Bahn mal eben 30 Prozent weniger Gewinn als im Vorjahr. Lutz ignoriert auch die vom Bundestag vorgegebene Schuldenobergrenze von 20,4 Milliarden Euro: Derzeit beträgt die (um Leasingverträge bereinigte) Verschuldung 21,1 Milliarden Euro. Und gerade erst wurde Lutz vom Bundesrechnungshof sogar attestiert, dass er noch nicht einmal genügend Informationen darüber hat, wie genau es um das eigene Bahnnetz steht.

Nun haben Deutschlands Spitzenmanager (die nicht so heißen, weil ihre Arbeit immer spitze wäre) in vielen teuren Coachings gelernt, dass man von Problemen mit suboptimalen Ergebnissen ablenken kann, indem man die Aufmerksamkeit ganz woandershin lenkt. Folgerichtig springt der Bahnvorstand, wenn man so will, auf den populärsten Zug auf, der derzeit fährt: die Ökologie.

Und so werden die Fahrgäste nicht nur unter (bisher) 3,5 Millionen grünen Propaganda-Postillen begraben. Zusätzlich startet die DB die grüne Image-Kampagne „Feeling Good“, dank derer sich Werbeagenturen über weitere Einnahmen mit ganz vielen Nullen freuen dürfen. Und schließlich werden mehr als 400 ICE-Triebwagen neu lackiert: Statt des roten Seitenstreifens bekommen sie einen grünen. Auch das kostet natürlich, und nicht zu knapp.

Soll niemand sagen, die Bahn investiere nicht genug.

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Das Ganze folgt augenscheinlich dem allgemeinen Trend, dass die richtige Gesinnung wichtiger ist als die seriöse Tat.

Die DB streicht sich grün an, sogar buchstäblich. Damit kann Bahnchef Lutz sicher bei ein paar hundert politischen Entscheidungsträgern punkten, die man oft in Maschinen der Bundeswehr-Flugbereitschaft und noch öfter in Limousinen des Bundestags-Fahrdienstes findet. Millionen Bahnkunden in der Zweiten Klasse haben davon allerdings – genau: nichts.

„Je mehr Menschen einsteigen, desto besser“, schreibt DB-Boss Lutz. Nun könnte man auf den abwegigen Gedanken kommen, dass nicht bessere PR, sondern ein besseres Produkt mehr Kunden anzieht: pünktliche Züge, saubere Wagen, freundliches Personal, tatsächlich kühlende Klimaanlagen im Sommer und tatsächlich heizende Heizungen im Winter.

Man könnte auch einen Blick in die jüngste Umfrage des Verkehrsclubs Deutschland werfen. Die besagt, dass die Klimaverträglichkeit für Bahnkunden erst an fünfter Stelle kommt. Viel wichtiger sind den Fahrgästen Schnelligkeit, Direktverbindungen, günstige Tickets und Pünktlichkeit.

Die Verbindungen schneller, den Fahrplan einfacher und die Züge pünktlicher zu machen – das erfordert allerdings zugegebenermaßen nicht nur erhebliche Anstrengung, sondern auch echtes Know-how. Werbeagenturen und Lackierereien zu beauftragen – das kann dagegen fast jeder.

Bei der Deutschen Bahn ist nicht die Hoffnung grün, sondern vor allem die Ablenkung.

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