Tichys Einblick
Branchenreport Autoindustrie Deutschland Mai

Die Autoindustrie erholt sich – aber weniger als erwartet

Die deutsche Autoindustrie kommt allmählich wieder in Fahrt. Die Elektromobilität beflügelt zwar den Markt, aber es zeigen sich auch immer deutlicher die Schwachstellen des Systemwechsels weg vom Verbrenner hin zur Elektromobilität.

Autoterminal im Duisburger Hafen

IMAGO / Rupert Oberhäuser

Die Phase statistischer Verzerrungen in den relevanten Konjunkturdaten für die Automobilindustrie ist noch nicht vorbei – auch wenn sich die Corona-Lage in Deutschland und anderen großen Industrieländern mit zunehmenden Impffortschritten entspannt.

  • Im Lagebericht April wurde an dieser Stelle bereits nachdrücklich darauf hingewiesen, dass das unregelmäßige Auf und Ab der Corona-Lockdowns alle Statistiken temporär verfälscht, je nachdem, ob im Vorjahr oder in 2021 die Autohäuser und Fabriken geöffnet oder geschlossen waren. Auch die April–Daten sind davon noch „infiziert“. Erst ab Mai ff. wird das echte Ausmaß der Konjunkturerholung sichtbar, in der sich die deutsche Autoindustrie nach dem historischen Einbruch im ersten Halbjahr 2020 befindet.
  • Das raschen Vordingen der Elektromobilität beflügelt die Erholung, legt aber auch die von Experten seit langem befürchteten Schwachstellen des Systemwechsel weg vom Verbrenner hin zur Elektromobilität offen, als da sind
    • erhebliche Engpässe in der Lade-Infrastruktur. Laut VDA Verbandspräsidenten Hildegard Müller müssten wöchentlich 2000 Ladepunkte eingerichtet werden, um mit der Expansion der E-Autos Schritt zu halten;
    • hohe Arbeitsplatzverluste allein schon durch die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität – die Folgen des neuen Klimaschutzgesetzes noch gar nicht eingerechnet.  Elektromobilität vernichtet rd. ein Drittel der bisherigen „Verbrenner-Wertschöpfung“ in der Branche. Eine nur wenige Wochen alte Studie des ifo Instituts im Auftrag des Automobilverbandes VDA kommt zu dem Ergebnis, dass bereits bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte verloren gehen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze. 
    • Der Nettoproduktionsindex für die Automobilindustrie lässt erste Anzeichen für das Auseinanderklaffen zwischen produzierten Stückzahlen (zählweise VDA, Pressemitteilung) und (Nettowertschöpfung-) Produktionsindex in der Automobilindustrie (Statistisches Bundesamt) erkennen.
Automobilindustrie im April weiter auf Aufholkurs 

Obwohl die deutsche Wirtschaft in großen Teilen auch noch im April 2021 durch die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung empfindlich gestört war, setzte sich der Erholungstrend fort. In der Autoindustrie zeigte sich im einzelnen folgendes Bild:

Markt im Aufwärtstrend 

  • Im April wurden in Deutschland 229.600 Pkw neu zugelassen. Trotz der bekannten Lockdown Behinderungen wurde das Volumen des Vorjahresmonats, das im Zuge der Corona-Maßnahmen außerordentlich niedrig war, um 90 Prozent übertroffen. Allerdings: Das Vorkrisenniveau ist damit noch nicht wieder erreicht, die aktuellen April-Zulassungen liegen noch um 26 Prozent unter der dem Volumen vom April 2019. In den ersten vier Monaten des laufenden Jahres wurden 886.100 Pkw neu zugelassen. Damit wurde der Vorjahreswert um 8 Prozent überschritten.
  • Die aktuelle Markterholung wird zunehmend wieder von der gewerblichen Nachfrage getragen – das lässt hoffen. Die gewerblichen Zulassungen (65,7 vH) stiegen gegenüber dem Vergleichsmonat um +115,0 Prozent, die der Privaten (34,3 vH) um +55,5 Prozent.
  • Alle deutschen Marken konnten in der Neuzulassungsstatistik Zuwächse verzeichnen, die – je nach Vorjahresbasis – bei Opel (+174,6 Prozent), Mercedes (+158,5 Prozent) und VW (+108,4 Prozent) sogar dreistellig ausfielen. 
  • Allein rd. 40 vH (38,7 vH) des gesamten deutschen Marktes entfielen dabei auf den VW-Konzern und seine Marken, darunter auf die Marke VW (19,6 vH). In den vom KBA ausgewiesenen 13 Fahrzeugsegmenten/-klassen stehen allein 8 Marken des Konzerns jeweils an erster Stelle der meistverkauften Fahrzeuge. 
  • Bei den Importmarken gab es ebenfalls hohe Zuwachsraten zum Vorjahr bis zu + 147,2 Prozent bei Mazda. Eine Ausnahme bildete Tesla mit -23,8 Prozent. Mit einem Neuzulassungsanteil von 5,9 Prozent war Skoda (+88,4 vH) erneut die anteilsstärkste Importmarke.
  • Bereits ein Viertel der Neuzulassungen ( 24,4 vH) waren den SUVs zuzuordnen (+128,5 Prozent). Die Kompaktklasse erreichte nach einer Steigerung um +68,2 Prozent einen Anteil von 17,8 vH und war damit das zweitstärkste Segment vor den Kleinwagen (14,2 vH, +93,2 Prozent).
  • Der Höhenflug des Marktes für Elektroautos hält weiter an.  Mit 23.816 neu zugelassenen Batterie-Elektro-Pkw (BEV) erreichte diese Antriebsart eine deutliche Steigerung von +413,8 Prozent und einen Marktanteil von 10,4 vH. Wiederum wurden mit 26.988 Einheiten (11,8 vH, +380,4 Prozent) mehr Plug-in-Hybride (PHEV) zugelassen als Batterie-E-Autos.  Insgesamt wurden 64.094 Hybrid-Pkw (27,9 vH, +286,7 Prozent), zugelassen.
  • Die Neuzulassungen von Pkw mit Benzinmotoren (90.072) nahmen um +49,4 Prozent zu, so dass ihr Anteil bei 39,2 vH lag. Der Anteil der Diesel-Pkw war mit 50.195 (+29,2 Prozent) weiter rückläufig und sank auf +29,2 vH

Kräftiger Anstieg der Pkw-Nachfrage

Der erwartete Boom der Autobranche nimmt Formen an. Darauf deuten nicht nur Höchstwerte und positive Firmenmeldungen bei den Quartalsergebnissen aller deutscher Hersteller hin, sehr positiv entwickelten sich auch die neuen Aufträge. Aus dem Inland lagen sie im April um 166 Prozent höher (per April: + 10 Prozent), aus dem Ausland um 94 Prozent  (per April: + 34 Prozent) höher als vor einem Jahr.  

Produktion und Export durch Chip-Engpässe behindert

Nachdem im April 2020 die Pkw-Produktion in Deutschland zum Erliegen gekommen war (-97 Prozent), wurden im abgelaufenen Monat 316.200 Pkw gefertigt (+2701 Prozent). Damit lag das Produktionsvolumen im April 2021 aber immer noch um rd. 22 Prozent unter dem Niveau vom April 2019. In den ersten vier Monaten liefen Deutschland  knapp 1,3 Mio. neue Automobile vom Band (+22 Prozent). Weiterhin bleiben Lieferengpässe bei Halbleitern ein Hindernis für einen stärkeren Hochlauf der Produktion.

Im amtlichen Index der Nettoproduktion für die Autoindustrie kommt selbst der gedämpfte Produktionsanstieg kaum zum Ausdruck, da zunehmend mehr Elektroautos gebaut werden und die Produktion von Verbrenner-Motoren entfällt. 

Das gilt aber nur für Deutschland. In China boomt der deutsche Verbrenner. Die Automobilmesse Auto Shanghai zeigte jüngst die Zukunft der New Energy Vehicles. Von den deutschen Fabrikaten wurden in China im ersten Quartal allerdings fast ausschließlich Versionen mit Benzinmotoren gekauft. „Die Autos summen …nicht. Sie brummen. Schätzungsweise 99 Prozent der in China verkauften Neufahrzeuge deutscher Premiummarken und des Volumenherstellers VW werden von einem Acht-, Sechs- oder Vierzylinder angetrieben“ (Helmut Kluger, Automobilwoche).

Auch der Export stieg im April: Es wurden 252.000 Pkw (+1011 Prozent) ins Ausland abgesetzt. Im bisherigen Jahresverlauf wurden 968.500 Pkw (+21 Prozent) an Kunden aus aller Welt ausgeliefert. 

Ausblick

Nach dem bisherigen Jahresverlauf und angesichts der aktuellen Lieferengpässe hat der VDA seine Prognose angepasst: Er rechnet für das Gesamtjahr nun mit einem Anstieg der Pkw-Produktion von 13 Prozent auf 4 Mio. Einheiten. Bislang war der Verband von einem Plus von 20 Prozent auf 4,2 Mio. produzierte Pkw für das Gesamtjahr 2021 ausgegangen.

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