Tichys Einblick
Realität der "Mobilitätswende"

„Dramatisch unterfinanziert“ : Chaos auf den Schienen lässt Unternehmen abwandern

Die Ziele in Sachen Bahnverkehr sind hehr. Die Realität auf deutschen Schienen ist verheerend. Während die Politik von Utopien für 2030 redet, wandern im Jahr 2022 Unternehmer ab.

Bahn-Baustelle an der Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel bei Riegel, Baden-Württemberg

IMAGO / Arnulf Hettrich

Es ist nur eine Schlagzeile dieser Tage. Beliebig rausgesucht. Aber typisch: „Ausbau der Mitte-Deutschland-Schiene: Deutsche Bahn korrigiert Zieltermin nach hinten“. Die Ostthüringer Zeitung berichtet über eine 115 Kilometer lange Teilstrecke bei Weimar. Sie soll zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert werden. Dann könnte die Schnellstrecke Ruhrgebiet–Gera vollständig elektrisch befahren und bis nach Chemnitz ausgebaut werden.

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Bis Ende 2028 sollte der Ausbau abgeschlossen sein. Knapp sechs Jahre, gezählt von jetzt an. Doch so schnell wird in Deutschland nicht gearbeitet. Bis Ende 2030 werde es dauern. Mindestens. Es gäbe viele Gründe, argumentiert die Bahn, allen voran naturschutzrechtliche Auflagen. Ein Beispiel. Aber es steht für eine Praxis in Sachen Bahnausbau, die im deutlichen Widerspruch zu den vollmundigen Versprechungen steht.

Eine Beschleunigungskommission werde es geben, hatte das FDP-geführte Verkehrsministerium angekündigt. Eine schöne Wortschöpfung. Wie so oft unter Christian Lindner und Volker Wissing. Doch wie immer ist die Realität dahinter trister. Die Beschleunigungskommission verzögere sich, berichtet das Handelsblatt – statt im April soll sie nun im Juni tagen. Und apropos Dinge, die sich verzögern: „Ein überzeugendes Konzept für Bus und Bahn“ werde es geben, kündigt das Verkehrsministerium an. Im Herbst. Danach solle berechnet werden, wie viel Geld für das Konzept notwendig ist.

Derzeit investiert die Bundesregierung zu wenig in den Bahnverkehr, bemängelt die „Allianz pro Schiene“. In der Bereinigungssitzung des Bundestages habe die jetzige Regierung den Etat ihrer Vorgänger „nahezu unverändert“ übernommen. Mit diesem Geld ließen sich die Ziele der Bundesregierung unmöglich umsetzen: nämlich das Angebot im Personenverkehr bis 2030 zu verdoppeln und den Anteil im Güterbereich bis dahin um 25 Prozent erhöhen. „Der Deutschlandtakt ist in akuter Gefahr“, warnt Allianz-Geschäftsführer Dirk Flege.

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Das Verkehrsministerium räumt die Probleme ein. In den letzten zwölf Jahren habe es eine „rückläufige Investitionstätigkeit“ gegeben. Sprich: Die Klimaschutzkanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nur wenig Geld für die Schiene übrig. 1,6 Milliarden Euro gebe das Haus im Moment pro Jahr für den Schienenbau aus. Wobei das Geld zum „überwiegenden Teil“ schon für laufende Projekte verplant sei. Immerhin soll der Etat in den nächsten Jahren auf über 2 Milliarden Euro im Jahr steigen – zum Vergleich: Das Neun-Euro-Ticket kostet den Bund 2,5 Milliarden Euro. Für drei Monate.

Mit dem bisherigen Etat sei die Schiene „dramatisch unterfinanziert“, wie der Spiegel jüngst anonym Mitarbeiter des Verkehrsministeriums zitierte. Statt bei etwas über zwei Milliarden Euro sehen sie den Finanzbedarf im Jahr 2030 bei rund sechs Milliarden Euro jährlich. Wegen dieser Mangelfinanzierung müssten wichtige Projekte immer wieder verschoben werden. Zum Beispiel die Verbesserung der Verbindung Frankfurt–Mannheim–Karlsruhe–Basel. Den „Deutschlandtakt“ sehen sie ebenfalls in Gefahr. Dieser Takt soll ermöglichen, dass künftig auf den wichtigsten Strecken des Landes alle halbe Stunde ein Zug startet.

Das Handelsblatt beschreibt die Lage auf den Schienen ebenfalls als „dramatisch“. Das Netz sei marode, es komme zu Unfällen und Störungen. Auch fehle es an Lokomotiven und deren Fahrern. Unternehmer berichteten, dass sie sich immer häufiger gezwungen sähen, Güter auf den LKW umzuladen. Der Umstieg sei dann sogar noch schwer zu organisieren, da die „Bahn Netz“ die Kunden nur schlecht informiere.

Verkehrsminister Wissing redet gerne über das Thema. Verkehrswende und Klimaschutz kommen ihm als Vokabeln flüssig über die Lippen. Nur zu den Problemen, zu den Verzögerungen, zu der Wahrscheinlichkeit, die eigenen Ziele auch einhalten zu können – vielleicht sogar pünktlich. Dazu schweigt Wissing vornehm. Die handwerkliche Arbeit ist nicht mehr das Ding der FDP. Dafür ist sie – andererseits – im Verbreiten von Euphemismen echt gut geworden.

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