Tichys Einblick
Stille Revolution?

Automobilindustrie vollzieht spektakuläre Wende in der Antriebsphilosophie

Die deutsche Automobilindustrie hat still und leise, und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, die entscheidenden Weichen für die Rettung der Verbrennertechnologie und damit auch zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie gestellt.

imago images / Rupert Oberhäuser

Dass die Corona-Krise und der erforderliche Lockdown in der deutschen Automobilindustrie seit Jahresbeginn 2020 eingeschlagen haben wie eine Abrissbirne, hat sich inzwischen herumgesprochen. Und dennoch kann man den Virus nicht für alles verantwortlich machen. So hat sich völlig unabhängig vom Corona-Ausbruch im 1. Quartal 2020 in der Antriebsphilosophie der deutschen Automobilhersteller still und leise Ungeheuerliches zugetragen! Haben sich die Elektroauto-Enthusiasten endgültig durchgesetzt? Werden die Verbrennermotoren und vor allem die Dieseltechnik in den nächsten Jahren unter Beteiligung aller zu Grabe getragen? Also keine Verbrenner aus deutschen Autowerken, seit über 100 Jahren Imageträger deutscher Automobilbaukunst? – Im Gegenteil, weit gefehlt!! Zum Glück!!

Von Konrad Adenauer gibt es eine Anekdote, wonach er bei einer hitzigen Bundestagsdebatte innerhalb eines Tage seine Meinung um 180 Grad gedreht hatte, auf die Vorhaltungen der Opposition geantwortet hat: „Niemand in diesem Hohen Hause, auch die Damen und Herren von der Opposition nicht, kann mich daran hindern, innerhalb 24 Stunden „etwat klüjer jeworden“ zu sein!“

Ähnliches scheint auch den deutschen Automobilhersteller am 09.März 2020 widerfahren zu sein: eine radikale Geisteswende, von der Öffentlichkeit fast völlig unbemerkt, und zwar auf höchster Ebene der hohen Automobilpolitik, beim Verband der Automobilindustrie (VDA), dem Spitzengremium der deutschen Hersteller und Zulieferer, vertreten durch die neue Präsidentin Hildegard Müller.

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Was ist geschehen? Die Einstellung und Fixierung des VDA auf das mögliche technologische Spektrum alternativer Antriebe wurde neu justiert. So als ob die Entscheidung, die künftigen Internationalen Automobilausstellungen nicht mehr wie Jahrzehnte zuvor in Frankfurt, sondern in München abzuhalten, auch in die Köpfe der Branchengrößen eine neue technologische Erleuchtung gebracht hätte. In Anlehnung an Thomas Manns Spruch über das kunstsinnige Jugendstil-München um die Jahrhundertwende: „München leuchtete.“ Offensichtlich auch für die deutschen Automobilhersteller incl. Verbandsspitze in Sachen Antriebstechnik, denn plötzlich treten völlig neue Erkenntnisse ins Scheinwerfer-Licht!

Bislang war das offizielle Verbandsmantra, dass nur Elektroautos, und diese nur auf reiner Batterie-Basis, allenfalls Hybride und auch nicht als Plug-in-Hybride, das mobile Allheilmittel gegen die Klimakrise sein würden. Von verbesserter Verbrennertechnologie, Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen als Umweltalternativen war bislang offiziell keine Rede. Reine Elektroautos, und sonst nichts!

Die Meinungsführerschaft lag dabei offen beim mächtigen VW-Chef Herbert Diess, der sogar von der Politik verlangte, alle anderen Ansätze quasi zu verbieten. Und die staatlichen Fördermilliarden ausschließlich in die Elektromobilität, z.B. Ausbau Tankstellennetz, zu stecken. Ausschließ batteriebetriebene Elektroautos und keine anderen, gleich ob mit optimierten Verbrennermotoren, Brennstoffzelle, Wasserstoff oder synthetischem Treibstoff (E-Fuels) betrieben, würde am besten und effizientesten – tank to wheel – für einen klimaangemessenen Verkehr sorgen.

Eine Auffassung, die auch innerhalb des Verbandspräsidiums für viel Ärger sorgte. Weil diese einseitige Technologie-Position ausschließlich von Volkswagen vertreten wurde, was schließlich bei VW plakativ in die Umrüstung von zwei Werken in Emden und Zwickau rein auf den Bau von Elektroautos seinen Niederschlag fand.

Nach dem Motto: Verbrenner raus, E-Autos rein! Von Technologie- Offenheit in der Wolfsburger nach-Piech Ära keine Rede mehr. Dabei hatte gerade Piech den legendären Spruch getan, dass ein VW -Drei-Liter Diesel jedem Elektroauto umweltmäßig haushoch überlegen sei. Andere deutsche Hersteller, vor allem BMW, waren da weit technologieoffener und nicht so einseitig auf batteriebetriebene E-Mobilität fixiert.

Und nun diese Wende! Kolossal! Am 9. März, mitten im Toben der Corona-Krise, ließ der VDA in einer Pressemitteilung verlauten, dass Wasserstoff und E-Fuels wichtige Bausteine für klimaneutralen Verkehr seien. Der Verband konzedierte dabei, dass die Bundesregierung mit den Plänen für eine Nationale Wasserstoffstrategie zwar in die richtige Richtung ziele, dass diese Pläne aber noch nicht ambitioniert genug seien. Regenerative Kraftstoffe könnten Elektromobilität sinnvoll ergänzen und für eine Verbesserung der Klimabilanz der Bestandsflotte sorgen.

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Das waren völlig neue Töne. Von den 47 Millionen Verbrenner-Altbeständen auf deutschen Straßen war bisher nie die Rede. Selbst wenn, wie von der Bundesregierung als Zwischenziel angestrebt, bis 2030 zwischen sieben bis 10,5 Millionen Elektroautos in den Verkehr gebracht werden würden, besteht die restliche Autoflotte in Deutschland immer noch zu 75 Prozent aus Verbrennern. Die allerdings mit jedem neuen Jahrgang sauberer und umweltfreundlicher werden, wie die jüngsten Emissionstrends des KBA zeigen. Inzwischen werden in allen deutschen Städten die EU- Emissionsgrenzwerte eingehalten, – woran natürlich auch der Lockdown im Verkehr seinen Anteil hatte.

Allein um diese ehrgeizigen Anteilsziele bei E-Autos zu erreichen und die genannte Bandbreite abzudecken, müssen die dann vorhandenen Kapazitäten zum Bau von Elektroautos in Deutschland einschließlich der geplanten Tesla Fabrik in Brandenburg drei Jahre bei Volllast arbeiten, vorausgesetzt die dafür notwendigen Batterien können von den asiatischen Weltmarktführern geliefert werden.

Zwar setzt sich der VDA weiterhin dafür ein, den Hochlauf der Elektromobiliät zu beschleunigen, fordert die betreffenden Branchen gleichzeitig aber auf, „… schon jetzt zusätzlich die Weichen zu stellen, damit nachhaltige, regenerative Kraftstoffe rechtzeitig zur Verfügung stehen.“ Und meint damit wohl „recht zeitig“! Dazu sagt der VDA: „Der Einsatz von Wasserstoff und regenerativen Kraftstoffen kann die Elektromobiliät in bestimmten Bereichen ergänzen. Wird eine globale Produktion synthetischer Kraftstoffe zugrunde gelegt, ist die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie kein limitierender Faktor.“

Im Klartext heißt das: Am Ende des Tages steht ausreichend regenerativer und umweltfreundlich hergestellt synthetischer Kraftstoff zur Verfügung, um Elektromobiliät in der Übergangsphase zunächst zu ergänzen. Und dann in späterer Zukunft sogar sinnvoll abzulösen.

Damit ist der Vorwurf an den Verband und die Hersteller, in der Vergangenheit stehst einseitig auf Elektromobilität gesetzt zu haben, vom Eis. Um das zu untermauern legt der VDA nach: »Die Voraussetzung dafür ist der zügige Aufbau von Produktionsstätten für Wasserstoff und E-Fuels. Mehr noch: „Die Weichenstellung dazu in der derzeit durch die Bundesregierung diskutierten Nationalen Wasserstoffstrategie ist ein richtiger erster Schritt. Aber der Entwurf geht noch nicht weit genug. Es fehlen darin konkrete Maßnahmen, wie regenerative Kraftstoffe in der benötigten Menge rasch zum Einsatz kommen.“«

Der VDA hat dabei konkrete Ziele vor Augen. Er schlägt bis 2030 eine Einsatzquote von dreiundzwanzig Prozent erneuerbarer Kraftstoffe bis 2030 vor, davon sollten sogar eine Mindestquote von fünf Prozent an Wasserstoff und E-Fuels bestehen.

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Damit hat die deutsche Automobilindustrie still und leise, und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, die entscheidenden Weichen für die Rettung der Verbrennertechnologie und damit auch zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie gestellt. Und die beruht bekanntlich auf der ausgefeilten Verbrennertechnologie. Mit dem Plädoyer für eine sinnvolle Ergänzung der Elektromobiliät durch synthetische Kraftstoffe, CO2-neutrale Treibstoffe, hat der VDA die Zukunft der Verbrennertechnologie – und von zigtausenden Arbeitsplätzen in der Branche – sichergestellt.

Doch Häme für diesen Meinungswandel wäre völlig fehl am Platz. Im Gegenteil Respekt und Hochachtung. Im Ringen um den besten Weg zu einer umweltfreundlichen Mobilität gibt es keinen „Schmerz-“, sprich kostenfreien Königsweg. Und der ist sicher kein Computer auf Rädern namens Elektroauto, das nur unter großer Umweltbelastung produziert und betrieben werden kann. Sondern ein Auto mit Verbrennermotor, der mit „grünem“ Treibstoff, sprich E-Fuel, befeuert wird. Und der der deutschen Automobilindustrie ihre Spitzenstellung im internationalen Branchenwettbewerb sichert, und damit zig tausende Arbeitsplätze und Wohlstand.

Vor diesem Hintergrund müssen sich der VDA und die deutschen Hersteller nicht grämen, kein Kaufprämien-Bonbon aus dem jüngsten Konjunkturpaket erhalten zu haben; das wäre ohnehin nur ein Strohfeuer vorgezogener Käufe gewesen, die dann 2021 fehlten.

Sie wurden dennoch reichlich bedacht: Viel zukunftsträchtiger für die Mobilität von Morgen sind die vielen Milliarden, die die Bundesregierung – fast versteckt – für die Förderung von Wasserstoff als Antriebsenergie und sonnige technologische Innovationen (Ausbau 5G Netzt, Batteriezellen etc.) „wummsen“ will.

Das ist die Zukunft für die Branche und ihre Beschäftigten, keine Kaufprämien.

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