Tichys Einblick
Volkswagen als Nummer eins

Macht und Ohnmacht in der Autoindustrie

Häufig wird den deutschen Autoherstellern eine unheilvolle Nähe zur Politik unterstellt. Die kann aber auch heilsam sein. Der eigentlich Souverän auf dem Auto- wie auf jedem anderen Markt bleibt der Konsument. Allein er entscheidet letztlich, welcher Konzern wirklich mächtig ist: in Deutschland vor allem VW.

IMAGO / Steinach

Macht ist vergänglich, auch in der Autoindustrie. Der Fall von Ex-VW-Chef Martin Winterkorn macht das sehr deutlich – eine Warnung für alle Wirtschafts-Mächtigen. Winterkorn war auf dem Höhepunkt seiner Macht Herrscher über mehr als 600.000 Mitarbeiter und 12 selbständige Automobilunternehmen mit allem, was auf Land Räder hatte, und einem Jahressalär im ansehnlichen zweistelligen Millionenbereich. In dem Reich, das er mit einer Verdopplung des Konzern-Absatzes auf 10 Millionen Automobile in seiner Amtszeit selber geschaffen hat – so viel Fairness muss sein – ging die „Sonne niemals unter“ – wobei Winterkorn einem on-dit zufolge Sonnenaufgänge meist im Flieger erlebte beim Studium von Vorstands-Vorlagen. 

Erst Ende März war im Aufsichtsrat die Grundsatzentscheidung gefallen, Winterkorn und einige seiner Kollegen nach „Dieselgate“ finanziell zur Mitverantwortung zu ziehen. Nach nur 10 Wochen Verhandlungen liegt das Ergebnis jetzt vor: Martin Winterkorn und seine früheren Kollegen und deren Versicherungen zahlen 288 Millionen an Volkswagen als Ersatz für durch den Abgasskandal entstandene Schäden. Sowohl die persönlichen Zahlungen als auch die versicherte Abdeckung ergäben „mit Abstand die höchste Summe, die ein solches Konsortium in Deutschland jemals auf den Tisch gelegt hat“, hieß es laut Automobilwoche aus Kreisen der Unterhändler. In der Tat eine Rekordsumme, angesichts der Dimension der Dieselkrise aber gleichzeitig lediglich ein eher symbolischer Betrag angesichts des Gesamtschadens, der auf 32 Milliarden Euro beziffert wird. So soll zumindest ein Teil der Mitverantwortung für die Abgasaffäre abgegolten werden, die 2015 ans Licht kam.

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Ein Großteil der Gesamtsumme von 288 Millionen entfällt dabei auf spezialisierte Haftpflichtversicherungen, die VW für seine Manager abgeschlossen hatte. Winterkorn persönlich zahlt 11,2 Millionen Euro., etwas weniger als frühere Jahresbezüge. Ex-Audi-Chef und -VW-Konzernvorstand Rupert Stadler soll selbst 4,1 Millionen Euro überweisen. Bei ihm und Winterkorn geht es um die Verletzung aktienrechtlicher Sorgfaltspflichten. Der frühere Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz steuert zudem 1,5 Millionen Euro bei, der ehemalige Audi-Manager Stefan Knirsch eine Million Euro. Den Hauptbetrag zahlen die Versicherungen mit 270 Millionen Euro.

Persönliche Macht hat also Grenzen. Das gilt auch in Bezug auf die Politik. Häufig wird der Industrie und vor allem den deutschen Autoherstellern eine unheilvolle Nähe zur Politik unterstellt. Wobei stets der – nie bewiesene oder beweisbare – Verdacht im Raum steht, die Hersteller würden zum Beispiel Treibstoffsteuer oder Abgas-Emissionsgrenzwerte immer in ihrem Sinne, nicht in dem des Gemeinwohls beeinflussen. Die legalen „Manipulations-Fenster“ bei der CO2-Messung der Autoabgase nur auf dem Prüfstand bis zur global verbindlichen Einführung des „Worldwide Harmonised Light-Duty Vehicles Test Procedure“ (WLTP),  was so viel bedeutet wie „weltweit harmonisiertes Testverfahren für leichtgewichtige Kraftfahrzeuge), haben diesen Verdacht verstärkt. Der Dieselskandal von und bei VW war nur die Spitze des Eisbergs. 

Auch die zahlreichen personellen Wechsel aus den Vorzimmern und Schaltstellen der politischen Macht in der Regierung hinein in die Macht- Schaltstellen der Autokonzerne (z.B. Eckart Peter Hans von Klaeden, Daimler; oder vormals Horst Teltschik, BMW) oder des Automobilverbands (VDA;  wie Matthias Wissmann oder aktuell Hildegard Müller) deuten auf gut ausgebaute informelle Lobby-Kanäle hin.  Ganz zu schwiegen von den prachtvollen Lobby-Außenrepräsentanzen aller deutscher Autokonzerne in den Schaltstellen der politischen Macht in Brüssel und Berlin. 

Allen, die Böses darüber denken, muss der Wahrheit wegen allerdings auch entgegengehalten werden, dass eine solche intime Verflechtung von Wirtschaft und Politik in den USA Tradition hat und nichts Ehrenrühriges darstellt. Und dass daraus für Wirtschaft und Gesellschaft durchaus etwas Gutes herauskommen kann, wie die in der Weltfinanzkrise auf Initiative vom damaligen VDA Präsidenten Wissmann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei der Regierung bewirkte Abwrackprämie für Neufahrzeuge. Der totale Absturz der deutschen Autoindustrie wurde dadurch 2008/2009 verhindert. So etwas sollte, bei aller automobilen Lobby-Kritik, nicht in Vergessenheit geraten. 

Dass die deutschen Autokonzerne wirtschaftliche und damit politische Schwergewichte sind, steht außer Frage. Ein Anhaltspunkt für die politische Macht gewinnt der Ökonom aus den Marktdaten. Denn anhand der nüchternen Marktzahlen lässt sich ableiten, wem der Konsument als eigentlicher Souverän im marktwirtschaftlichen Geschehen das meiste zutraut. Und am meisten abkauft!

Einen guten Anhaltspunkt für die ökonomische „Marktmacht“ liefert monatlich das  Kraftfahrt-Bundesamt mit den Zulassungsdaten zum Thema „Die Nummer 1 der Segmente und die Nummer 1 der alternativen Antriebe“  Das KBA teilt dabei den deutschen Automobilmarkt in 14 Fahrzeugsegmente auf und beobachtet, welcher Hersteller die Nr. 1 im jeweiligen Segement ist. 

Über die Zeitachse betrachtet sind die Ergebnisse ebenso verblüffend wie in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.

Dazu ein Auszug aus der Pressemitteilung 26/2021 (Flensburg, 7. Juni 2021):

  • Der Volkswagen Konzern ist der alles dominierende Autohersteller in Deutschland (und auch in Europa): in 10 von 14 Fahrzeugsegmenten (71 vH)  hält  eine Automarke von Volkswagen aktuell die Spitzenposition. In der Vergangenheit lediglich gelegentlich unterbrochen durch BMW und Daimler.
  • Der deutsche Markt ist fest in deutscher Hand: Rechnet man Opel noch zu deutschen Marken so werden lediglich zwei weniger bedeutende Segmente durch ausländische Hersteller dominiert (Peugeot und Fiat).
  • Im Berichtsmonat Mai 2021 gab es drei Führungswechsel. Der Porsche Taycan wies im Segment der Oberklasse die meisten Neuzulassungen auf, bei den Mini-Vans war es der Peugeot 3008 und bei den Großraum-Vans dominierte der VW Touran.
    In allen weiteren Segmenten zeigten sich die zulassungsstärksten Modelle des Vormonats.

Wer jetzt geglaubt hat, die deutschen Hersteller wären aufgrund der oft unterstellten Schlafmützigkeit bei alternativen, sprich hauptsächlich elektrischen Antrieben im Hintertreffen, sieht sich getäuscht. Aufgrund der dynamischen Entwicklung auf dem Gebiet alternativer Antriebe weist das KBA in seiner monatlichen Pressemitteilung zur Nummer 1 der Segmente seit Februar 2021 auch das zulassungsstärkste Modell nach ausgewählten alternativen Antriebsarten aus. Dazu folgendes Bild:

  • In der Reihung der zulassungsstärksten Modelle stand bei den Batterie-Elektro (BEV) -Fahrzeugen erneut der VW Up mit 2.819 Einheiten an erster Stelle. bei den Plug-In Hybriden (PHEV) wies der VW Golf die meisten Neuzulassungen auf. 
  • Zulassungsstärkstes Brennstoffzellenfahrzeug war erneut der Toyota Mirai – mit 24 von 33 (!) Einheiten. 
  • Die Hybriden (ohne Plug-in Hybrid) wurden vom AUDI A4, S4, RS4 und die Fahrzeuge mit der Kraftstoffart Gas (insgesamt) vom DACIA Sandero angeführt. 
  • Für die Antriebsart Wasserstoff erfolgte keine Neuzulassung.
  • Der Anteil alternativer Antriebe am deutschen Markt ist inzwischen mit 92.320 auf 40 vH gestiegen. 
  • Die Marke Tesla hat im Mai mit 2.744 Neuzulassungen an BEV-Zulassungen einen Anteil von 10,2 vH, an den alternativen Antrieben einen Anteil von 2,9 vH, am Markt insgesamt von 1,2 vH.

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