Tichys Einblick
Der Marktausblick

Zinsfurcht, Netflix-Desaster, Lockdown-Effekte

Nach den Rekordhochs Ende Dezember haben die Aktienmärkte bis Anfang März deutlich korrigiert. Zuerst lasteten gestiegene Anleiherenditen und Zinsängste auf dem Leitindex, Ende Februar kam der Krieg in der Ukraine hinzu. Seither haben sich viele Märkte stark erholt, auch wenn die abgelaufene Woche eher enttäuschend endete. Ist das nun die Zeit für die "Buy the Dip"-Strategie?

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„To buy the dip“ ist ein Contrarian-Muster -also eine Aktie wird gekauft, nachdem sie an Wert verloren hat. Man hofft, bei einem möglichen Wiederanstieg der Aktie umso grössere Gewinne einzufahren. So zu investieren hat den Vorteil, dass der Aktieneinstieg nicht zum Allzeithoch erfolgt. Allerdings ist nicht klar, wie gross der Absturz der Aktie sein muss, um in der Folge einen ertragreichen Profit zu erzielen. „Buy-the-Dip“ ist also durchaus mit Unsicherheit behaftet. Aufgrund der aktuellen Gemengelage – explodierende Inflation, Krieg, Lockdowns, Zinswende – gilt das gerade für dieses Jahr.

In der Tat ist es sehr riskant, bei einem „dip“ davon auszugehen, dass sich die Aktie schon bald wieder erholen könnte. Genau eine solche Fehleinschätzung passierte Hedgefondsmanager Bill Ackman dieser Tage. Ackman investierte vor einigen Wochen nach einem deutlichen Kursrückgang, da er mit einer schnellen Erholung rechnete. Nachdem die Netflix-Aktie jedoch nach enttäuschenden Q1-Zahlen in der vergangenen dWoche regelrecht abstürzte, warf Ackman schliesslich seine Anteile auf den Markt und verlor damit 435 Millionen Dollar.

Dass der US-Aktienmarkt vor dem Wochenende in die Knie ging, hatte aber nur zum kleinsten Teil mit der Netflix-Schwäche zu tun. Vielmehr weiteten sich die Verluste unter dem Eindruck eines sich abzeichnenden größeren Zinsanstiegs deutlich aus. US-Notenbankchef Jerome Powell hatte Mitte der Woche über einen großen Zinsschritt auf der nächsten Sitzung der Fed Anfang Mai gesprochen und damit die gute Marktstimmung kippen lassen.

Der Leitindex Dow Jones Industrial fiel am Freitag jedenfalls um 2,8 Prozent auf 33.811 Punkte, womit er auf Wochensicht ein Minus von rund 1,9 Prozent verbuchte. Der marktbreite S&P 500 verlor zum Wochenschluss ebenfalls 2,8 Prozent auf 4.272 Zähler. Um 2,7 Prozent auf 13.357 Punkte fiel der technologielastige NASDAQ 100, dessen Wochenbilanz mit einem Verlust von rund 3,9 Prozent ebenfalls tiefrot ausfällt.

„Mit weiter steigenden Zinsen steigt auch der Druck auf den Aktienmarkt, denn wer attraktive Renditen ohne Risiko erzielen kann, macht in diesem unsicheren Umfeld einen großen Bogen um die einst alternativlosen Anlagen“, sagte Analyst Konstantin Oldenburger vom Broker CMC Markets gegenüber dpa. Für zehnjährige Staatsanleihen bekomme man schon wieder fast drei Prozent, was nicht nur das Niveau von 2018 bedeute, sondern auch einen bereits vier Jahrzehnte andauernden Abwärtstrend bei den Zinsen zu brechen drohe. Am Mittwoch hatte die Rendite für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit mit knapp drei Prozent den höchsten Stand seit Ende 2018 erreicht.

Die Aktien von Verizon verloren am Freitag 5,6 Prozent, nachdem der Telekomkonzern angesichts eines harschen Wettbewerbs für das laufende Jahr vorsichtigere Erwartungen als bisher formuliert hatte. Im ersten Quartal musste Verizon zudem unter dem Strich den Verlust von 292.000 Mobilfunk-Vertragskunden verkraften. Konkurrent AT&T hatte hingegen am Vortag ein deutliches Plus von netto 691.000 neuen Verträgen gemeldet. Schwächer als Verizon waren am Freitag im Dow nur noch die Titel des Baumaschinenherstellers Caterpillar mit minus sieben Prozent. Der Ölfelddienstleister Schlumberger überzeugte dagegen die Anleger mit seinem Zwischenbericht und überraschte zudem mit einer Dividendenanhebung um 40 Prozent. Die Aktien gewannen 2,5 Prozent.

Die Furcht vor steigenden Zinsen hatte die Anleger zuvor auch bereits in Frankfurt in die Defensive getrieben. Angesichts der hohen Inflation und konjunktureller Risiken kletterte die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen auf den höchsten Stand seit fast sieben Jahren. Hinzu kam mit dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich am Sonntag ein weiterer Risikofaktor. Ein Sieg von Marine Le Pen könne „zu erheblichen Verwerfungen an den Finanzmärkten führen“, warnte die Landesbank Helaba. Der Dax büßte nach zwei starken Börsentagen jedenfalls 2,5 Prozent auf 14.142 Punkte ein. Damit waren die zwischenzeitlichen Gewinne auf Wochensicht wieder weg. Auch in der zweiten Börsenreihe gaben die Aktienkurse nach: Der MDax der mittelgroßen Werte verlor zwei Prozent auf 30.800 Zähler.

Als besonders stark von steigenden Zinsen betroffen gelten technologielastige Wachstumswerte. Vor diesem Hintergrund fanden sich Delivery Hero, Zalando oder HelloFresh mit bis zu minus 5,7 Prozent unter den Verlierern im Dax.

Doch es gab auch bessere Nachrichten: Der Handelskonzern Metro blickt positiver auf das laufende Geschäftsjahr, was der Aktie einen Kursgewinn von gut fünf Prozent verschaffte. Covestro waren im Leitindex nur optisch das Schlusslicht, denn die Titel des Kunststoffkonzerns wurden ex Dividende (3,40€) gehandelt.

Zu Beginn des Jahres hatte es noch so ausgesehen, als ob sich die Situation im Welthandel langsam entspannen werde. Vor allem der Lockdown in der Wirtschaftsmetropole Schanghai bereiten derzeit erhebliche Kopfschmerzen. So sind in den vergangenen Tagen die Ausfuhren im Vergleich mit der Entwicklung in anderen chinesischen Häfen drastisch zurückgegangen. Die geringeren Exporte werden in Europa aber erst in einigen Wochen richtig spürbar werden, weil die Frachtschiffe aus Asien einige Zeit benötigen, um in Rotterdam oder Hamburg anzukommen.

Die rigorosen Covid-Massnahmen Chinas wirken sich aber nicht nur auf die Logistik aus, sondern auch auf die Produktion. Fabriken werden wegen des Lockdowns geschlossen, was wiederum zu Turbulenzen in internationalen Wertschöpfungsketten führt. Ökonomen des Beratungsunternehmens Capital Economics nehmen – wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet – zwar an, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der derzeitigen Omikron-Welle geringer als diejenigen der Delta-Welle ausfallen werden; wenn der Lockdown aber länger andauere, werde dies zunächst vor allem in anderen asiatischen Ländern wie Kambodscha oder Vietnam spürbar werden, was wiederum indirekt auch Europa und die USA treffen könne.

Neben den chinesischen Lockdowns hinterlässt die russische Invasion in der Ukraine ihre Spuren in den internationalen Lieferketten. So ist der ukrainische Schiffshandel fast völlig zum Erliegen gekommen. Am Weltmarkt macht sich dies besonders in einem niedrigeren Angebot an landwirtschaftlichen Produkten bemerkbar. Lieferengpässe könnte es auch bei Kabelbäumen für die Automobilindustrie und beim Edelgas Neon geben, das für die Herstellung von Halbleitern verwendet wird. Bei beiden Produkten hat die Ukraine eine grössere Bedeutung. Zudem könnten Palladium und Rhodium knapp werden, beides Metalle, bei denen Russland eine starke Marktstellung hat. Der grösste Effekt erfolgt aber indirekt über gestiegene Rohstoffpreise.