Tichys Einblick
Der Marktausblick

Mehrheit der Börsianer glaubt an rasche Erholung

Einen veritablen Kursschub hat der deutsche Leitindex erfahren, gleich reihenweise markierte der DAX in dieser Woche neue Allzeithochs. Kaum zu glauben, dass der Index vor einem Jahr noch bei etwa 10.400 Zählern stand, nachdem die Börsen in aller Welt im Lockdown-Crash abstürzten. Jetzt sind es bloß noch rund drei Prozent bis zur 15.000-Punkte-Marke.

© Getty Images

Charttechnisch ist der Weg nach oben frei, mal schauen, wie weit die Reise geht. Immerhin trauen Analysten laut Datendienst Refinitiv deutschen Unternehmen nach den Einbrüchen 2020 im laufenden Geschäftsjahr im Schnitt fast 65 Prozent Gewinnwachstum zu. Während die Dividenden mau ausfallen, steigt die Zuversicht, dass die Konjunktur anspringt. Das führt dazu, das der Kurs-DAX, der die Ausschüttungen nicht intus hat, seit Wochen stärker zulegt als der DAX und inzwischen auf Jahressicht mit dem breiten US-Index S & P 500 gleichgezogen hat. Nicht absehbar, wie groß das Momentum des Leitindex wäre, wenn auch die Impfquote in Deutschland mithalten würde. Die OECD erwartet, dass die Wirtschaftsleistung der USA bereits im Sommer das Vor-Corona-Niveau erreicht — in Europa soll das wegen des Impfdesasters erst Ende 2022 der Fall sein.

Das Muster der vergangenen Tage wiederholte sich auch am Freitag am US-Aktienmarkt: Ein erneut starker Renditeanstieg am Anleihemarkt brachte Technologiewerte unter Druck, während der Dow Jones Industrial seine Rekordjagd den fünften Tag in Folge fortsetzte. Der Leitindex verbuchte am Ende des Tages ein Plus von 0,9 Prozent auf 32.779 Punkte und krönte damit eine starke Woche, die ihm einen Zuwachs von mehr als vier Prozent bescherte.

In Standardwerten, Zyklikern und Aktien der „Old Economy“ sehen Anleger derzeit Aufholpotenzial. Die steigenden Renditen machen dagegen den hoch bewerteten Technologie-Aktien seit einiger Zeit zu schaffen. Am Freitag verlor der NASDAQ 100 0,9 Prozent auf 12.937 Punkte. Auch im S&P 500 bremsten die Techwerte, der Index kam mit plus 0,1 Prozent auf 3.943 Punkte nur wenig voran. Verbuchten Techwerte wie Salesforce, Apple, Intel oder Microsoft im Dow Verluste zwischen 1,7 und 0,6 Prozent, waren vorne mit plus 6,8 Prozent erneut die Papiere des Flugzeugbauers Boeing als Repräsentant der „Old Economy“. Caterpillar als zyklischer Wert aus dem Bausektor gewannen hinter Boeing 4,2 Prozent.

Boeing holte nach der Wiederzulassung seines Unglücksjets 737 Max eine weitere Bestellung herein. Die Investmentgesellschaft „777 Partners“ unterzeichnete einen Vertrag über 24 Jets dieses Typs. Die Aktien profitieren von der Hoffnung der Luftfahrtbranche auf ein baldiges Ende der Corona-Krise. Allein in dieser Woche haben sie mehr als ein Fünftel gewonnen.

Der Dax hat seine Rekordserie der vergangenen vier Tage am Freitag dagegen nicht fortsetzen können. Zum Handelsschluss sank der deutsche Leitindex um 0,5 Prozent auf 14.502 Punkte. Gewinnmitnahmen sollten niemanden überraschen, beruhigte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners. Jedoch bleibe die Grundstimmung gut. Genährt werde die Zuversicht durch die Unterzeichnung der billionenschweren Corona-Staatshilfen durch US-Präsident Joe Biden und die beruhigenden Worte der Europäischen Zentralbank (EZB).

Auf Unternehmensseite stand Daimler im Mittelpunkt des Interesses der Marktteilnehmer. Der französische Partner Renault verkaufte ein milliardenschweres Aktienpaket an dem Stuttgarter Autobauer zu 69,50 Euro je Aktie. Analyst Philippe Houchois von der Investmentbank Jefferies kommentierte, es sei enttäuschend, dass Renault erneut ertragsstarke Beteiligungen verkaufen müsse, um die eigene Bilanz aufzubessern. Daimler-Anteilsscheine fielen zeitweise um 2,3 Prozent.

Zehn Jahre ist es her, dass nach dem Reaktorunfall im Zuge eines Taunamis vor dem japanischen Fukushima die Kanzlerin in einer einsamen Entscheidung beschloss, der Kernenergie in Deutschland den Rücken zu kehren. Nur die Schweiz vollzog ebenfalls eine derart radikale Kehrtwende. So sind derzeit 89 neue Kernkraftreaktoren weltweit geplant, davon 44 allein in China. Eine Renaissance erlebt die Kernkraft aber zuletzt auch infolge der Diskussion über die Möglichkeiten, den Klimawandel zu stoppen. Viele Experten sehen in der Atomkraft eine geeignete Technologie, um den CO2-Ausstoß in der Energieerzeugung zu senken. Prominente Befürworter sind etwa Ex-Microsoft-Boss Bill Gates, aber auch Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron und US-Präsident Joe Biden, die alle den Nutzen der Kernkraft in umweltpolitischer Hinsicht betonen. Sogar Greta Thunberg (kein Witz) ist dafür. Der Bedarf an Uran dürfte daher in Zukunft wohl eher steigen als sinken. Davon profitieren Unternehmen, die Uran fördern und verarbeiten. So haben die Aktien von Energy Fuels, Cameco und Uranium Energy in den vergangenen Monaten kräftig zugelegt, nachdem sie lange unter Druck standen.

Anleger warten mit Spannung auf die Effekte des beschlossenen US-Hilfspakets in Höhe von 1,9 Billionen US-Dollar auf Börse, Konjunktur und die weitere
Notenbankpolitik. Die Maßnahmen umfassen dabei direkte Zahlungen in Höhe von 1400 US-Dollar an jeden Bürger. Die große Frage ist, wie viel Geld die US-Amerikaner direkt in den Konsum fließen lassen und wie viel sie auf die hohe Kante legen. Denn je mehr von den Schecks ausgegeben werden, desto mehr nimmt die US-Wirtschaft Fahrt auf und desto weniger bedarf es auch der weiteren geldpolitischen Unterstützung der Fed. Hält die Fed aber an ihrer ultra-expansiven Geldpolitik fest und würden gleichzeitig große Teile der Hilfszahlungen in den privaten Konsum fließen, könnte die Gefahr einer Überhitzung der US-Volkswirtschaft drohen, meint Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe. Das würde bedeuten, die US-Notenbank müsste eine abrupte Kehrtwende vollziehen, eventuell die Leitzinsen erhöhen. Aber zumindest von Expertenseite gibt es Entwarnung: Nach den Berechnungen der Ökonomen der Universität von Pennsylvania würden 73 Prozent der verteilten Mittel gespart und nur 27 Prozent konsumiert. „Wir gehen davon aus, dass die Hilfszahlungen zu einem großen Teil in zusätzliche Ersparnis münden werden“, so Gitzel. Soll heißen: Eine Überhitzung der US-Volkswirtschaft ist unter diesem Szenario nicht zu erwarten.

Hohe Aktienbewertungen und günstige Kreditfinanzierungen treiben das Übernahmekarussell an. Zwei Deals sorgten für Furore. So will der US-Finanzinvestor Apollo sich den Lebensversicherungs-Abwickler Athene ganz einverleiben. Der Konzern käme damit auf einen Gesamtwert von rund 30 Milliarden US-Dollar. Zudem legt der US-Industriekonzern General Electric seine Flugzeugleasing-Sparte Gecas mit der des irischen Konkurrenten Aercap zusammen mit einem Transaktionsvolumen von mehr als 30 Milliarden Dollar.


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