Tichys Einblick
Allzeithoch in Reichweite

Krisenbarometer Gold: Warum der Preis auf Dauer weiter steigen dürfte

Der Goldpreis hat seit Anfang April um über 10 Prozent zugelegt. Vieles deutet auf weitere Anstiege hin: Die Nachfrage ist ungebrochen, drängende wirtschaftliche Probleme sind ungelöst.

IMAGO / Science Photo Library

Am Donnerstag schlug der Goldpreis innerhalb kurzer Zeit um 20 US-Dollar nach oben aus. Gerade hatte die EZB verkündet, ihre ultralaxe Geldpolitik fortführen zu wollen. Beim 1,85 Billionen schweren PEPP-Programm erwarte man sogar, dass sich das Tempo der Anleihekäufe beschleunige, teilte die Notenbank mit. Derzeit bewegt sich der Goldkurs um die 1900 US-Dollar-Marke – nicht weit entfernt vom Allzeithoch von rund 2060 US-Dollar vom vergangenen August. Der Preis dürfte auf Dauer wohl noch höher steigen. Eine Prognose sei zwar mit großen Unsicherheiten behaftet, sagt etwa der Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel Thorsten Polleit auf die Frage, wo er den Kurs zum Jahresende verorte, aber „ich wäre nicht überrascht, wenn der Goldpreis weit über der Marke von 2000 US-Dollar pro Feinunze handelt“. Auch der Edelmetallkenner Dimitri Speck rechnet „für mehrere Jahre mit einem nachhaltig steigenden Goldpreis“.

Polleit und Speck begründen das mit der massiven Geldschöpfung der Zentralbanken, die die Kaufkraft der Währungen herabsetzt. Das weltweit hohe Schuldenniveau und die nach unten manipulierten Niedrigzinsen seien „historisch einmalig“ und verdeutlichten die desolate Verfassung des Finanzsystems, sagt der Marktanalyst Speck und erklärt: „Das wird den Goldpreis noch einige Jahre anheben, bis die Überschuldung – wahrscheinlich im Anschluss an eine starke Inflation – gesunken ist.“

Durch die Geldschöpfung aus dem Nichts sind die globalen Schulden auf über 360 Prozent des Welt-Bruttoinlandsprodukts angestiegen. Das ist nahe am Allzeithoch, heißt es in einem Papier des Institute of International Finance. Insgesamt betrugen sie 288 Billionen US-Dollar im ersten Quartal. Sollte etwa die EZB die Zinsen anheben oder die Geldmenge nicht ausreichend genug ausweiten, dürfte das viele Unternehmen in Zahlungsschwierigkeiten bringen. In der nachfolgenden Rezession könnte eine Flucht in die Sachwerte einsetzen, was den Goldpreis stark nach oben treiben würde.

Die Nachfrage ist ohnehin hoch. Eine Befragung von 2000 Bürgern vom Mai fand heraus, dass die Deutschen zunehmend in Gold investieren. Der Anteil der Erwachsenen, die Gold als physische Wertanlage in Form von Barren oder Münzen besitzen, sei im vergangenen Jahr auf 41,7 Prozent gestiegen, heißt es in der repräsentativen Studie von einem Forschungsinstitut der Steinbeis-Hochschule Berlin und der Reisebank. Gold hat zu Corona-Zeiten deutlich mehr an Attraktivität gewonnen als Immobilien oder Bitcoin. Besonders die zwischen 1995 und 2010 Geborenen setzten auf das Edelmetall: 23,3 Prozent von ihnen kauften im vergangenen Jahr Gold – bei den Älteren waren es nur 15,6 Prozent.
Die Deutsche Börse in Frankfurt meldete gar Rekordeinlagerungen. Die Goldbestände der Inhaberschuldverschreibung Xetra-Gold seien im vergangenen Jahr auf 232 Tonnen angestiegen, teilte sie mit. Das war ein Anstieg um knapp 7 Prozent. Institutionelle wie private Anleger hätten den „Sachwert Gold wiederentdeckt“, sagte der Geschäftsführer Steffen Orben. Selbst die Zentralbanken wollen offenbar Gold kaufen. Laut einer aktuellen Umfrage des World Gold Council unter 56 Notenbanken planen 21 Prozent, ihre Goldreserven aufzustocken. Im Jahr 2019 waren es noch 8 Prozent gewesen. Notenbanken aus Entwicklungs- oder Schwellenländern wollten dabei öfters ihre Bestände aufstocken als Institute aus entwickelten Ländern.

Der „In Gold We Trust-Report“ des Liechtensteiner Goldhändlers Incrementum verweist auf die demographische Entwicklung, um zu begründen, warum der Goldpreis steigen dürfte. Seit dem Jahr 1991 seien über 200 Millionen Osteuropäer aus der sozialistischen Planwirtschaft in die internationale Arbeitsteilung eingegliedert worden. Gleichzeitig sei der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung in China rasant gestiegen. Es habe also weniger Alte und Junge gegeben, die von den Arbeitenden unterstützt werden mussten. Beide Effekte erhöhten die weltweite Produktivität und sorgten dafür, dass die Preisinflation geringer seit 1990 ausfiel. Weil sich die demographische Entwicklung nun im Westen und in China umkehrt, dürfte das die Produktivität drücken und die Preisinflation antreiben, argumentieren die Autoren.

Gleichwohl könnte ein Argument gegen steigende Preise sprechen: Dimitri Speck behauptet, dass die Zentralbanken den Goldpreis seit 1993 manipuliert haben. „Die Preisinterventionen begannen am 5. August 1993 und lassen sich statistisch nachweisen“, sagt er. Der Kurs sei im Mittel immer zu einem bestimmten Zeitpunkt am Tag gefallen. Die Manipulation geschehe dabei oft über die Märkte für Goldfutures – ein Wertpapier, bei dem sich der Aussteller verpflichtet, Geld zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem festen Preis zu kaufen. In den vergangenen Jahren ließen sich Manipulationen indes nicht mehr statistisch nachweisen. Speck schließt sie aber im Gespräch mit TE nicht aus. Auffallend sei, dass sich Gold bei markanten Preisschwellen wie 2000 US-Dollar je Feinunze schwer tue. Es werde aber – wie nach dem Jahr 2001 – nun nicht mehr möglich sein, „den Goldpreis dauerhaft durch Manipulationen am Steigen zu hindern”, sagt der Analyst, dessen Buch „Geheime Goldpolitik” auch auf Englisch im renommierten Verlag Palgrave Macmillan erschienen ist.

Grund für den Preiseinbruch im Frühjahr dürften auch die Nachfrage nach Kryptowährungen gewesen sein. Allein die Marktkapitalisierung von Bitcoin betrug damals rund 880 Milliarden US-Dollar (TE berichtete). Bitcoin notierte bei knapp 50.000 US-Dollar. Dazu kam damals, dass weltweit viel Geld in die Aktienmärkte floss.

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