Tichys Einblick
FUSSBALL-BUNDESLIGA

Rund 400 Fußball-Profis könnten bald arbeitslos sein

Wegen der wirtschaftlichen Schäden zahlreicher Clubs durch die Corona-Krise könnten ab 1. Juli viele Fußball-Profis vor allem in der zweiten und dritten Liga arbeitslos sein. Prominentester Kandidat ist Weltmeister Mario Götze. Doch die Krise könnte auch eine Chance für den Sport sein.

Mario Götze von Borussia Dortmund

imago images / Poolfoto

Mehrere Hundert Millionen Fußballfans sahen am vergangenen Dienstagabend das Topspiel zwischen BVB Borussia Dortmund und dem FC Bayern München und sie sahen in den letzten knapp 13 Minuten auch Mario Götze, wie er gemeinsam mit den Gastgebern versuchte, das 0:1 auszugleichen.

Nach der Bekanntgabe des BVB, den Vertrag mit dem Mittelfeldspieler nicht mehr zu verlängern, war es somit das erste offizielle Bewerbungsschreiben für das einstiges Genie, das Deutschland 2014 zum Weltmeistertitel schoss und auf dem Höhepunkt seiner jungen Karriere stand. Doch vom Wunderkind ist nicht mehr viel übrig geblieben. In den vergangenen Jahren wandelte der gebürtige Memminger mehr zwischen Werbeikone, Botschafter für einen US-Sportartikelhersteller und eigener Biografie. Sogar während der WM 2018, die er verpasste, war Mario Götze allgegenwärtig. Ein aufwendiger Werbespot von Samsung sorgte dafür, dass alle Welt sich fragen musste, warum er ob seiner Dynamik und Eleganz denn nicht nominiert worden sei.

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Stand heute wird dieser junge Mann ab dem 1. Juli 2020 arbeitslos sein. In den vergangenen Jahren hat der Mittelfeldspieler mehrere Millionen Euro verdient. Auch wenn er so schnell keinen neuen Verein findet, wird er dementsprechend weich fallen. Weit schwerer wird die drohende Arbeitslosigkeit mehr als 380 Lizenzspieler treffen, die nicht auf Rosen gebettet sind und ihre Brötchen bei kleineren Vereinen in den drei Profiligen Deutschlands verdient haben. Ihre Verträge laufen alle zum 30. Juni 2020 aus und wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie stehen die Chancen momentan sehr schlecht, dass alle zum 1. Juli einen neuen Arbeitgeber gefunden haben.
Marktwerte der Spieler im Keller

Mit dem Ausbruch der Pandemie und der Einstellung des Spielbetriebs sind nicht nur zahlreiche Vereine ins Trudeln gekommen, sondern auch die Zukunftspläne mehrerer ihrer Angestellten. Die Marktwerte der Spitzenspieler sanken im Schnitt um 30%, die der Durchschnittskicker gar um fast 40%. Schon jetzt ist klar, dass alle Vereine ihre Kader “gesundschrumpfen” müssen, da die Spielergehälter in der Regel mehr als ein Drittel des Saisonetats ausmachen (Anmerk. d. Red.: Durchschnittsjahresgehalt pro Spieler bei Bayern München: 7,6 Mio., Borussia Dortmund: 4,8 Mio., Schalke 04: 2,46 Mio.). Will heißen, dass pro Verein im Schnitt drei bis sechs Spieler ab der neuen Spielzeit nicht mehr dabei sein werden, um das Gehaltsbudget deutlich nach unten zu senken. Die ersten, die es treffen wird, sind die Lizenzspieler mit auslaufenden Verträgen und meist auch überdurchschnittlichen Löhnen.

Neben Mario Götze (Jahresgehalt ca. 10 Mio. Euro) trifft das auch die Schalker Benjamin Stambouli (ca. 4 Mio. Euro) oder Daniel Caligiuri (ca. 3,5 Mio. Euro), die beide ebenfalls Millionensummen verdienen, deren Entwicklung zuletzt stagnierte oder nicht mehr ins neue Gehaltsgefüge passen. In der ersten Bundesliga laufen 62 weitere Verträge aus. Entweder wurde den Spielern schon mitgeteilt, dass sie keine Zukunft mehr bei ihren Clubs haben, oder die Vertragsverhandlungen sind wegen den unsicheren Zukunft (Qualifikation für die europäischen Wettbewerbe, Abstiegskampf, Geisterspiele neue Saison etc.) vorerst auf Eis gelegt. Ulf Baranowsky von der Vereinigung für Vertragsspieler (VdV) rechnet damit, dass in diesem Sommer sich mehr Spieler als sonst “arbeitslos” melden: “In der Tat müssen wir darauf vorbereitet sein, dass viele Klubs ihre Kader verkleinern und Neuverträge geringer vergütet werden,” sagt der Geschäftsführer gegenüber der Deutschen Welle. So werden nach dieser Spielzeit die Trainingscamps der VdV aus allen Nähten platzen, wenn sich vertragslose Fußballer fit halten müssen, um vielleicht doch noch einen einen neuen Arbeitgeber zu finden.

Mehr als 320 vertragslose Kicker in der zweiten und dritten Bundesliga

Wie schon vor Wochen prophezeit wird das Arbeitsplatz-Parkett der Bundesligen sehr glatt sein. Es werden nur noch knapp 1.100 Arbeitsplätze für ungefähr 2.000 Bewerber frei sein, wenn man die Flut von Talenten hinzu rechnet, die aus den Nachwuchsleistungszentren kommen. Und erschwerend kommt die Erkenntnis dazu, dass mehr als 80% dieser Fußballer “von Topgehältern meilenwert entfernt” sind, so Gewerkschafter Baranowsky.

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Die größten Probleme werden die Berufsfußballer bekommen, die bei den abstiegsbedrohten Clubs der zweiten Liga oder bei den 20 Vereinen der dritten Bundesliga angestellt sind. Letztere hat sich in den vergangenen Wochen fast selbst zerfleischt und gezeigt, dass sie sich finanziell und politisch auf sehr dünnem Eis bewegt. Die dritte Liga wird im Gegensatz zur 1. und 2. Bundesliga nicht von der DFL, sondern vom Deutschen Fußball-Bund DFB geführt. Mehr als die Hälfte ihrer Clubs schlingert sich seit Jahren durch ihre Clubhistorie und hat mit dem Ausbruch der Pandemie noch größere Probleme als Kurzarbeit oder auslaufende Spielerverträge. Fehlende Zuschauereinnahmen, fast keine TV-Gelder, hohe Stadionmieten und abspringende Sponsoren werden dafür sorgen, dass die Struktur der Arbeitsverträge vieler Spieler nach unten angepasst wird. Schon jetzt schlagen auch die Spielerberater (erhalten in der Regel 10-15% der Ablösesumme) Alarm und meinen unisono, dass die Krise Vereine in den Ruin treibe und mit ihnen Spieler aufs Arbeitsamt.
Die Coronakrise ist eine Chance auf Normalität

Ein WM-Held und Multimillionär wie Mario Götze muss den Gang zum Jobcenter nicht fürchten, doch werden – und das ist vielleicht das Gute an dem Ausbruch des Virus – die Karten im Spitzensport neu gemischt werden. Vereine werden ihre Etats deutlich nach unten anpassen, Spielergehälter kürzen und ihre aufgeblähten Geschäftsstellen umstrukturieren.

Es werden dadurch neue Chancen entstehen. Die Clubs werden nur noch kurzfristige Verträge abschließen, Spieler werden nicht mehr so hoch pokern können und sich vermehrt ein zweites Standbein aufbauen müssen. Vor einigen Wochen hatte die DFL verkündet, eine Task Force ins Leben zu rufen, die sich um die Zukunft des deutschen Fußballs kümmern soll. Ehrlicher, bodenständiger, nachhaltiger. Es wäre jetzt die einmalige Chance da. Leider werden dann zahlreiche talentierte Fußballer von der Bildfläche des Profigeschäfts verschwunden sein, weil der Wahnsinn in diesem Business überhand genommen hat. Und dann ist es auch traurig, wenn sich die Gazetten seit Tagen und Wochen nur über eine Zukunft von Mario Götze den Kopf zerbrechen und nicht über die Sorgen und Ängste der “kleinen” Kicker und die vielen anderen Spitzensportler in unserem Land, die von der Hand in den Mund leben und auf Hilfe des Arbeitsamtes oder von Fördergeldern des Deutschen Sport Bundes angewiesen sind. 

Auch Dritte Liga startet mit Geisterspielen

Wenn an diesem Wochenende die Teams der Dritten Liga auf den grünen Rasen zurückkehren, so tun das einige Vereine wie Magdeburg, Mannheim oder Jena wider Willen. Doch gesundheitliche und finanzielle Bedenken, aber auch politische Entscheidungen wurden überstimmt. The Show must go on, heißt das Motto. Hinzu kommen Quarantäne, Coronatests und Hotelkosten, die Unsummen von Euro verschlingen. In Rostock, Unterhaching, Großaspach oder Meppen werden sie dann nicht nur um Punkte kämpfen, sondern auch um ihre Arbeitsplätze. Denn ohne Bewerbung kein neuer Arbeitsplatz. Das ist im Fußball nicht anders als in anderen Teilen unserer Gesellschaft.

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