Tichys Einblick
Europa fördert zu wenig Lithium

Scheitert die Umstellung auf E-Autos am Lithium-Mangel?

Die Lithium-Nachfrage wird sich in Europa bis 2030 verfünffachen. Pläne zur Förderung des für die E-Auto-Produktion benötigten Alkalimetalls wurden zurückgestellt. Die im Namen des „Klimaschutzes“ beabsichtigte Transformation im Individual-Verkehr könnte also am Lithium-Mangel scheitern.

Lithium-NMC-Batterie für Elektrofahrzeuge

IMAGO / Panthermedia

Bekanntlich gibt es in Europa ab 2035 ein Verbrenner-Verbot. Will heißen: Ab 2035 werden keine neuen Diesel und Benziner mehr zugelassen. So haben es die Energieminister der 27 EU-Länder Ende März 2023 in Brüssel beschlossen. Der Grund: Klimaschutz.

Wer sich also einen Neuwagen zulegen will – oder muss, kann nur noch ein reines E-Auto kaufen. Zwar werden auch nach 2035 neue Verbrenner in Europa zugelassen, jene dürfen aber nur noch E-Fuels tanken. Was eine überaus teure Angelegenheit werden dürfte.

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Für die Produktion der „Batterie“, besser gesagt: der Akkus in den E-Autos, wird unter anderem Lithium benötigt. Und dieses Alkalimetall könnte alsbald knapp werden. Denn der weltweite Markt für das Alkalimetall Lithium wächst unaufhörlich. Das liegt daran, dass Lithium auch für Akkus in Laptops, Mobil-Telefonen sowie in der Glas- und Keramikindustrie genutzt wird. Allein zwischen 2008 und 2018 stieg die Jahresproduktion der maßgeblichen Förderländer von 25.400 auf 85.000 Tonnen.

Die Verknappung an der entscheidenden Komponente in den Akkus der E-Fahrzeuge werde eklatant, berichtet die Financial Times. Also könnte die im Namen des „Klimaschutzes“ beabsichtigte Transformation auch im Individual-Verkehr am Lithium-Mangel fehlschlagen. „Der gesamte Weltmarkt wird bis zum Ende des Jahrzehnts immer noch defizitär sein“, erklärt Daisy Jennings-Gray, Analystin bei Benchmark Mineral Intelligence. Immerhin geht die Internationale Energieagentur (IEA) davon aus, dass die Nachfrage für Lithium in 20 Jahren weit mehr als 15-mal so hoch sein könnte.

Da die EU plant, den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 zu verbieten, bedeutet dies, dass sich die Lithium-Nachfrage allein bis 2030 auf 550.000 Tonnen pro Jahr verfünffachen wird, so die Financial Times. Das sei mehr als das Doppelte der 200.000 Tonnen, die laut der Preismeldeagentur Benchmark Mineral in Europa produziert werden können.

Die Financial Times kommt zu der Einschätzung, der Wettbewerb mit China könnte sich vergrößern, da der Staat seine E-Auto-Produktion rasch ausbaut und auf den europäischen Markt drängt.

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China hat einen Anteil von 6,7 Prozent an den weltweiten Lithium-Reserven (USA 3,3 Prozent), was bedeutet, dass es in Konkurrenz zur EU und den USA massiv Lithium aus dem sogenannten Lithium-Dreieck an der Grenze zu Chile, Argentinien und Bolivien aufkaufen wird (allein in Chile 41 Prozent). Gewonnen wird das Lithium in Südamerika nicht aus dem Bergbau, sondern aus Salzwüsten, sogenannten Salaren. Dass dies nicht gerade umweltfreundlich abläuft und die ansässigen Landwirte gegen den Abbau aufbegehren, wurde mehrfach berichtet.

Der springende Punkt ist, dass China 60 Prozent der weltweiten Lithium-Verarbeitung kontrolliert, bei der ein aus Sole oder Erz hergestelltes Konzentrat in chemische Lithium-Verbindungen wie Karbonat oder Hydroxid umgewandelt wird, die in den Auto-Akkus verwendet werden. Und weiter: Insgesamt sei der Grund für den Lithium-Mangel, dass Pläne zur Lithium-Förderung in Europa zurückgestellt worden seien, denn hiesige Produzenten könnten keinen „wirtschaftlich rentablen Standort“ ausmachen.

Francis Wedin, Geschäftsführer der in Australien börsennotierten Vulcan Energy Resources, eines der wenigen Unternehmen, die versuchen, Lithium in Europa zu fördern, ist der Ansicht, die Automobilindustrie der Region sei nicht in der Lage, die zukünftige Flotte ohne eigenes Lithium zu elektrifizieren. China „wird die Versorgung seiner eigenen Industrie priorisieren“, so Wedin. Ohne einen eigenen Zugang zu Lithium würden die europäischen Autobauer „die Konkurrenz aus dem Land nicht überleben“, fügte er hinzu.

Zwar plane das US-Unternehmen Albemarle, das ein Fünftel des weltweiten Lithiums liefert, bis Ende des Jahrzehnts eine europäische Raffinerie für das Metall zu bauen, doch die Autohersteller brauchen jetzt Alternativen.

Das hat einige führende europäische Autokonzerne dazu veranlasst, auf eine Handvoll lokaler Projekte zu setzen, bei denen der Erfolg aufgrund der komplizierten Abbauprozesse alles andere als sicher ist. Einer davon betrifft das in Perth ansässige Unternehmen Vulcan, das verspricht, Lithium aus deutscher Sole mithilfe von Geothermie zu gewinnen.

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Der Opel-Hersteller Stellantis war im vergangenen Jahr der erste Automobilhersteller, der in einen Lithium-Minenbetreiber investierte, als er 50 Millionen Euro als Gegenleistung für Eigenkapital an Vulcan zahlte. Renault und Volkswagen haben, ähnlich wie Stellantis, auch verbindliche Bestellungen für die erwartete Lithiumlieferung von Vulcan erteilt.

Ein weiteres riskantes Projekt betrifft den französischen Bergbaukonzern Imerys, der Lithium aus Gestein unter einer Kaolin-Mine gewinnen will, die im 19. Jahrhundert von der Keramikindustrie des Landes eröffnet wurde. Vulcan hofft, zwei Jahre nach Produktionsbeginn im Jahr 2025 jährlich 24.000 Tonnen zu produzieren, während Imerys plant, ab 2028 jährlich 34.000 Tonnen Lithiumchemikalien in „Batterie“-Qualität zu produzieren.

Zusammengenommen reicht dies aus, um nach Berechnungen der Unternehmen rund 1,2 Millionen „Batterien“ für kleine Elektrofahrzeuge pro Jahr zu liefern. Dies ist jedoch weit entfernt von der erwarteten Nachfrage nach Elektroautos, die laut dem deutschen Handelsverband VDA mit 11,3 Millionen Neuwagen in Europa im Jahr 2022 das aktuelle Absatzvolumen erreichen oder übertreffen dürfte. Dies setzt auch den Erfolg der Vulcan- und Imerys-Unternehmungen voraus.

Die Projekte bergen ein inhärentes Risiko, da wir Produktionsprozesse wagen, die noch niemand zuvor durchgeführt hat“, räumte Alessandro Dazza, Geschäftsführer von Imerys, ein und betonte die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass die Unternehmungen am Ende weit mehr kosten als konkurrierende Projekte. Vulcan muss fast doppelt so viel Geld im Voraus aufbringen als viele seiner Konkurrenten, da es Geothermieanlagen bauen muss, bevor es mit dem Extraktionsprozess beginnen kann.

Es gibt Lithium-Vorkommen im Harz und im Erzgebirge. In der Region Zinnwald – unter dem Kamm des Erzgebirges an der deutsch-tschechischen Grenze – will das Unternehmen Deutsche Lithium ein Bergwerk und eine Aufbereitungsanlage errichten. Start soll 2025 sein. Lithium könne in Sachsen unter hohen ökologischen und sozialen Standards abgebaut werden, heißt es. Lithium kommt unter anderem im Tiefenwasser am Oberrhein und in Norddeutschland vor. Im Norddeutschen Becken und im Oberrheingraben gibt es Thermalwässer mit erhöhten Lithiumgehalten. Doch lokale und politische Widerstände sind absehbar – bürokratische Hürden und langwierige Verfahren zur Bearbeitung von Genehmigungen inklusive. Ganz abgesehen davon, woher die Fachkräfte kommen sollen, die das Lithium im Bergbau oder aus Thermalwässern fördern.

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