Tichys Einblick
Arbeitskräftemangel

Deutschland funktioniert nicht mehr – die Auswirkung

Gender-Wissenschaften, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und wissenschaftliche Mitarbeiter in der Politik. Es gibt nur noch wenige Branchen, die genug Arbeitskräfte finden. Das wirkt sich im Alltag aus.

Personalnot auch bei der Briefzustellung

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Fachkräftemangel. Der Begriff stammt aus der Zeit des Jahrhundertwechsels. Er beschreibt die Lücke an Mitarbeitern, die fehlen und fähig wären, hochkomplexe, anspruchsvolle Vorgänge zu schultern. Etwa im IT-Bereich. Oder in der Medizin. Doch eigentlich ist der Fachkräftemangel ein Begriff der Vergangenheit. Er ist längst zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen. Für komplexere Berufe gilt das ohnehin – und selbst in einfachen Jobs fehlen die Menschen, die es machen.

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Deutschland funktioniert nicht mehr – die Gründe
Zum Beispiel die Post. Die kommt längst nicht mehr täglich. Gemerkt hat das eigentlich jeder Bürger selbst in seinem Alltag. In dem einen Dorf klingelte der Postbote montags nicht mehr. Auch nicht einmal. In anderen Städten brauchte ein einfacher Brief sechs Arbeitstage, bis er seinen Adressaten erreichte. Nun ist es offiziell, wie die Bild schrieb: Die Bundesnetzagentur hat in diesem Jahr bereits über 20.000 Beschwerden registriert – mehr als die Hälfte davon zwischen Juli und September. Letzterer ist dabei noch nicht mal vollständig ausgezählt. Im gesamten Jahr 2021 gab es demnach nur rund 15.000 Beschwerden.

Auch die Schulen rufen Alarm. Unterricht werde ausfallen, weil es an Lehrern fehle. Allein für dieses Schuljahr gab es bundesweit zwischen 30.000 und 40.000 Lehrer zu wenig, teilt das Deutsche Schulportal mit. Das treffe alle Bundesländer, wie Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger gegenüber der Nachrichtenagentur DPA sagt. Einwanderungswellen aus der Ukraine und dem arabischen Raum verschärfen das Problem. Folglich bleibt der Lehrermangel erhalten, sagt die Kultusministerkonferenz voraus. Quarantäne-Regeln verschärfen die Situation noch.

In Kitas sieht es noch schlechter aus. Schon jetzt fehlen 100.000 Fachkräfte, sagt der Deutsche Kita-Verband. Tendenz steigend. Zum Ende des Jahrzehnts könnten es 200.000 Erzieher sein, die fehlen. Der Staat hat den Eltern das Recht auf einen Kita-Platz zugesprochen – aber er scheint nicht für die dafür notwendigen Erzieher gesorgt zu haben. Die Lücke vergrößert die Lücke. Sprich: Viele Erzieher seien mit der Situation unzufrieden, berichtet der Verband. Darunter leide die „Qualität der frühkindlichen Bildung“. Abschiede aus dem Beruf sind denkbar, ähnlich wie es bei den Pflegern wegen der Unterversorgung ist.

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Oder bei der Müllabfuhr: „Es gibt erste Fälle, dass Entsorgungstouren mangels Fahrern nicht gemacht werden können“, sagt Peter Kurth der Rheinischen Post. Er ist Präsident des Fachverbandes BDE. Bisher seien das Einzelfälle, aber die könnten sich demnächst häufen. In der gesamten Branche gingen jedes 30.000 Fahrer in Rente – aber nur halb so viele junge Menschen würden in den Beruf einsteigen.

Ähnliches berichtet die Logistikbranche. Auch hier fehlt es an Fahrern. 40.000 allein in Deutschland, berichtet die Fachseite Transport-Logistic.de. Würden Politik und Spediteure nicht gegensteuern, droht sich der Mangel auszuwirken. Supermärkte könnten zum Beispiel nicht mehr ausreichend oft angefahren werden. Auch bei anderen Konsumgütern würde die Versorgung schlechter – etwa bei Kleidern oder Möbeln. Transport-Logistic rechnet ebenfalls damit, dass die Situation eher schlechter als besser werde. Die Regierung arbeitet an dem Problem. So würden Fahrlehrer der Bundeswehr eingesetzt, um mehr Anwerbern zu einem schnellen Führerschein zu verhelfen. Zudem sollen Busfahrer umschulen. Allerdings gäbe es von denen auch nicht genug, melden die verschiedenen Stadtwerke.

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Im Einzelhandel sei es genauso, wie das Ifo-Institut berichtet. Schon 2016 hätte ein Viertel der Händler nicht genug Personal gefunden. Auch hier sei die Tendenz: Es werde eher schlimmer als besser, wie eine Befragung des „ECC Instituts für Handelsforschung“ ergeben hat. Supermärkte gehen nun dazu über, Kassen für Selbstbediener einzurichten. Andere schließen früher. Um Energie zu sparen, wie es heißt – aber wohl auch, weil es an Personal fehlt.

Wer diesen Sommer in Berlin ausgegangen ist, hat sich an den Arbeitskräftemangel in der Gastronomie gewöhnt. Immer mehr Straßenlokale verlangen von ihren Gästen, dass sie zur Theke kommen, um zu bestellen und Ware abzuholen. Nun. Das ist weniger angenehm. Geht aber. Schwieriger wird es, wenn sich der Kunde seine Kartoffeln künftig schon im Hafen abholen muss – geschweige denn seine neue Einbauküche. Oder die Post am Flughafen.

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